Werbung


Claude Bühler – Premiere am Theater Basel

<< [ 1 | (...) | 101 | 102 | 103 | 104 | 105 | 106 | 107 | 108 | 109 | 110 | (...) | 180 ] >>

Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere   
 
"Biographie: Ein Spiel"
Von Max Frisch
 
Regie: Amélie Niermeyer
Bühne: Florian Etti
Musik: Fabian Kalker
Dramaturgie: Martin Wigger
Kostüme: Kirsten Dephoff
 
Mit Andrea Bettini, Claudia Jahn, Martin Hug, Joanna Kapsch, Florian Müller-Morungen, Ilja Niederkirchner, Christiane Rossbach


Es tut weh, wenn man lacht

Vielleicht wäre Autor Max Frisch mit dieser Aufführung seiner Komödie "Biographie: Ein Spiel" endlich erstmals glücklich geworden; auch wenn er sich sie so wohl nicht vorgestellt hatte. Dem ausgebildeten Architekten ging es ja um Grundsätzliches: um die tragische Schnittstelle von Entwurf, von frei Denkbarem und unveränderbarer Realität etwa. Sein Romanheld Stiller wollte Stiller nicht gewesen sein. Sein Homo Faber empörte sich über den Menschen als "denkbare Konstruktion", aber aus "Material", das ein "Fluch" sei. Frisch stritt und schrieb, verkürzt gesagt, für eine "Dramaturgie des Zufalls", gegen die Dramaturgie der "Fügung", die dazu führe, dass man allem (im Nachhinein) einen Sinn unterstelle.

So liess der 56-jährige Dramatiker 1967 in "Biographie" seiner Type, einem bald fünfzigjährigen Intellektuellen mit Pfeife, die Chance, seine Biographie zu ändern. Mit Hilfe eines Spielleiters oder Registrators (je nach Version) darf der todkranke Professor Hannes Kürmann auf der Bühne Lebensszenen frei auswählen, sie nochmals durchspielen und dank anderen Wendungen den weiteren Lebensverlauf ändern. Vor allem seine Ehe mit Antoinette Stein will er verhindern, sie ungeschehen machen. Aber eben das geschieht nicht. Kürmann heiratet Antoinette nochmals, leidet nochmals, ändert nichts, nichts wesentliches jedenfalls.

Frischs Biographie-Spiel: Ein Paradox. Der Autor wetterte bei der Uraufführung, die Inszenierung bestätige ja genau die Fatalität, den "Schicksalsverlauf". Das Publikum applaudiere der "biederen Einsicht", dass wir an unserer Biographie nichts ändern könnten. Frisch änderte jedoch auch selbst nichts: 1984 überarbeitete er den Stoff, beliess aber den Verlauf.

Auch auf der Bühne des Schauspielhauses 2012 macht Kürmann fast alles nochmals gleich. Aber während frühere Aufführungen das Drama etwa mit nachvollziehbarer Figuren-Psychologie fest fügten, verschieben die Macher hier das Spiel in eine entpersönlichte Sphäre, in der jederzeit alles möglich scheint. Das beginnt mit der Bühne: keine Stubengemütlichkeit, auch keine Bühne-auf-der-Bühne-Modellsphäre, nein, viele rote Bälle hängen wie Planeten an gespannten Drahtseilen knapp über Kopfhöhe. Das Publikum sitzt zu beiden Seiten, davor und dahinter: Es gibt keinen geschlossenen Modellraum mit schützenden Wänden.
 
Das geht weiter mit den Personen: Es gibt keine Persönlichkeit Antoinette Stein. Mal sind es zwei, mal drei, mal sechs Spielerinnen und Spieler, jede und jeder ist anders. Die "Registratoren" und Assistenten, die Kürmanns Trips in die Vergangenheit ermöglichen, haben weder Spielleiter-Väterlichkeit noch wenden sie sich Kürmann mitfühlend zu. Eher sind sie neutrale Engel und anonyme Zuredner, die von allen Seiten Kürmann mit Entscheidungszwängen bedrängen: "Wollen Sie das jetzt ändern oder wollen Sie nicht?" Und sie ermahnen ihn: etwa, dass er nicht locker genug bleibe beim Spiel, weil er sich zu sehr an der Erinnerung statt an sich selber orientiere.
 
Auch eine Kürmann-typische Figur gibt es hier nicht: Er hat keinen Halt an einer Frisch-Pfeife, keine abgeklärte Reife-Herren-Erotik, er zeigt keine Eloquenz in philosophischen Erörterungen und auch keine Lehrerüberlegenheit, die er bei Frisch mit einer Schachlektion an Antoinette noch in der ersten Nacht beweisen darf. Martin Hug ist ein Mann ohne Eigenschaften im Anzug, der wie ein Statthalter Kürmanns dem Chaos seiner Erinnerungen mit männlichem Erfüllzwang anständig standhalten will und dem Sturm der Ereignisse aber hilflos ausgesetzt ist.

