Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Sex, aber mit Vergnügen"
Autor: Franca Rame, Dario Fo, Jacopo Fo
Regie: Christian Vetsch
Ein Soloabend mit Andrea Bettini
Orgasmus-Workshop im Schauspielhaus
Andrea Bettini führt ein Doppelleben. Als festes Ensemblemitglied am Theater Basel (seit 2001) erfüllt er als Schauspieler die Regie-Einfälle bei den Klassikerbearbeitungen, aber als Mitglied seiner eigenen Truppe "I pelati delicati" nennt er sich Geschichtenerzähler. Und das ist sein Element. Nicht immer kriegt er das nämlich auch bei den Klassikern ganz weg: Seine offensichtliche, sinnliche Lust am Auftritt, die Freude an der Kommunikation von Gemüt zu Gemüt im Publikum, sein inständiger Wunsch als ehrlicher Bursche rüberzukommen. Denn Bettini ist kein Possenreisser.
Nun also Sex. Wenig verwunderlich, dass er, der Geschichtenerzähler, sich dazu der Tradition seines Ursprungslandes Italien erinnerte und den Text der beliebten, linken Theatermacherin Franca Rame "Sesso? Grazie, tanto per gradire!" von 1994 wählte: Kein geschliffenes Stück Theaterliteratur, vielmehr ein thematischer Redemonolog mit komischen Exkursen, kurzen Vorspielszenen und viel Autobiographie. Die Botschaft im wesentlichen: Leute, redet darüber, nennt die Dinge beim Namen, ich konnte es nicht wegen dem Katholizismus in Italien, wegen meiner sehr katholischen Mutter. Die redete statt von Vagina vom "vorderen Gesäss".
Ist das noch ein Thema, heute, in der Schweiz? Bettini bemüht dazu nicht etwa die Debatte um die Schwulenplakate im BLT-Tram. Vielmehr vertraut er mit guten Gründen darauf, dass wir, vor allem die Männer, immer noch zu wenig darüber reden, denn er mischt in die Erlebnisse Rames mit seinen eigenen. Wenn er etwa schildert, dass er sich mit 20 Jahren absichtlich so bekifft habe, damit das erste Mal ins Wasser fiel. Oder wie es ihn, den damals Pubertierenden, beinahe überfordert habe, mit der grossbusigen Nachbarin, Frau Welti, im Lift zu fahren. Über die natürlichen Wunder gerät er zum Gelächter des Publikums noch heute ins Schwärmen: "Und ich sah die Alpen!"
Neues hat Bettini wenig zu erzählen. In den Bann schlägt er das Publikum aber mit der charmanten Art, wie er es tut, und das von Beginn weg. Mit blonder Perücke, im lachsfarbenen Kostüm, rauscht er als Franca Rame auf die Bühne, italienisch dahersprudelnd. Bald empört er sich darüber, warum es denn als Nonna (Grossmutter) verboten sein soll, über Sex zu reden, dann fordert er das Publikum auf, unter sich doch mal über Sex und den Grund zu reden, warum man diesen Abend besuche.
Schliesslich fährt Rame/Bettini mit der Schilderung fort, wie sie als 18-jährige Krankenpflegerin auf Anweisung des Arztes den Penis eines 20-Jährigen habe halten müssen, der seine Regungen bald nicht mehr unter Kontrolle gehabt habe. Das laute Gelächter verstummt aber kurz darauf, wenn das Publikum aufgefordert wird, in einem Abfragespiel die lateinischen Namen der Sexualorgane zu nennen. "Skrotum" ruft Bettini mit Basstimme, schwingt sein Becken zu "Ejakulation". Und bekennt schliesslich mit entwaffnendem Charme, auch er als Mann könne ja nicht über Sex reden: Warum sonst habe er es nötig, dazu in Frauenkleidern aufzutreten?
Damit wir das lernten, und nun wird er politisch, sei es unbedingt nötig, die Initiative, die den Sexualunterricht unterbinden wolle, abzulehnen, und unter Lachern zeigt er Bilder des Plüschpenis und der Plüschvagina aus dem Basler Sexkoffer. Seinen Bogen zieht er weiter zum weiblichen Orgasmus. Als Rame beschwört er die Damen, doch mal ein Rendez-vous bei Kerzenlicht mit sich allein zu veranstalten und nicht auf den Mann fixiert zu bleiben. Der gut einstündige Abend gipfelt im Orgasmus-Workshop nach amerikanischem Vorbild, zu dessen Teilnahme er das Publikum auffordert, und in dem Bettini mit sichtlichem Genuss vordemonstriert, dass guter Sex nur mit Vertrauen und Ruhe zustande komme.
Bei allem Gestöhne, dass er von sich gibt, Bettini ist nicht frivol. Der Abend wärmt an, wird aber nie obszön oder zynisch. Auch Franca Rame verkörpert er ohne aufgesetzt "weibliches" Getue, versprüht aber vom Scheitel bis zu den Absätzen die temperamentvolle Erotik einer reifen Dame.
So kann er ohne Bruch dem vergnüglichen Parcours über Verspanntheiten und Entspannung einen ernsten Epilog anhängen: Rames Schilderung ihrer brutalen Gruppenvergewaltigung. Vier Männer aus polizeilichen und faschistischen Kreisen fielen über die politisch engagierte Bühnenkünstlerin her, misshandelten sie sexuell, auch mit Zigaretten, Rasierklingen. Leise spricht er in das Auditorium. Aber auch hier verweigert er jeden Effekt, um billige Betroffenheit zu erhaschen. Er, der Geschichtenerzähler, berichtet es einfach.
30. Januar 2015