Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Pornographie"
Autor: Simon Stephens
Regie: Elias Perrig
Mit Carina Braunschmidt, Inga Eickemeier, Steve Karier, Florian Müller-Morungen, Lorenz Nufer, Mona Volmer
Unfertige Darbietung
Das Schauspiel in Basel hat ein Problem. Es ist spannungsarm. Die vierte Produktion der Saison, "Pornographie", hat diesen Allgemein-Eindruck bestätigt. Diese sah am Premierenabend so aus: Aus dem Halbdunkel der leeren Bühne brabbeln temperamentarme Grossstadt-Figuren von ihren Alltagslangweiligkeiten, Hassanfällen, Beziehungskatastrophen und News-Ereignissen. Gezirpe aus Soundmaschinen füllt die atmosphärische Leere. Der Applaus am Ende war flau.
Unklar bleibt, ob die Produktion bei regulärer Probezeit spannender geworden wäre. Denn das Haus hatte sich dazu nur gerade zweieinhalb Wochen gegönnt. Das war zwar nicht so geplant, aber dennoch attestierte man jetzt der unfertigen Darbietung Bühnenreife. Das Stück hätte ursprünglich im Frühjahr aufgeführt werden sollen, wurde kurzfristig als Ersatz eingesetzt, für "Breaking the waves", das nun schon zum zweiten Male abgesetzt wurde.
Zunächst das Ensemble. Es machte gute Miene zur schlechten Einarbeitung: beeindruckend, wie sich die Schauspieler von ihren Versprechern, Hängern und Verhasplern nicht die Spiellaune verderben liessen, deren Anzahl weit über das übliche Normalmass hinausging. Dann die Inszenierung: Die ersten Zweidrittel sind im Skizzenstadium geblieben. Inga Eickemeier steht wohl 20 Minuten im Pyjama steif da und erzählt. Von Partner Jonathan, der nicht mit ihr spricht. Und wie sie dann eine geheime Studie ihrer Firma an die Konkurrenz faxt. Lorenz Nufer spielt einen "arischen" Unterschicht-Strassenjungen, der sich in seine Lehrerin verliebt. Schliesslich geben sich Carina Braunschmidt und Florian Müller-Morungen als Schwester und Bruder dem Inzest hin. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte die Darbietung auch als Hörspiel durchgehen können, denn es wird alles bloss erzählt. Eindringlich wird der Text wegen seiner "privaten" Inhalte, die den Voyeurismus wecken. Die Schauspieler sprechen mit Mikrophonen. Jedes Seufzen, Hauchen und Mundlecken übertragen sie penetrant direkt ins Ohr der Zuhörer. Diese Nähe schafft die Illusion als würden wir zufälligerweise den Gedanken folgen.
In Grossprojektion sehen wir den Mund eines Selbstmord-Attentäters (Karier): Auf der Fahrt zum Einsatzort gibt er hasserfüllte Kommentare ab. Diese legen weniger ein Psychogramm offen als sie viel mehr seine Positionierung zur Gesellschaft zeigen. Denn gedacht war dieser urban blues nicht bloss als Präsentation einzelner Schicksale sondern als das Brodeln einer Grosstadt: Wie die Leute über ihre Sorgen reden und dass am Live-Konzert Pink Floyd spielen, London den Zuschlag zur Olympiade 2012 erhält und Bomben in der U-Bahn 50 Menschen in den Tod reissen.
Regisseur Perrig setzte aber vor allem auf die Intimität der Monologe und Dialoge. Die beiden letzten, am stärksten ausinszenierten, Szenen fallen besonders auf wegen ihrer Skurrilität. In komödiantischer Version: Der Lehrer (Karier) und seine ehemalige Schülerin (Eickemeier) unterbrechen die gegenseitige Verführung immer wieder, um zu essen. Und in sentimentaler Version: Die fettleibige Journalistin sieht den ganzen Tag Pornos, macht feinsinnige Bemerkungen und kriegt am Ende Tränen, weil ihr jemand ein Stück gebratenes Hähnchen schenkt.
26. September 2008
"Ein intenisves Theatererlebnis"
Vielleicht hat man ja an der Inszenierung inzwischen nachgebessert: Gestern jedenfalls war eine äusserst spannende Aufführung zu erleben, die den Vergleich mit Sebastian Nüblings Arbeit aus Hannover durchaus nicht zu scheuen braucht.
Elias Perrig verzichtet fast völlig auf ausdeutende Regiemittel und lässt die Figuren sich selbst durch ihre Monologe entlarven. Durch diese Konzentration aufs Wesentliche steigert er die Intensität des Gesagten und lässt selbst in den banalsten Äusserungen noch eine fundamentale Unischerheit aufscheinen. Den Darstellern gelingt es dabei überzeugend, die Hilflosigkeit, die Unfähigkeit zur Kommunikation und die daraus resultierende "Pornographie der Seelen" erlebbar zu machen.
Das (zahlenmässig leider sehr kleine) Publikum hörte 100 Minuten lang gebannt zu und bedankte sich für die eindrückliche Darstellung mit herzlichem Applaus. Theaterfreunde sollten sich von den schlechten Besprechungen nicht abhalten lassen, das Stück anzuschauen. Die Schwächen der ersten Aufführungen können nur an der kurzen Probezeit gelegen haben. Inzwischen sind sie aber überwunden, und der Abend ist jetzt ein intenisves Theatererlebnis.
Johannes Nordiek, Schopfheim/D