Denn auch die Erinnerungen sind in der Inszenierung von Amélie Niermeyer völlig verzogen und albtraumhaft. So ist kein Leben, so wirkt verstelltes Bewusstsein. Kürmanns erste Frau Barbara, die er in den Selbstmord trieb, erscheint als riesenhafte Braut – unter einem Schleier superpersifliert von Florian Müller-Morungen. Wenn in der Nachbarschaft eine Ballett-Schule lärmt, so tut sie es nicht wie im Original aus der Ferne: Die rosa Tütüs stürmen die Bühne.

Fatal sind jedoch Kürmanns mehrfache Fehleinschätzungen von und auch Fehlerinnerungen an Antoinette. In ihrer ersten Nacht, die xfach durchgespielt wird, weil hier Kürmann seinen Hauptlebensfehler sieht und einfach keinen Ausstiegs-Kniff findet, räkeln, lispeln und schnurren sich die beiden Antoinettes (Jahn und Kapsch) etwa so unzweideutig wie die Bond-Girls der sechziger Jahre in Kürmanns Bett. Nachdem er diese Wiederholung nicht verhindern kann, ist er ganz verblüfft darüber, dass Antoinette nach der ersten Nacht geht und gar kein Wiedersehen wollte. Er sagt: Ich hatte sie damals unterschätzt, und holt sie wieder zurück.
 
Interessant ist die wilde Auswahl, wo Kürmann seine Biographie ändert und wo nicht. Die Katastrophen belässt er. Das Auge seines ihn hänselnden Schulkollegen Rotz, das er mit einem Schneeball ausgeschossen hatte, das lässt er. Der Suizid seiner ersten Frau: Bleibt. Er habe sich an seine Schuld gewöhnt! Was er ändert: Nach einem Arztbesuch verzichtet er aus Angst auf den Alkohol. Und er will mit dem Beitritt in "die Partei" (bei Frisch war das noch die kommunistische) seine Professur verhindern, und zwar nur deshalb, weil er die darauffolgende Feier verunmöglichen will, an der er Antoinette kennen lernen würde.
 
Es gelingt ihm auch die Ohrfeige rückgängig zu machen, die er Antoinette verpasst hatte, nachdem sie wieder einmal nachts fernblieb. Und schliesslich hilft ihm auch ein Registrator, die tödlichen Schüsse, die er auf sie abgibt, zu eliminieren. Kürmann schaffte und schafft es aber auch der Wiederholung nicht, trotz der langjährigen Affäre, die Antoinette mit einem Architekten unterhält, sich von ihr zu trennen. Sie behält auch die bissige Schlusspointe. Während er mit Krebs im Spital (Hug liegt mitleidwürdig auf dem Boden) liegt, ändert sie ihre Biographie: ohne ihn.
 
Niermeyer hat das Stück aus seiner zeitgebundenen, modellhaften Verhocktheit gerettet und zupackend eine bunte, temposchnelle Biographie-Revue inszeniert, die so dahinflieht, wie Kürmann wohl sein Leben in der Nachschau registriert: Mal überlaut und invasiv, mal traumverworren, mal eindringlich leer und oft flüchtig. Darum tut es, wenn man lacht, auch etwas weh. Kürmann konnte nichts ändern, weil er es nicht vermochte. Punkt. Das Ensemble spielte munter. Gekonnt agierten Hug, Jahn, Kapsch, Bettini und Müller-Morungen. Das Premierenpublikum applaudierte kräftig.

20. Oktober 2012
 Ihre Meinung zu dieser Kolumne
(Mails ohne kompletten Absender werden nicht bearbeitet)
Claude Bühler, ist Journalist und Schauspieler in Basel. Er arbeitete erst als Freier Journalist bei Printmedien sowie als Medienverantwortlicher von act entertainment. Lange Jahre war er Redaktor und Produzent bei Telebasel. Heute arbeitet er als Redaktor bei "Prime News". Als Schauspieler war er in verschiedenen Regie-Arbeiten der Basler Schauspielerin und Regisseurin Ingeborg Brun sehen, beispielsweise als Jean in "Fräulein Julie" (A. Strindberg), aber auch als Professor Siebegscheit im Märli "Froschkönig" des Theater Fauteuil oder als Lucky in "Warten auf Godot" (S. Beckett) des Theater Marat Sade. © Foto by OnlineReports.ch

Claude.Buehler@gmx.net

(Die Kolumnisten sind in ihrer Meinung frei;
sie braucht sich nicht mit jener der Redaktion zu decken.)

www.onlinereports.ch
© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.

Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigenen Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.

 

https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif
"SP setzt Beat Hans und Jon Pult auf das Bundesratsticket."

