Die Schweiz in der Defensive
Das Bankgeheimnis, einst eine sinnvolle Einrichtung, ist für die Schweiz zu einer Hypothek geworden. Zur Kritik des Auslands am Bankgeheimnis ist der Konflikt um die Steueroase Schweiz gekommen. In beiden Fällen hat die Schweiz unbestreitbar profitiert, aber sich auch ein schlechtes Image zugelegt. Erinnerungen an die Gnomen der Bahnhofstrasse sind wieder wach geworden. Wenn der Bundesrat zur Rechtfertigung feststellt, die Schweiz verteidige ihre Interessen, dann kann man dem deutschen Finanzminister Peer Steinbrück das Gleiche kaum verwehren.
Statt das Problem anzupacken, zog sich die Schweiz (ihre Exponenten) in den Schmollwinkel zurück, als wollte sie sagen: "Das haben wir nicht verdient!" Die zweite Gegenstrategie bestand im Versuch, das Problem auszusitzen. Nummä nid dä glichä tüä (alte Schweizer Spruchweisheit). Zuerst liess Bundesrat Hans-Rudolf Merz verlauten, das Bankgeheimnis stehe nicht zur Diskussion. Kurze Zeit später musste er scheibchenweise und jedes Mal nur gerade im Mass des Unvermeidlichen zurückbuchstabieren.
Eine dritte Strategie reagierte auf die als Ungerechtigkeit empfundenen Vorwürfe mit auftrumpfender Geste: "Härte zeigen!" Das Bankgeheimnis ist die heilige Kuh, um die sich die Finanzpatrioten scharen. Wenn schon, dann soll Deutschland in die Hosen steigen und erst einmal im eigenen Land Ordnung machen. Wir demokratische Musterknaben und -mädchen brauchen uns nichts vorwerfen zu lassen.
Als letzten Versuch kündigen Banken und Politik an, neue Ausweichmöglichkeiten zu suchen beziehungsweise neue sogenannte "Finanzprodukte" zu entwickeln (zum Beispiel Abschaffung der Holding-Privilegien, dafür Senkung der Gewinnsteuern, um den Standort Schweiz attraktiver zu machen). Zu versuchen, die Probleme zu umgehen, kann aber auf die Dauer keine erfolgreiche Politik versprechen. Krämergeist widerspricht einer überzeugenden Wirtschaftspolitik.
Die ebenfalls Anstoss erregende Steueroase Schweiz wurde mit dem Argument des Steuerwettbewerbs verteidigt. Dieser sogenannte "Wettbewerb" hat sich längst als Kannibalismus erwiesen, auch in der Schweiz selbst. In Zürich haben die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen kürzlich die Pauschalbesteuerung für wohlhabende Ausländer aufgehoben. Vielleicht ist das ein erstes, zaghaftes Zeichen für einen Wandel, auch wenn es noch nicht alle richtig begriffen haben.
Die Schweiz war einmal eine Idee. Sie ist heute nur noch ein Finanzplatz beziehungsweise ein Geschäftsmodell. Das reicht nicht. Ein Staat ist damit nicht zu machen. Auch die in jüngster Zeit an den Tag gelegte kleinliche, defensive Haltung ist auf Dauer nicht zukunftstauglich.
Das gilt genauso auch für den retrograden Blick ins Reduit, den die SVP zum Heilmittel erklären möchte. Die Unabhängigkeitsparolen sind reine Fiktion und führen die Schweiz direkt ins Offside. Statt einer offenen und mutigen Haltung schlägt das Land den verkehrtesten aller Wege ein. Isolation hilft nicht weiter. Kooperation ist besser, wie es sich für die globale beziehungsweise integrierte Welt von heute gehört.
Die Schweiz steht im Moment wirklich an einem Wendepunkt. Sie muss sich gründlich fragen, ob sie mit zur Welt gehört – und gehören will –, oder es vorzieht, ihren Alleingang fortzusetzen. Auf die Gefahr hin, von der Bildfläche zu verschwinden.
6. April 2009
"Steuerschlupflöcher in den USA und Grossbritannien"
Steuerbetrug und Steuerhinterziehung haben verheerenden Folgen. Zum Beispiel entgehen dadurch den Entwicklungsländern einige hundert Milliarden Dollar jährlich. Der Kampf für mehr Steuergerechtigkeit wäre daher eine gute Sache. Auch innerhalb der Schweiz ist eine materielle Steuerharmonisierung längst notwendig.
Doch stecken hinter den Angriffen einiger G-20-Staaten auf die Steueroasen nur hehre Absichten? Wie die im "The Economist" publizierte Untersuchung von Professors Jason Sharman zeigt, bieten gerade die USA und Grossbritannien nach wie vor zahlreiche Steuerschlupflöcher an. Zudem sind diese beiden Länder mit ihrer jahrelangen neoliberalen Laisser-faire-Politik hauptverantwortlich für die katastrophale Finanz- und Wirtschaftskrise und die Verluste in Billionenhöhe. Letztendlich geht es beim weltweit schrumpfenden Finanzgeschäft auch um die Vormachstellung der internationalen Finanzplätze.
Otto Kunz-Torres, Basel
"Volk soll die Regierung kontrollieren – nicht umgekehrt"
Eigentlich ist der Titel des Artikels falsch; er hätte lauten sollen: "Die Schweiz soll sich und ihre Werte endlich aufgeben!" So eine Kapitulation vor einer momentanen Entwicklung hin zur absoluten Kontrolle der Bürger durch Regierungen und ihre Behörden habe ich noch nie gelesen. Soll die Schweiz wirklich zu so einer "Welt" gehören wollen? Ich lebe da lieber in einem Land, wo das Volk noch seine Regierung kontrolliert – und nicht umgekehrt!
Peter Waldner, Basel
"Billiger Zeitgeist"
Ganz banal: Aurel Schmidt wünscht die Entmachtung des schweizerischen Souveräns, indem er kongruent mit den EU-Potentaten einheitliche europäische Steuern fordert. Vermutlich versteht er, aller offenkundigen Sympathie für die Linke zum Trotz, dass eine Art "Neue DDR" unter Firma EU sowohl hüben wie drüben mehrheitsunfähig ist und forciert daher den Kanon wider den Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) und für die Privilegierung des Eventualgläubigers Staat. Das ist nicht mutig, sondern billiger Zeitgeist! Dieser dürfte auf europäischer Ebene von Bayern, Tschechien und in Deutschland am 27.09.2009, erfreulicherweise, brachial abgestraft werden.
Patric C. Friedlin, Basel
"Pflichtlektüre für alle PolitikerInnen"
Herzlichen Dank für die klare und mutige Stellungnahme in dieser Frage! Das Thema Kooperation ist durch das Axelrod-Experiment als Gewinn-Strategie bekannt geworden und sollte für PolitikerInnen auf jeder Ebene zur Pflichtlektüre erkoren werden!
Bruno Rossi, Gelterkinden