Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung
"LSD – Mein Sorgenkind"
Eine Kette glücklicher Zufälle, organisiert von Thom Luz
Inszenierung: Thom Luz
Dramaturgie: Ewald Palmetshofer
Bühne: Wolfgang Menardi, Thom Luz
Musikalische Leitung: Mathias Weibel
Kostüme und Lichtdesign: Tina Bleuler
Mit Carina Braunschmidt, Mario Fuchs, Wolfgang Menardi, Daniele Pintaudi, Mathias Weibel, Leonie Merlin Young
Unverbaubare Aussicht auf die Sternensysteme
Zunächst mal darf man das Theater Basel zu dem Entscheid beglückwünschen, die für diese Stadt so prominente Pharma-Geschichte auf den Spielplan zu setzen. Kaum eine andere Erfindung aus Basel hat die Welt so massenwirksam erobert wie LSD, und wohl keine hat derart einschneidend auf das Kulturempfinden von Generationen eingewirkt, inklusive der grossen Mehrheit, die die Substanz gar nie ausprobierte.
Wer aber nun auf Hippie-Folklore im Schauspielhaus hofft, kann zuhause bleiben. Kein Jimi Hendrix, keine psychedelischen Pop-Bilder, keine sich schlangenartig im Rhythmus windenden Blumenkinder. Ein guter Entscheid: TV-Dokus über den Einfluss der "Wunderdroge", die mit dem Abfeiern der erfrischenden Rock-Sounds der Endsechziger auf den Lustkick setzen, gibt es schon genug, und ihr Erkenntnisgewinn geht selten über die Befriedigung nostalgischer Sehnsüchte hinaus.
Aber auch ein folgenschwerer Entscheid, denn im Titel zu Thom Luz' Abend steht auch "Sorgenkind", und dahinter steckt eine dramatische Geschichte, von der der neue Hausregisseur gar rein nichts erzählt – die der Basler LSD-Entdecker Albert Hofmann aber in seinem 1979 erschienen Buch gleichen Titels ausführlich beschrieb, etwa, wie er von seinem Vorgesetzten bei Sandoz gerügt wurde: "Ich wünschte mir, Sie hätten LSD nie erfunden".
Tatsächlich stellte Sandoz in den sechziger Jahren sämtliche Arbeiten im Zusammenhang mit LSD-25 ein – der Tribut an die Folgen des kaum mehr kontrollierbaren Massenkonsums, den Hofmann missbilligte. Die Schlagzeilen über Suizide unter LSD-Einfluss hatten sich gehäuft. Polizeiorgane aus der ganzen Welt hatten Sandoz mit Anfragen zu Analysen und Nachweismöglichkeiten belastet. Mit dem amerikanischen Psychologen Timothy Leary, der LSD auch jungen Leuten gab, stand der Hofmann jahrelang im Konflikt. Von alledem, wie gesagt, nichts in der 80-minütigen Performance.
Statt von Problemen zu erzählen, will uns Thom Luz zum Staunen bringen, etwa über die hohe, neonbeleuchtete Halle, durch die Leute in weissen Laborkitteln geschäftig ihre Gänge nach Gesetzmässigkeiten gehen, die wir nicht verstehen. In dieser sterilen Laborwelt überrascht uns Vogelgezwitscher. Es erinnert an Hofmanns Kindheitserlebnis in einem Wald, als er eine "Verzauberung", erstmals eine Art Durchbruch durch die Alltagswirklichkeit wahrnahm – wie er ihn später ähnlich unter LSD-Einfluss erlebte. Das Licht, die Farben, die Geräusche sprachen viel direkter als sonst zu ihm. An dieses Sensorium appelliert Luz.
Ins Vogelgezwitscher wird ein wimmernd quietschendes Wägelchen geschoben. Jemand dreht an einem alten Moog-Synthesizer die Knöpfe als wäre es ein Analysegerät aus der Chemie: Sägezahntöne dröhnen, Stimmfetzen brechen durch wie aus einer anderen Wirklichkeit. Die Leute bewegen sich langsam, ein Gefühl gedehnter Zeit entsteht. Mit lautem "Hoi" platzt ein Fahrradfahrer hinein; seinen ersten Trip hatte der Chemiker auf dem Velo erlebt: Durch seine Fingerkuppen hatte er die Substanz unwissentlich aufgenommen.
Der Trip setzt die Forschungsmaschinerie in Gang. Die Laborleute zerschneiden das Velo, studieren die mit Kopfkamera aufgezeichnete Velofahrt auf Bildschirmen. Über die Bilder erzählt der Fahrradfahrer Hofmanns Walderlebnis, legt so die beiden bestimmenden Ereignisse von Hofmanns LSD-Karriere übereinander. Wenn Carina Braunschmidt mit aufgerissenen Augen und hohler Stimme das (fiktive) Protokoll der Velofahrt wiedergibt, prallen das Sakrale wissenschaftlicher Befunde und das Profane unserer Strassen mit komischem Reiz aufeinander: "Erweiterung der Pupillen beim Eintritt in den St. Johannsring, angsterfüllt auf dem Bundesplatz, Aufhebung der Du- und Ich-Schranke beim Rütimeyerplatz."
Bald werden Klaviere aufgefahren, Papierbahnen eingezogen, auf denen sich das Klavierspiel Mathias Weibels (Bach, Mozart, Chopin) mit verschiedenen Farben aufzeichnet. Die Papierbahnen – man kann sie als Protokolle von in die Musik sublimierter Formeln, als Banner unseres hilflosen Wissenschaftsbewusstseins, als DNA-Reihen sehen – werden an den Zügen hochgezogen. Bald hängt der Raum voller meterlanger Bahnen, Licht fällt von oben darauf wie bei der Dämmerung. Man schaut den Vorgängen, der Entstehung der Bilder, gebannt wie dem Flug einer Fliege zu – oder folgt ihnen ohne Zuneigung. Beim Schlussapplaus jubelten die einen, bei den anderen blieben die Hände auf dem Schoss.
Gewisse Einwände sind angebracht: Die Inszenierung scheint sich im Spiel mit Bilderschöpfungen selbst zu genügen. Luz zelebriert eigene Vorstellungen aus Wohlbekanntem, ohne weitere Entdeckungen zum Thema oder zu Hofmann zu ermöglichen. Die Beziehung etwa zwischen den Kernpunkten, Hofmanns Walderlebnis und seinem Velo-Trip, bleibt diffus.
Aber Luz kann einem das Erlebnis stiller Heiterkeit vermitteln. Wenn die Musik auf Bahnen in den Himmel fährt, wenn die Laborleute plötzlich auf Fahrradspeichen Violine spielen, wenn eine Verkehrsampel sich auf einmal nach Tönen richtet, oder wenn Bottmingen (wo Hofmann damals wohnte) als Wohnort angepriesen wird "mit unverbaubarer Aussicht auf die Sternensysteme". Und das ist doch schon viel.
1. November 2015