Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Alte Meister"
Regie: Christiane Pohle
Bühne: Annette Kurz
Mit Andrea Bettini, Urs Bihler, Martin Hug, Steve Karier, Barbara Lotzmann, Chantal Le Moign, Jörg Schröder, Lilith Stangenberg, Thomas Wodianka u. a.
Bernhard - eine Nummer zu gross
Thomas Bernhard gehört zu den geschicktesten Dramatikern des 20. Jahrhunderts. Auch zu den Erfolgreichsten. Das Theater Basel aber hat den Prosatext "Alte Meister" von 1985 dem umfangreichen Dramenwerk des Österreichers vorgezogen. Und ist daran gescheitert. Die Hauptfigur, der 82-jährige Wiener Musikkritiker Reger, lässt einen kalt. Der Applaus im vollbesetzen Schauspielhaus war zäh.
Bei Reger bricht durch den Tod seiner Frau die Lebenswunde erneut auf. Er gönnt sich aber keinen Trost. Schon gar nicht in der Kunst, für die er lebt: Er kritisiert unnachgiebig die alten Meister, Tizian, Michelangelo, Giotto, Beethoven, die Kunst an sich ("nur Antlitze, keine Gesichter"). Um weiter zu leben, müsse er immer den entscheidenden Fehler suchen. Der Gedanke an das Vollendete bedroht ihn.
Zur Beruhigung gönnt sich Reger nur seine Gewohnheit: Jeden zweiten Vormittag besucht er das Wiener Kunsthistorische Museum, setzt sich im Bordone-Saal vor Tintorettos Weissbärtigen Mann. Für drei Stunden! Seit über 30 Jahren! Weil für ihn die Bank und die Raumtemperatur "ideal" sind. Der Saaldiener Irrsigler hält ihm die Bank von anderen Besuchern frei.
Dort kann Reger nachdenken: Eine hochdisziplinierte Persönlichkeit, die bei sich selber nicht das Kleinste durchgehen lassen will, die jeden Fehler möglichst schmerzlich benennt. Reger schimpft auch über die Lehrer, den Nationalsozialismus, Katholizismus, die Verkommenheit des Staates, der Justiz und der Politik, über Wiens schmutzige Toiletten, die Eltern, die Musiküberflutung im öffentlichen Raum. Es liest sich befreiend. Reger/Bernhards masslos übertriebene Kritik offenbart einen wahren Kern.
Aber nicht diesen subversiven und gefährlichen Schwerpunkt hat Regisseurin Christiane Pohle eingenommen, sondern den der akademisch geschulten Theaterkollagen-Bastlerin: Wie wird man halt mit so einem komplexen Text szenisch fertig? Dabei erwies sich: Bernhard ist für sie eine Nummer zu gross.
Sie hat Reger aus dem Bordone-Saal in einen riesigen Gerichtssaal versetzt. Die von seiner Kritik "zerstörten" alten Meisterwerke werden als real zerstörte Beweisstücke an Hebewinden aus dem Boden gehoben, deren Zerstörungsgrad laut schnarrend eine Gerichtssprecherin protokolliert. Das heisst wohl, er werde vom eigenen Unbewussten vor Gericht gezogen. Stimmt das zu einem Reger? Ist es nicht eher so, dass ein Reger ja immer Verantwortung selber übernehmen will?
Sicherlich ist aber das Bild für die Theatermacher sehr praktisch. So kann man den langen Text auf mehrere Personen, Zeugen, verteilen. Denn sonst sprechen nur zwei Leute, Reger (Bihler) und sein Freund Atzbacher (Schröder). Das fürchten junge Regisseure heutzutage. Die Zeugenaufrufe und die Auf- und Abgänge ergeben weitere dramaturgische Schnitte. Diese umtriebige Maschinerie, versetzt mit Klamaukzusätzen, im gleissenden Licht stört aber die Vertiefung der Figur erheblich, zumal Urs Bihler als Reger eine durchaus ernst zu nehmende und engagierte Verkörperung abgibt.
