Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung
"Isoldes Abendbrot"
von Christoph Marthaler und Ensemble
Regie: Christoph Marthaler
Bühne: Duri Bischoff
Kostüme: Sara Kittelmann
Licht: Heidvoegelinlights
Dramaturgie: Malte Ubenauf
Mit Anne Sofie von Otter, Raphael Clamer, Bendix Dethleffsen, Ueli Jäggi, Graham F. Valentine
Die Melancholie des Unzulänglichen
Gerade eben war Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen" verklungen. In den Spiegel hatte die Mezzospranistin Anne Sofie von Otter Rückerts Zeilen des Rückzugs von der Welt gesungen, inmitten ihrer Bartresen, die nun wirken wie eine Burg. An den Hockern, die auf Drehbühne die Bar endlos umkreisten, lagen und hingen die Hosen, Jackets, Hemden jener Herren, die eben noch den mondänen Raum bevölkerten, mit ihren Geschichten anfüllten. Leger, aber kunstvoll drappiert wirkten sie wie erstarrt in jener letzten Bewegung, die wir von Menschen in Erinnerung behalten bevor sie verschwanden.
Wenn nun begeisterter Applaus mit Jubelrufen losbrach, so sicher aus Dankbarkeit für so klug durchdachte Sinnbilder, die hier ihr finales im Begriff "Verschwinden" fanden, der die ganzen zwei Stunden durchwehte.
Poetische Bilder, bei denen man gern verweilt, ihren Geschmack zu kosten. Hinreissend etwa jenes des Schattens an der Wand, den von Otter wirft, wenn sie auf der Bar wie auf dem Hochseil balanciert und dazu Erich Korngolds Lied "Versuchung" intoniert. Man fühlt sich in einen alten Schwarzweiss-Klassiker versetzt. Glasklar dieses, wenn drei Männer auf ihren Barhockern wie Kandidaten um von Otter kreisen, während sie im heiteren Chanson "Le Tourbillon" von einer On-Off-Liebschaft berichtet. Die Komik des Bildes hätte auch einem Tati oder dem späten Bunuel einfallen können. Ob es der 63-jährige Marthaler gewollt hat oder nicht, sein Liederabend über das Verschwinden besingt auch das Zuendegehen einer romantischen Erotik und Kunstauffassung.
Allein das Interieur: Solche Hotelbars mit hohen, dunklen Kassettendecken, schweren, knarrenden Ledersesseln auf grünem Teppich, mit Klavier, Harmonium und elektrischem Kaminfeuer werden heutzutage hierzulande nicht mehr gebaut. In solch kühler Sphäre prätentiöser Teppich-Gutbürgereleganz wirkt der geschliffene Zank zweier ehemals Verliebter, die sich zufälligerweise, beide in den Flitterwochen, treffen, sehr delikat, weil die benimmgeschulten Leute Form bewahren, auch wenn sie Gift verspritzen. Überschäumend ist die Energie, wenn Graham F. Valentines das Wort "ecstaticly" ausspuckt, um sein neues Liebesglück zu beschreiben.
Verweilen will man nicht nur, weil die Bilder alle so rein schön wären – da hat Marthaler mit seinen üblichen Gags für Brüche gesorgt –, aber weil sie immer wieder von Schönheit, sogar Erhabenheit künden. Etwa, wenn Ueli Jäggi das Schubertlied "Dass sie hier gewesen" mit seiner Schauspielerstimme anstimmt, so hören wir nicht die höchste Ausformung, aber wir fühlen, was gemeint ist und erleben zugleich die Melancholie des Unzulänglichen. Den Liebestod aus dem "Tristan" wagt das Ensemble, noch zu summen oder es bricht aus ins Hundeheulen vor dem Mond. Noch träumt man vom Traum, aber er ist weit weg gerückt. Isoldes Abendbrot, das sind die Erinnerungen.
Sie, in der Rolle der Barkellnerin, erinnert sich geformt in Liedern, nimmt die Gäste kaum zur Kenntnis. Seelisch weniger kultiviert sind die Herren, die ihr etwa mit Brunstrufen zur Bar folgen, ihr mit allerlei Verrenkungen nachgucken. Raphael Clamer redet nur vom Geld, das ihn mit Liebe verbindet, Ueli Jäggi tischt ihr den mütterlichen Eintopf auf, der das grösste kulinarische Ereignis seines Lebens geblieben sei. Alle sind sie bereit, Isoldes roten Trunk zu kosten, den sie lächelnd in blauen Handschuhen serviert, der hier aber nicht wie in der Wagneroper zur Liebe führt, sondern den Tod bringt. Der verblüffende Todessturz Clamers' ist in Worten kaum wiederzugeben.
Geblieben ist diese Liebe zum Detail, zur Ausformung. Auch wenn Marthaler 28 Lieder in zwei Stunden aneinanderreiht: Keine szenische Handlung wird zum blossen Übergang degradiert. Alles hat Zeit und Raum. Das Ensemble – eine Wohltat – wirkt so souverän, dass es bei aller Präzision in jeder Sekunde spontan wirkt. Die Atmosphäre des Bühnenbilds von Duri Bischoff hält, auch mit Hilfe eines etwas zu weissen Lichts, genau die Waage von nicht heruntergekommen aber gebraucht.
Weniger geworden sind aber gegenüber den letzten Schauspiel-Produktionen die Gags. Natürlich muss beim Öffnen des Zigarrenkastens eine männliche Lautsprecherstimme erklingen, und klar, dass sich das elektrische Kaminfeuer auf Knopfdruck nach hinten schwingen lässt, damit das Harmonium hervorkommen kann. Soviel Markenzeichen muss sein. Aber die Figuren etwa sind weniger Marthalersche Spielpuppen, mehr ungebrochenes Sentiment war erlaubt. Der Meister skurrilen Humors entpuppte sich hier als einer, der die Menschen liebt.
18. Mai 2015