Wahlen und ESC: Chloé weiss mehr
"Nonnonnon, ma cherie, isch 'abe nischt gemeint, du sollst etwas über die Regierungsratswahlen in Basel schreiben. Das ist langweilig. Sogar die Keller wird im Amt bleiben."
Ich sitze Chloé, meiner geliebten Voodoo-Tante, in ihrem Studierzimmer gegenüber. Ein frisch mit Palo Santo geräucherter Raum. Ich kann all die Schwingungen noch riechen, die guten Seelen fühlen. Chloé will für mich in die Tarotkarten und damit in die Zukunft blicken. Ich hoffe auf eine heisse Story für mein Magazin La monda – il mondo femminile.
"Aber Chloé", entgegne ich, "du hast doch gesagt, es handle sich um eine Gruppe von Hysterischen, von Geschmacklosen, die Phrasen dreschen und sich viel zu wichtig nehmen. Und die EDU wolle den ganzen Zirkus loswerden. Um was kann es sich also handeln, wenn nicht um den Basler Regierungsrat?"
"Carmela, isch spresche doch vom Eurovision Song Contest, der im nächsten Mai die marode St. Jakobsalle zittern lässt."
Man könnte meinen, man lese eine regionale Tageszeitung. Chloé lässt ihrer Begeisterung freien Lauf. Nennt den Eurovision Song Contest Basels grosse Chance, sich weltweit einen Namen zu machen. Gerade jetzt, da der FCB international in Vergessenheit gerät, touche ma bouche in Rente gehen und Almi mit HD Läppli ein Star werden will.
"Die Wahl der Qual." © Illu by Alessandro Ballato
"Der ESC wird ein kostspielige Angelegeneit", sagt Chloé mit erhobenem Zeigefinger. "Allein 35 Millionen investiert Tanja Soland aus einem ihrer Staatskässeli. Trotzdem dürften die Eintrittspreise bei 500 Franken liegen. Wer sich also ein ESC-Ticket leisten kann, für den sind sogar Schweizer Krankenkassenprämien finanzierbar."
"Und für die übrigen?", will ich wissen.
Chloé zieht eine Karte, den Tod. "Ihnen wird der neue Sarco-Katalog zugeschickt – vom Kapsel-König Philip Nitschke 'öchstpersönlisch."
"Kennst du die kleinste Einheit von IQ? Ein Supino."
Ich bemerke, seit meinem letzten Besuch hat sich das Studierzimmer leicht verändert. Chloé hat die Porträts bedeutender Politiker an ihrer Wand neu sortiert. Geblieben sind John F. Kennedy und Thomas de Courten. Charles de Gaulle musste weichen. An seiner Stelle hängt neu Sanija Ameti, die ihren Kleinen im Arm hält.
"Voilà", Chloé legt den Teufel auf den Tisch. "Aus den asozialen Medien 'abe isch erfahren, les riches finanzieren sisch ihre Tantiemen, indem sie Stellen abbauen. VW will Lohnkosten im Umfang von 5 Milliarden Euro sparen, nachdem der Konzern 4,5 Milliarden Euro an die Aktionäre überwiesen 'at."
"Aus den asozialen Medien hast du das? Facebook? Instagram?"
"Nein, nischt daer, isch 'abe die Zeitungen der Tamedia gelesen. Die macht das gerade genauso. Die Formel lautet: Pietro Supino, rechte 'osentasche, 'inten." Keine nachhaltige Massnahme, kritisiert Chloé. Fast schon ein wenig dumm. "Kennst du die kleinste Einheit von IQ? Isch sage dir: ein Supino."
"Konzentrieren wir uns auf den ESC, Chloé", fordere ich mein Eso-Lieschen auf. "Kannst du sehen, wer die Schweiz vertreten wird. Elisabeth Ackermann an der Gitarre oder Eric Nussbaumer am EU-Phonium werden es ja kaum sein."
Chloé setzt ein breites, zufriedenes Grinsen auf. Sie hält eine Karte in der Hand und dreht sie langsam zu mir. "Die Geängte. Es wird Sanija Ameti sein mit ihre Chanson 'Libero'. Sie 'at gerade Zeit."
"Libero? Also frei. Frei von Ämtern und Anstellungen, frei von Freundinnen und Freunden?"
Chloé ballt die Faust. "Je suis Sanija!"
Chloé winkt ab. "Ma chère, verstehst das nischt. Früeer war die Geängte die Verräterin, der schändlische Mensch. 'eute ist sie die Eingeweihte, die mit dem anderen Blickwinkel."
Natürlich, denke ich. "Ameti hat sich mit Sicherheit einen neuen, ganz anderen – Bullwinkels? – Blickwinkel eröffnet. Sie hat gemerkt, dass nicht nur Muslime durchdrehen können, wenn Charlie Hebdo Mohammed-Karikaturen zeigt. Christen können auch durchdrehen – wenn man Maria und Jesus mit der Sportpistole löchert."
Chloé ballt die Faust. "Je suis Sanija!"
"Ja, und Basel ist ESC. Zuerst aber kümmere ich mich nun doch um die Regierungsratswahlen. Keller hin oder her."
Chloé kichert. "Eines zumindest 'aben sie gemeinsam, die Regierungsratswahlen und der ESC."
"Was denn?"
"Die Wahl der Qual."
16. Oktober 2024