Meinungsvielfalt ist eine erfolgreiche Industrie
Viel ist in jüngster Zeit von Medienvielfalt die Rede. Ein offener Informationsaustausch ist lebenswichtig für die Öffentlichkeit, die keine andere als eine demokratische sein kann. Was aber geschieht tatsächlich? Wir sprechen von Meinungsbildung, aber treten unsere Datenflüsse, unser Wissen, unsere Privatsphäre an die sogenannten sozialen Medien, also an drei US-Konzerne, ab, die damit Milliarden verdienen. Das heisst implizit, dass Öffentlichkeit und Demokratie an Interesse und vor allem an Bedeutung laufend verlieren, was wiederum zur Folge hat, dass mit der finalen Auseinandersetzung um die angebliche Information und Aufklärung der Menschen die Verbreitung und Vorherrschaft dominanter Interessen gemeint ist.
Trotzdem sind Demokratie und Information staatspolitisch eminent wichtig. Im Moment jedoch bedeutet die erwünschte mediale Diversität meistens nur, dass Meinung gegen Meinung steht.
Das ist auf den ersten Blick in Ordnung, aber dann fangen die Probleme an. Es geht nicht darum, eine Meinung zu haben, sondern über die anderen zu triumphieren. Medienvielfalt ist längst kein "service public", auch kein "discours public", sondern vom allem eine Art PR-Krieg, zu dessen Ausgang die eingesetzten Mittel nicht unwesentlich beitragen.
Hinter jeder Information verbirgt sich eine Absicht. Wenn der Chef-Lobbyist der Pharma-Industrie von der Gesundheit der Patienten spricht, muss man fragen, was mit Gesundheit gemeint ist. Je mehr Gesundheit, desto besser für die Pharma-Industrie.
Die Informationsverbreitung ist zu einer professionellen Branche und effizienten Industrie geworden. Klar, wenn man denkt, welche Umsätze auf dem Spiel stehen. Deshalb ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass der Massenjournalismus sich immer mehr den Werbetext zum Vorbild nimmt, wie Colin Crouch in seinem Buch "Postdemokratie" schreibt.
Welche Nachrichten werden zum Beispiel in der Öffentlichkeit behandelt und welche nicht? Warum wird soviel über Finanzprobleme gesprochen, dass man es nicht mehr hören kann, und so wenig über Gesundheitsprobleme in der Arbeitswelt, ausser bei Burnout-Problemen von Managern. Warum stand der Fall Hildebrand, der eine ernsthafte Debatte verdiente, lange Zeit zuoberst auf der Agenda, während es zum Beispiel das Problem der Privatisierung des Trinkwassers kaum je auf die Spitzenplätze schafft?
Entweder ist Absicht in Spiel, oder die Meinungsmacher wissen es nicht besser und unterliegen der Logik der Lemminge, bis ein Hype auf den anderen folgt. Unwissenheit reproduziert sich bekanntlich selbst.
Warum werden in jüngster Zeit soviele Klimaprognosen über den Haufen geworfen und stossen Klimaleugner so leicht auf offene Ohren? Weil alle Prognosen falsch waren? Natürlich muss man ihnen generell misstrauen, aber mindestens auch dem Misstrauen kritisch begegnen.
Wenn irgendeine obskure Universität in Transsylvanien in einem Gutachten herausgefunden hat, dass Bio-Gemüse ein Risiko für die Verbraucher birgt, dann muss man überlegen, wer hinter dieser Nachricht steht. Vielleicht ein Schutzverband für notleidende Agro-Multis. Dabei fällt mir das Gedicht mit dem Titel "Restaurant" des oft sarkastischen und immer genialen Lyrikers Gottfried Benn ein:
"In einer amerikanischen Zeitschrift las ich sogar,
jede Zigarette verkürze das Leben um sechsunddreissig Minuten,
das glaube ich nicht, vermutlich steht die Coca-Cola-Industrie
oder eine Kaugummifabrik hinter dem Artikel."
Das Weitere zum Thema ist uns in den Argumenten für und gegen die Vorlagen, über die eben abgestimmt wurde, eingebläut worden. Zum Glück kehrt jetzt wieder etwas Ruhe ein – bis zur nächsten Aufregung.
Ich komme zum Schluss. Was soll die Leserschaft mit diesem Beitrag anfangen? Nachrichten und Informationen sind als Meinungen zu lesen, werden aber wie orthodoxe Glaubensinhalte aufgenommen, oft ohne Widerspruch und ohne die Absicht dahinter zu durchschauen.
Jede Information, jede Nachricht und Mitteilung, jeder Sound-Bit muss also hinterfragt und bewertet werden. Es kommt darauf an, sich keinen Bären aufbinden zu lassen und niemandem auf den Leim zu gehen. Also selber zu denken und zu urteilen. Das schadet nie. Und gilt selbstverständlich auch für diesen Beitrag.
12. März 2012
"Der nächste Medien-Hype kommt bestimmt"
Ich bin überzeugt, dass mir Aurel Schmidt keinen Bären aufgebunden hat, denn ich komme zu einem ähnlichen Urteil wie er. Nur: Der nächste Medien-Hype kommt bestimmt – wir können nur noch wetten, wann das sein wird. Mein Tipp: spätestens in einer Woche ...
Barbara Umiker Krüger, Arlesheim