Bei meiner Freundin Chloé, der Voodoo-Tante
"Ma Chère, schpannend ist doch nischt, wer dabei ist", näselt meine Freundin Chloé durchs Telefon. "Schpannend ist doch, wer nischt dabei ist und was aus diese wird. Isch kann dir zeigen."
Chloé hat Tarot und Voodoo entdeckt. "Das hat misch zur politische Analystin werden lassen. Mit eine Draht zum Übernatürlischen, chérie."
Ja, denke ich. Mit der Treffsicherheit von Blogger Manfred Messmer. Stets voll daneben. Dabei gibt es so viele Dinge, die absolut vorhersehbar sind. Hiermit prophezeie ich, der Nobelpreis für Physik geht in diesem Jahr an jene Forscherin, die einen Ball entwickelt, der FCB-Stürmer Thierno Barry nicht verspringt.
Ich schwinge mich also auf meine knutschrote Vespa und brause zu Chloé nach Münchenstein.
In eine Patchouli-Wolke gehüllt öffnet Chloé die Tür. Sie weihe mich nun ein in ihr geheimes Wissen über die Nationalratswahlen im Baselbiet. Über jene, die da vor der Haustür stehen (garantiert mit Meinrad Stöcklin) und über jene, die da noch kommen (leider nicht garantiert ohne Meinrad Stöcklin).
"Nischt zuletzt die tiefen Einsichten des Voodoo haben mir geöffnet die Augen."
"Was anderes ist der Nationalrat als ein Gremium in Trance?"
"Kein Wunder", spotte ich, "denn was anderes ist der Nationalrat als ein Gremium in Trance, begleitet von kompletter Schmerzfreiheit. Also Voodoo pur."
Wir betreten Chloés Studierzimmer. In der Luft hängt der Geruch von Räucherstäbchen, die ausser Chloé wohl kaum jemand kaufen würde. Zu süss, zu schwer, dazu modrige Vanille.
An der Wand hängen Porträts bedeutender Politiker. Hier ist ein Stück Weltgeschichte zu Hause: John F. Kennedy, Charles de Gaulle, Thomas de Courten.
Chloé setzt sich hinter ihren Arbeitstisch, hinter einen Stapel Tarot-Karten und drei gesichtslose Voodoo-Puppen. "Von links bis reschts: Ronja Jansen, Laura Grazioli und Christoph Buser", gibt sie bekannt.
In Chloés Reich werden die Puppen nicht mit Nadeln malträtiert. Chloé setzt auf Juckpulver. "Solche Leute juckt sonst ja eh nischts." Mal sehen, wens trifft.
Chloé zieht die Sonne. "Natürlisch ist Jansen gerade beleidischt, weil nischt nominiert", interpretiert sie. Aber Konkurrentin Miriam Lochers Ambition, zu gegebener Zeit für Eric Nussbaumer nachzurücken, sei fatalerweise "die Kollision einer Obsession mit einer Illusion". Zumindest der Anfang einer Demission.
Chloé legt den Teufel auf den Tisch. "Laura Grazioli?"
"Ich sehe es plastisch vor mir, wie Locher, kaum nachgerückt, in den Wahlen in vier Jahren von Jansen gleich wieder verdrängt, gefressen wird", bestätige ich Chloé, die kichert: "Gell, das wäre eine Sonnenbrand veritable, une rouge exceptionnelle, für eine sonst farblos Bildungspolitikerin."
Chloé legt den Teufel auf den Tisch. "Laura Grazioli?", frage ich erschrocken. Also jene Politikerin, die es nicht auf die Nationalratsliste der Grünen schaffen durfte, weil sie im Komitee der umstrittenen Souveränitätsinitiative sitzt. "So ein bisschen Meinungstabu kann ich schon verstehen, Chloé."
Chloé echauffiert: "Das ist eine Partei, da schteht der Verstand erst schtramm und dann schtill." Möglich, entgegne ich, doch bleibe Graziolis Standpunkt wohl der verlorene Posten, aber den fülle sie aus, so gut es gehe.
Chloé sagt: "Quatsch." Dass die Zukunft Grazioli gehöre, lasse sich an den Namen der Vor- und der Abtretenden erkennen. "Grazi-oli klingt nach politischer Grazie; Brenzikofer nach brennendem Koffer und damit nach Abschied."
Grazioli werde entweder dereinst Florence Brenzikofer im Nationalrat ablösen oder in Liestal gar den Isaac machen. "Alles eine Frage des Zeitgeistes." Sagt die Voodoo-Tante.
Carmela bei Freundin Chloé. © Illustration: Alessandro Ballato
Chloé zieht den Narren, was zu meiner Überraschung keine Anspielung auf Dominik Straumann, den Präsidenten der Baselbieter SVP, sein soll, sondern auf jemanden, den ich eher unter der Rubrik "was macht eigentlich …" erwartet hätte. Christoph Buser, Direktor der Baselbieter Wirtschaftskammer.
"Gescheitert, aber nicht gescheiter", zitiere ich den politisch aufstrebenden Manuel Ballmer. "Der kommt zurück", prophezeit Chloé, "isch schwöre." Buser habe alles, was die freie Fahrt für freie Bürger so bürgernah mache. Inklusive politischem Bleifuss. "Greta Thunberg war gestern, Busers Klimawandel ge-ört die Zukunft."
Zugetextet hat sie mich, die Chloé, bis ich mich auf meiner Vespa davon gemacht habe.
Da steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. An einer Ampel in Münchenstein auf dem Rückweg nach Birsfelden. Vor mir geht eine blonde Frau über den Fussgängerstreifen. Sie kratzt sich heftig an Rücken und Nacken. Irgendwie skurril, wie sie sich in ihrem Juckreiz windet.
War das nicht Miriam Locher? Die mit dem Sonnenbrand?
So stellen Sie Ihre eigene Juckpulver-Mischung her
Chloé verwendet für ihr selbst zubereitetes Juckpulver die getrockneten Kerne der Hagebutte und der ostindischen Juckbohne. Beide Früchte werden im Schein des Vollmondes geerntet. Die feinen Härchen an den Kernen machen den Spass aus. Der des Juckpulver-Users, nicht der des Empfängers oder der Empfängerin.
Beigefügt werden nur wenig zerkleinerte Szechuan-Pfefferkörner und die stark zerkleinerten Haare eines schwarzen Katers. Die Haare dürfen nicht ausgerissen werden; sie werden eingesammelt, während der Kater sein Fell wechselt. Nein, ohne Einsatz eines Messers. Etwas Sägemehl vom Palo Santo rundet die Mischung ab.
Chloé lässt die fertige Mischung 17 Stunden und 11 Sekunden mit Schang-Songs von Florian Schneider und Adam Taubitz beschallen. Das verleiht dem Pülverchen einen deutlich beissenderen Zwick.
Verwenden Sie keine Glaswolle. Denken Sie auch daran, Politikerinnen und Politiker können unter Allergien leiden. Also könnten sie durch den Einsatz von Juckpulver letztlich sogar unbrauchbar werden. Die Politikerinnen und Politiker. Nicht die Allergien.
https://arlesheimreloaded.ch/wahlench23-das-kandatenfeld-kurz-und-buendig-in-stadt-und-land/
13. Oktober 2023