Das Sterben in Bannwald der Demokratie
Den Medien im Allgemeinen und den Printmedien im Besonderen geht es nicht gut. Die wirtschaftliche Krise und die damit verbundene Kürzung der Werbe-Etats macht ihnen zu schaffen. Hinzu kommen ein minimales Interesse beziehungsweise generelles Desinteresse und eine Lesefeindlichkeit, während das Niveau der Gratisblätter einen Gradmesser für den geistigen Horizont des Publikums bildet. Aber ausgerechnet an diesem Standard wollen sich die abonnierten Medien orientieren.
Trotzdem berufen sie sich auf einen nebulös gewordenen Informationsauftrag. Aber damit ist es nicht weit her, wie man sehen kann. Fussball steht zuoberst auf dem Programm, jeder Rapper-Auftritt wird zum Jugendkulturfestival erkoren, die lokale und die virtuelle Prominenz wird hofiert, allgemeine Themen wie etwa die Planung einer sommerlichen Grillparty gehören mit zum "Auftrag". "Lebenshilfe" und "People" heisst das in der Fachsprache. SF DRS strahlt eine Sendung aus, in der eine Jung-Moderatorin "für uns Alpenluft schnuppert". Erstens atme ich Alpenluft, und zweitens kann ich das allein tun, ohne Zuhilfenahme einer fremden Schnupperhilfsperson.
Das befolgte Rezept heisst: Noch populärer, noch mehr Boulevard. Nur keine Probleme, nur nichts Anstrengendes. Die vielen Zwillinge, besonders etwa jene von Angelina Jolie und der Familie Federer, füllen Formate und Spalten. Man kann genau verfolgen, wie sich das allgemeine Interesse mit den Medieninhalten deckt beziehungsweise diese mit jenem übereinstimmen.
Die schöne neue Botox- und Plastikwelt beruhigt das Publikum vielleicht, aber was machen wir, wenn uns das Wasser noch vor dem Klimakollaps ausgehen sollte? Es findet eine fortschreitende Vernachlässigung alles dessen statt, worauf es ankommt und was essenziell ist – zu Gunsten einer aggressiven Unterbelichtung. Das ist, wenn nicht die Regel, so doch die Tendenz, die deutlich beobachtet werden kann.
Zuletzt ist der Informationsauftrag nur ein vorgeschobenes Argument. Weit mehr geht es den Medienunternehmern darum, ein inserentenfreundliches Umfeld zu schaffen. Die NZZ will laut "Klein Report" bei ihrem angekündigten Relaunch "unter anderem dem Werbemarkt besser entsprechen" – und nicht nur sie. Man staune: Sogar die Leserschaft soll besser bedient werden, was wohl nur bedeutet, dass der Börsenteil ausgebaut wird. Mehr weiss, weniger schwarz, heisst das grafische Konzept: mehr Papier und Bilder, weniger Text. Und wenn nicht mehr Bilder, dann Bilder, die "strategisch eingesetzt werden", was das auch immer heissen mag.
Mit dem sogenannten Bannwald der Demokratie, als den sich die alten Printmedien einmal verstanden und der heute die kritische Funktion sämtlicher Medien umschreiben solte, scheint nicht mehr viel los zu sein. Martin Kall, CEO von Tamedia, spricht höchstens von "wirtschaftlicher Unabhängigkeit" und meint damit explizit, dass es darum geht, Investoren zu gewinnen und den Aktionären beziehungsweise Shareholdern einen "langfristigen Mehrwert" zu bieten ("Edito" Nr. 2/2009). 22 Prozent weniger Stellen stehen 105 Millionen Franken Gewinn gegenüber. Da liegt der Hase im Pfeffer.
Nicht vergessen: Die Medien sind, bis auf die öffentlich-rechtlichen, Wirtschaftsunternehmen, und die Pressefreiheit ist eine Gewerbefreiheit. Was nicht heisst, dass nicht auch die öffentlich-rechtlichen Medien sich nach der ökonmischen Decke strecken müssen.
Der Informationsauftrag ist unter diesen Voraussetzungen ein dehnbarer und dubioser Begriff.
Die Medien dürfen sich also über die Krise nicht wundern. Sie haben sich selbst hineinmanövriert. Wer will für Inseraten-Umfelder Geld für ein Abonnement ausgeben?
Die neuen digitalen Informationsmaschinen erlauben es, sich erstens umfassend, zweitens gezielt und drittens meistens billig zu orientieren. Ausserdem ist die Konkurrenz untereinander härter geworden. Statt darauf mutig zu reagieren und eine Informations-Alternative anzubieten, die diese Bezeichnung verdient, wird die umgekehrte Richtung eingeschlagen. Das ist aber bestimmt der falsche Weg.
10. August 2009
"In jedem einzelnen Wort zutreffend"
Ein mutiger und in jedem einzelnen Wort zutreffender Beitrag, von dem man nur hoffen kann, dass er auch von den Betroffenen ernst genommen wird.
Hans-Otto Glaser, Lörrach