Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung
"Für die Nacht"
Autorin: Laura de Weck
Regie: Werner Düggelin
Bühne: Raimund Bauer
Mit Benjamin Kempf, Martin Hug, Vincent Leittersdorf, Katharina von Bock
Prominenz bei de Wecks Endspiel
Wie gross die Erwartung war, demonstrierte die illustre Gästeschar: "Blick"-Journalist Hannes Britschgi kam, die Star-Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, UBS-Basel-Chef Samuel Holzach oder auch Jazz-Pianist Georges Gruntz, dazu amtierende und im Ruhestand befindliche Regierungsräte gaben sich ein Stelldichein. Auch der neue Generaldirektor Roger de Weck des Schweizer Fernsehens liess sich sehen; seine Tochter Laura liess hier ihr drittes Stück erstmals aufführen, inszeniert erneut von Regie-Senior Werner Düggelin.
Vor vier Jahren feierte Düggelin mit De Wecks Debüt hier einen Saisonerfolg mit nationaler Strahlwirkung. "Lieblingsmenschen" hatte unverbrauchten und melancholischen Frühlings-Charme verströmt: Zwanzigjährige beim Aufbruch ins Leben und Lieben stiessen sich an ihren Glattheiten. Völlig übertriebene Begrüssungsrituale belegten mehr die Verlorenheit von Elementarteilchen denn individuelle Eigenheit und Anteilnahme am anderen.
Bei ihrem dritten Stück ist die mittlerweile dreissigjährige Autorin einen grossen Schritt weiter gegangen Richtung Abstraktion. Streckenweise hat "Für die Nacht" das Schriftbild einer Partitur: Kein Redefluss, der Sinn und Sinnlichkeit vermittelt, sondern nur Wort-Signale oder Sätze als Melodielinien. "Fuck-Fuck-Fuck, Scheisse-Scheisse-Scheisse, Tack-Tack-Tack, Pam-Pam-Pam": So brüllen die vier Figuren (Instrumente?) ihre persönlichen Signete der Wut oder Sorge. Anstelle von Jugendlichen, die ihre persönliche Freiheit austesten, konfrontiert de Weck das Publikum nun mit tödlich Verletzten in einem Endspiel, das die düsteren Elementen von Becketts gleichnamigem Stück enthält: Rollstuhl, gegenseitige Abhängigkeit der Figuren, abgründiger Witz im "schwarzen Kabinett" zu den letzten Fragen.
Der Rollstuhl steht mitten auf der Bühne, gegen hinten gekehrt. Der Mann guckt in die Reihe übermenschengrosser Leuchtbuchstaben, die die hintere Bühne verstellen. Ob er wohl eine logische Anordnung erkennt? E-N-HR-I ... Es gibt keine. Die Buchstaben, die uns helfen sollen, die Dinge des Lebens wenigstens begrifflich zu packen, hier leuchten sie höhnisch stumm, und betonen den Horror der Leere. Es ist wie im Wald bei Nacht mit dem Feuerzeug: Knipsen wir es an, sehen wir noch viel weniger weit.
Dass wir nichts sehen, daraus versucht Autorin in ihrem knapp einstündigen Stück humoristische Funken zu schlagen. Pflegerin Vali (von Bock) hat ihre Liebe verloren. Sie zählt die Sätze auf, die sie jetzt immer zu hören bekommt: "Koch dir was Schönes. Ich denk an dich. Alles hat seinen Grund. Es kommt so, wie es kommen muss. Später wirst du drüber lachen. Verlust ist immer ein Gewinn. Blablabla." Das Publikum lacht, lacht über diese grossen Leuchtbuchstaben im schwarzen Kabinett.
Der todkranke Mann im Rollstuhl (Leittersdorf) fragt Pflegerin Vali, ob die Gläubigen denn "besser" sterben könnten. Die erfahrene Vali: "Die Gläubigen beginnen zu zweifeln, die Ungläubigen beginnen zu glauben." Und: "Der Glaube hilft vielleicht fürs Leben, aber nicht für den Tod."
Beziehung, das ist in De Wecks Stück nur mehr Absprache. Der Sohn (Kempf) spaziert zwischen den Buchstaben herum, und absolviert dazu einen Frage-Parcours an seinen Vater, der Anteilnahme nur simuliert: "Hast Du getrunken. Hast Du die Medikamente genommen. Hast Du die Zeitung gelesen. Ist die Pflegerin nett." Der Mann im Rollstuhl antwortet immer nett mit Ja. Und der Sohn zum Papa: "Würdest Du mich lieben, wenn ich nicht Dein Sohn wäre?" Papa gibt ihm zurück: "Nein, denn dann wärst Du ja ganz anderes."
De Wecks Papa im Rollstuhl verzerrt sich nach "Leben". Wie Becketts "Hamm" im Rollstuhl bleibt ihm nur das Nachdenken und Reden. So ruft er aus: "Wenn ich tot bin, werde ich den ganzen Tag Alkohol trinken, die ganze Zeit rauchen, 20 Päckchen pro Tag mindestens, werde den ganzen Tag lieben, und mich nur darüber ärgern, dass ich nicht schon lange tot bin."
Der Sohn hat alles, was es braucht, um glücklich zu sein: Erfolg, Geld, gutes Aussehen. Aber wie Becketts "Clov" fehlt dem jungen Mann in Anzug und Kravatte der Nutzen. Gurus, Götter und Drogen: Alles habe er ausprobiert. Im Moment ist die Reihe gerade am Alkohol.
In seiner Verzweiflung lässt Papa den Penner vor dem Haus reinholen: Ein toller Spiegel (Hug) für ihn, denn der lebt auch am Rand der Existenz. Aber der kann nicht mehr nachdenken: Es geht ihm nur ums Essen und Saufen. Sinn könnte ihm nur noch etwas stiften, wenn jemand einen Film über ihn machen würde: "Egal welchen Menschen die da zeigen, man möchte immer dieser Mensch sein. Auch wenn der nur sitzt und guckt. Dann denkt man, wow, der sitzt und guckt. Oder wenn der labert. Dann kriegt das plötzlich so was Wichtiges, was der Mensch dann labert." Einer der Glanzpunkte des Abends.
Stück für Stück reisst De Weck Konventionen oder Vorstellungen von Sinnstiftung herunter, illustriert Endpunkte einer Gesellschaft, in der die Menschen von Innerlichkeit ausgesperrt sind. Sie sind zu kraftlos, um Verzweiflung oder Traurigkeit als Weg zurück zu durchschreiten. Aber unter dieser Kraftlosigkeit leidet auch der Bühnenwitz. Zur Untergangs-Clowneske wie das "Endspiel" fehlen ihm der grimmige Humor und die gestalterische Kraft, die Spirale kontinuierlich weiterzudrehen. Düggelin hat indes zusätzlich Teile gestrichen, die der Aufführung mehr Spitzen verliehen hätte. Damit hat er das Stück gleichzeitig "literarischer" gemacht, und es entschärft.
Das Publikum applaudierte freundlich und langanhaltend. Die Autorin erhielt begeisterte Zurufe.
8. April 2011