Schaffhauser Nachrichten
auf der Frontseite
vom 27. November 2023
https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif

Das ist doch Jans was Heiri ...

RückSpiegel


Die bz zieht den OnlineReports-Artikel über die frühere Grellinger Kirchen-Kassiererin nach, die ihre Verurteilung vor Bundesgericht anficht.

Die Basler Zeitung und Happy Radio greifen die OnlineReports-Recherche zur Girema Bau AG auf.  

 

bz und Happy Radio zitieren den OnlineReports-Bericht über den Liestaler Buchladen Rapunzel, der schliesst.

Die bz bezieht sich in einem Artikel über den Asyl-Streit in den beiden Basel auf einen Leserbrief auf OnlineReports.

In einem Artikel über den Richtungsstreit innerhalb der Baselbieter SVP zitiert die Basler Zeitung aus OnlineReports.

Die bz vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Abgang des Gelterkinder Gemeinderats Pascal Catin.  

Die Basler Zeitung nimmt in einem Artikel über die Baselbieter FDP-Landrätin und Nationalratskandidatin Saskia Schenker Bezug auf OnlineReports. 

In einem Artikel über die polarisierende Jungpolitikerin Sarah Regez (SVP BL) bezieht sich die Basler Zeitung auf OnlineReports.

persoenlich.com vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Wechsel der Basler Journalistin Andrea Fopp von Bajour zur NZZ.

Happy Radio greift den Bericht von OnlineReports über die Deponie Höli Liestal AG auf.

Die Volksstimme bezieht sich in einem Porträt über den freiwilligen Verkehrsregler in Rickenbach, Robert Bussinger, auf einen früheren Artikel von OnlineReports.

Die bz greift den Bericht von OnlineReports über den Eklat am Baselbieter Kantonsgericht mit dem sofortigem Rücktritt eines Vizepräsidenten auf.

Die bz zitiert in ihrem Nachruf auf Hans Rudolf Gysin aus dem OnlineReports-Porträt "Die Hans Rudolf Gysin-Story: Auf der Spur eines Phänomens".

Zahlreiche Medien haben die Nachricht über den Tod von Hans Rudolf Gysin aufgenommen: Basler Zeitung, bz und weitere Titel von CH Media, Prime News, Volksstimme, Bajour, Baseljetzt, SRF-Regionaljournal Basel, Happy Radio, nau.ch.

Weitere RückSpiegel

Werbung







In einem Satz


Sonja Kuhn, ehemalige Co-Leiterin der Abteilung Kultur Basel-Stadt, ist neu Präsidentin der SRG Region Basel.
 

Florian Nagar-Hak und Saskia Bolz übernehmen die Leitung des Gesundheitszentrums Laufen, das zum Kantonsspital Baselland gehört.

Mohamed Almusibli übernimmt ab März 2024 die Direktion der Kunsthalle Basel von Elena Filipovic.

Marilena Baiatu ist neue Kommunikationsbeauftragte der Staatsanwaltschaft im Kanton Baselland und ersetzt Thomas Lyssy, der Ende November pensioniert wird.

 

Mitte-Landrat Simon Oberbeck folgt am 1. August 2024 als Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Schifffahrtund Hafenwirtschaft auf André Auderset.

Die Junge SVP Basel-Stadt hat Demi Hablützel (25) einstimmig für zwei weitere Jahre als Präsidentin wiedergewählt.

Dominic Stöcklin wird neuer Leiter Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung von Basel Tourismus.

 

Samir Stroh, aktuell Gemeindeverwalter in Brislach, übernimmt Anfang Mai 2024 die Leitung von Human Resources Basel-Stadt.

Das Sperber-Kollegium hat Sterneköchin Tanja Grandits zur "Ehrespalebärglemere 2023" ernannt.

Der mit 50'000 Franken dotierte Walder-Preis geht dieses Jahr an Konrad Knüsel, den Präsidenten des Vernetzungsprojekts Rodersdorf und des Naturschutzvereins Therwil.

Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).

Am 1. Juni 2024 übernimmt Veronika Röthlisberger die Leitung der Gebäudeversicherung Basel-Stadt von Peter Blumer, der danach pensioniert wird.

Hanspeter Wäspi (57, Rheinfelden) ist neuer Geschäftsleiter von Procap Nordwestschweiz.

Die Leitung der Abteilung Finanzen und Controlling im Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt obliegt ab 1. Dezember Thomas Schneider, der die Nachfolge des Bald-Pensionierten Daniel Hardmeier antritt.

Stefan Binkert wird neuer Rektor des Wirtschaftsgymnasiums und der Wirtschaftsmittelschule Basel; er folgt in dieser Funktion auf Patrick Langloh, der ab 1. Januar 2024 die Leitung des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung im Erziehungsdepartement übernimmt.