Leider wurde auch der Text zerstückelt. Anstelle von Bernhards musikalischer Textkomposition mit spiralförmig entwickelten Tiraden bekommen wir an mehreren Stellen einen Bernhards Stil karikierenden Schimpftext mit extra vielen gleichlautenden Wiederholungen. Die Schauspieler brüllen ihn heraus, bis die Stimmen überkippen. Reger wird so als banaler Rentner-Stänkerer mit Alltagssorgen verunglimpft, der bloss bieder an seinen Widersprüchen gemessen wird. Das ist weder spannend noch humorvoll.
Völlig ausgelassen bleibt auch ein sehr wichtiger Mitspieler: Das Wienerische. Es ist unverständlich, dass die Macher Bernhards freche Mentalitäts-Zurschaustellung überhaupt nicht beachteten. Denn dieser Text konnte ja nur in Österreich entstehen.
25. Oktober 2008
"Ressentiments sind schlechte Ratgeber"
Wer andern unterstellt, die eine oder andere Aufgabe sei eine Nummer zu gross für ihn oder sie, müsste selber in der Lage sein, die eigene Aufgabe auf Augenhöhe des eigenen Anspruchs einzulösen. Für einen Theaterkritiker würde das bedeuten: Vorurteilslos hinsehen und beschreiben, was auf der Bühne zu sehen ist, sensibel zuhören, Stimmung im Publikum aufnehmen und in Rechnung stellen, dass man selber vielleicht nicht ganz alles verstanden hat.
Wer spürbar vorsätzlich junge Regisseurinnen niederschreibt, indem er Thomas Bernhard in einen nur von sich selber definierten Olymp erhebt und sich selbstredend gleich noch selber neben den Thron setzt, der muss mit Widerspruch rechnen oder läuft Gefahr, ignoriert zu werden. Für Theaterkritiker waren Ressentiments, Neid und Überheblichkeit schon immer schlechte Ratgeber. Ich wünschte mir des öftern weniger taufrische, dafür etwas reflektiertere Rezensionen. Tempo ist nicht alles.
Niggi Ullrich, Arlesheim
"Thomas Bernhard ist in Basel angekommen"
Ich glaube, man soll in Thomas Bernhards Textvorlage nicht zu viel mystifizierende Grösse suchen. Er selbst hat seinen Roman eine Komödie genannt. Deswegen geht es ihm sicher nicht (jedenfalls nicht vornehmlich) darum, "die Stadt Wien, den Staat Österreich und die katholische Kirche" zu kritisieren. Vielmehr führt er uns den nörgelnden, misanthropischen Reger als eine lächerliche Figur vor. Und genau das funktioniert hervorragend in der Basler Theater-Adaption. Das häufige herzliche Lachen im Publikum ist der beste Beweis dafür.
Durch die Aufteilung auf mehrere Rollen gelingt es, die verschiedenen Facetten dieser Lächerlichkeit (Selbstmitleid, Einbildung, Wahn) plastisch und überzeugend darzustellen.
Im übrigen stimmt es nicht, dass Bernhards Text nur im Wienerischen Milieu funktioniert. Wenn es so wäre, gäbe es keinen Grund, ihn in der Schweiz aufzuführen. An einer Stelle der Inszenierung flicht die Gerichtsprotokollantin einige wenige Sätze in Baseldeutsch ein. Ein solch kleines Mittel reicht, um das Stück von der Kitsch-Gefahr des "Wiener Schmäh" zu befreien. Und es funktioniert: Thomas Bernhard ist in Basel angekommen.
Johannes Nordiek, Schopfheim
"So ein untheatralisches Stück"
Nichts gegen den Versuch, einen Prosatext in ein Theaterstück umzuwandeln. Dies ist hier aber eindeutig nicht gelungen. Die Verteilung der Reflexionen auf die Personen wirkte gesucht. Nichts gegen die Schauspieler! Doch ein solch untheatralisches Stück können die besten Schauspieler nicht retten: Nach anfänglichem Interesse an der stummen Zerstörung kommt je länger je mehr Langeweile auf - schlimmer als jede Provokation, die einem wenigstens wach gehalten hätte.
Walter Frey, Basel