Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung
"I hired Tristan und Isolde"
Eine europäische Saga
Regie: Astrid Meyerfeldt
Dramaturgie: Martina Grohmann
Bühne: Philipp Berweger
Video: Vivianne Andereggen
Musik und Sounddesign: Malte Preuss
Kostüme: Kathi Maurer
Mit Martin Butzke, Nicole Coulibaly, Hanna Eichel, Benjamin Kempf, Florian Müller-Morungen, Malte Preuss, Jan Viethen
Ein Panoptikum der Liebes- und Lebensirrungen
Wenigstens darüber besteht kein Zweifel: Dieser "Tristan" hat seinen Sitz im Kopf. In dem von Marke beispielsweise. Der unglückliche König sitzt in schlichtem Schwarz als Erzähler neben der Bühne. Mit freudlosem Mund richtet er sich via Projektion in Übergrösse frontal ans Publikum. Wie sein Ziehsohn Tristan und seine Braut Isolde ihn betrügen, wird er uns erzählen. Nicht nur im Leben betrügen, sondern auch im gemeinsamen Liebestod, was ihn beinahe härter trifft: "Ich weiss kein passendes Ende für mich", schliesst er am Ende tonlos während Richard Wagners Opernfinale verebbt, diese grausame hymnische Sehnsuchts-Ausuferung eines übermenschlichen Liebesbegriffs, von dem er als Betrogener ausgeschlossen blieb.
Im Kopf aber auch der Macherinnen: Der Schauspielerin Astrid Meyerfeldt, die hier als Regisseurin debütierte und der Dramaturgin Martina Grohmann, denen es nicht genügte, Gottfried von Strassburgs ins Neudeutsche übersetzten Versroman (um 1210) nachzuspielen. Der Stoff ist Dramatik pur: Schuld, Rache, Schwüre, Liebesverrat, Mordkomplotte, Zaubertrank, Mondnächte.
Aber Meyerfeldt/Grohmann entschieden sich für einen "Tristan" als komplex ausgestaltetes Panoptikum der Liebes- und Lebensirrungen. Und das soll zunächst mal die Köpfe im Publikum fordern. Harte Schnitte spicken einen unvermittelt vom Mittelalter in die Jetztzeit, vom einen theoretischen Monolog ins nächste Gedicht und wieder retour in die Handlung, die von der Version Wagners und Strassburgs hin- und herzappt. Allzubald sieht man sich gleich in mehrere Diskurse verstrickt über Tod und Selbstaufgabe, mythische Liebe und profane Triebe, göttergleiche Schicksalsmacht und moderne Lebensgestaltung.
Nur Sekunden bleiben uns, um über einen Satz wie "Die Liebe ist eine biopolitische Aktion" nachzudenken. Der Tristan sei ein "moderner Mensch", tönt Martin Butzke als Tristan. Oder monologisiert er gerade als Maler Oskar Kokoschka? Es ist jedenfalls viel - und es wird noch viel mehr.
Der Kopf ist auch das erste Körperteil von Belang am Abend: Henri Boulanger steckt ihn sich durch die Schlinge. Henri Boulanger? Richtig, der Antiheld aus Aki Kaurismäkis Verlierer-Film "I hired a contract killer" (1990). Ja, auch diese Erzählebene kommt noch dazu: Wie als modernes Echo der mythischen Helden treten die modernen Gesellschaftsaussenseiter Henri und Margaret auf. Was hat das alles miteinander zu tun?
Gewiss, Henris wiederholte Aussage "Ich trinke nicht" sei hier wohl Verweis auf den Liebestrunk, der Tristan und Isolde erst in den verhängnisvollen Liebesrausch, in die verbotene Liebe versetzte. Auch klar: Die kargen Aussagen der Modernen sollen den rauschhaften Überschwang der Wagner-Charaktere auf den Realitätsbezug abklopfen. Und wenn Kokoschka eine menschengrosse Frauenpuppe (Alma Mahler?) liebkost, dann soll das wohl heissen: Bei Tristan und Isolde geht es nicht nur um liebende Zuwendung zu einem Du, sondern um Ego-Trip.
Allein, statt einem dramatischen Bühnenakt ist der Abend eine kopfige Assoziations-Orgie ohne erkennbares Zentrum. Die Befragung des Tristan-Stoffs führt nicht in die Tiefe zum Hauptsatz, sondern zu mehr Nebensätzen, mehr Nebenschauplätzen. Die Aufführung bleibt so unklar wie ihr Titel: "Ich heuerte Tristan und Isolde an". Was soll uns das erzählen?
So hält man sich im Publikum ans Konkrete, an einzelne Szenen. Und diese hat Regisseurin Meyerfeldt, die sich auch in Basel als eine technisch versierte Schauspielerin gezeigt hatte, für hiesige Verhältnisse schauspielerisch aussergewöhnlich genau angeleitet. Beispiele: Wenn Müller-Morungen als Marke betrunken seine Bitterkeit über den Betrug in die Tafelgesellschaft schleudert, so kann man hier eine leidende Kreatur erleben - und einen Schauspieler, der sich im Sturm der Emotion das Heft nie aus der Hand nehmen lässt. Kaum je hat man Hanna Eichel als Isolde mit einer derart zupackenden Sprachgestaltung erlebt.
Es muss dazu allerdings auch gesagt sein, dass zwei weitere Probewochen gut getan hätten. Das Ensemble hier ist dynamische und dramatische Spitzen, die klar zu führen sind, nicht gewohnt. Meyerfeldt hat sie verlangt. Das Publikum hat dankbar applaudiert.
20. April 2012