Das Flüchtlings-Problem steht erst noch bevor
Die Migrations-Diskussion in Deutschland ist abgeflaut. Es kommen in jüngster Zeit weniger Migranten und Migrantinnen nach Europa, weil die Balkanroute geschlossen oder angeblich massiv teurer geworden ist und die libyschen Behörden die Migrationsbewegung zumindest zeitweise zu unterbinden versuchen. Die afrikanischen Menschen auf der Flucht, die von Libyen in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, hatten noch Glück gehabt.
Entsetzlich aber hat es jene getroffen, die als Sklaven verkauft wurden. Dass das Thema der muslimischen Sklavenhändler, die vor Eintreffen der christlichen Eroberer und später neben ihnen Jagd auf Afrikaner gemacht haben, so lange übersehen werden konnte, ist schwer verständlich. Der franko-senegalesische Anthropologe Tidiane N'Diaye hat das Thema sprachgewaltig abgehandelt und etwas Licht in eine vernachlässigte Materie gebracht.
Nicht vergessen ist die erhitzte Auseinandersetzung vor zwei Jahren über die Menschen aus fremden Kulturen, die in Europa, vor allem in Deutschland, um Asyl ersuchten, bei der sich zwei Seiten gegenüberstanden: die zu deren bedingungsloser Aufnahme Bereiten und die Kritiker, die wie der Philosoph Peter Sloterdijk der Regierung "deregulierte Migration" vorwarfen.
Die Heftigkeit könnte mit einer besonders in Deutschland verbreiteten Erregungsdisposition zu tun haben, nicht zuletzt, wenn es um die Verteidigung der eigenen Meinung geht. In der Schweiz bietet sich das Problem etwas anders dar, aber Deutschland hat bekanntlich die grösste Zahl von Flüchtlingen aufgenommen. Die Schweiz, wo das Meiste mit einer zeitlichen Verzögerung stattfindet, hat jetzt Gelegenheit, die Lehre aus den Ereignissen zu ziehen.
"Sobald eine kritische Dichte erreicht ist,
tritt von selbst eine Korrektur ein."
Angela Merkel hatte etwas gesagt, das so tönte, als würde Migration Deutschland verändern, aber "wir schaffen das". Es ist so gekommen, aber anders, als sie sich vorgestellt hat. Die AfD ist im Herbst 2017 in den deutschen Bundestag eingezogen, zweifellos auch wegen der Flüchtlingsproblematik. Wahrscheinlich ist Merkel von den unangemeldeten Ereignissen überrascht worden. Es hat sich zu spät gezeigt, dass für ein Gemeinwesen Regeln und Reglementierungen unverzichtbar sind, um klare Verhältnisse einzuhalten, weil sonst die Zustände aus dem Ruder laufen.
Die Probleme von Migration und Asyl bilden eine gemischte Schnittmenge und lassen sich nicht huschusch lösen. Der renommierte syrisch-deutsche Islamwissenschafter und Muslim Bassam Tibi hat Deutschland mehrfach vor unkontrollierter Masseneinwanderung gewarnt. Wenn das Land sein demografisches und ökonomisches Defizit lösen wolle, meinte er, müsse es eine Einwanderungspolitik betreiben, die diesen Namen verdient, und nicht wahllos Armutsflüchtlinge aufnehmen. Gleiches gilt für alle Länder in Europa.
Die wegen der Flüchtlinge entstandene deutsche Willkommens-Euphorie war dann der Höhepunkt einer fatalen Entwicklung. Dass die Angekommenen eine "Bereicherung" für Deutschland sein sollen, als ob das Land lange darauf gewartet hätte, stellte sich zuletzt als linguistisches Selbsteingeständnis derer dar, die nicht mehr wussten, was sie zur Lage der Dinge sagen sollten. Als ob die Flüchtenden deswegen gekommen wären!
Wie lange kann die Entwicklung so noch weitergehen? In Afrika warten viele Menschen darauf, nach Europa zu gelangen. Erreicht die Entwicklung einmal eine kritische Dichte, tritt von selbst eine Korrektur ein.
Heute ist es für diese Einsicht noch zu früh dafür. Die Migrationsproblematik, die hierzulande viele auch ernst zu nehmende Menschen umtreibt, steht in seiner ganzen Tragweite erst noch bevor.
Denn zum Flüchtlingsproblem könnte inzwischen ein anderes hinzutreten. Die Prognosen sagen gewaltige ökologisch bedingte Veränderungen voraus. Dürreperioden, unfruchtbare Böden, Ernteausfälle und Hungersnöte stehen Naturkatastrophen entgegen. Weite Teile von Bangladesh sind während der Monsunzeit überschwemmt, und auch in Europa ertrinken bei heftigen Regenfällen grosse Landflächen in den Fluten. Nur als Unsinn oder Skandal kann es bezeichnet werden, wenn in Europa wertvolles Landwirtschaftsland verwendet wird, um sogenannte Solarfarmen zur Gewinnung von sauberer Energie anzulegen, und im Gegenzug Agrarprodukte aus Hungerländern importiert werden.
Wohin werden die Menschen gehen, wenn ihre Lebensgrundlage weiter zerstört wird? Sie werden Orte suchen, wo sie akzeptablere Bedingungen antreffen, und sich nicht aufhalten lassen. Die Folge wird eine Zunahme von Flüchtlingen in den bisher verschonten Weltgegenden sein, eine Perspektive, die sich heute noch, aber nicht für alle Zeit verdrängen lässt.
Einschränkungen vielfältiger Art könnten bald unumgänglich werden. Den Ereignissen ihren Lauf zu lassen und abzuwarten, was kommt, kann keine realistische Politik für die Zukunft sein. Besser wären Gemeinsinn und rationale Analyse.
11. Dezember 2017