Die arabische Revolte ist ein Warnsignal
Um gleich zur Sache zu kommen: Die westliche Politik hat im Fall der Aufstände in der arabischen Welt schlechte Figur gemacht. Statt schnell und grosszügig Hilfe beim demokratischen und wirtschaftlichen Aufbau anzubieten, eine Art Marshallplan, hat sie sich zurückgehalten. Die USA haben in Tunesien und Ägypten zwar mitgeredet, aber in Libyen lange geschwiegen. Auch die Linke war nicht zu hören, die Hilfswerke nicht, Amnesty International nicht, Russland nicht. Und nur schleppend sind Sanktionen ergriffen worden.
Lange Zeit hat die westliche Welt in den armen Ländern von den Verhältnissen, die sie mitgestaltet hat, profitiert, zum Beispiel durch Waffenlieferungen, die die Diktaturen gefestigt haben (Suharto, Mobutu, Pinochet), was dann als "stabile Verhältnisse" bezeichnet wurde.
Jetzt kehrt sich die Situation um. Und der Westen ist überrascht. Hat er es nicht wissen können? Er hätte es wissen müssen.
Demokratische Beteuerungen waren Lippenbekenntnisse. Wichtiger waren Handelsbeziehungen und die Garantie für die Lieferung billiger Rohstoffe.
Das Ritual, die Menschenrechte in Erinnerung zu rufen, gehörte zum Ritual bei den in Frage kommenden Staatsbesuchen. Im übrigen wurde die "Achtung vor lokalen Prozessen" respektiert. Gute Beziehungen zu Diktaturen war mit ökonomischen Vorteilen verbunden.
Die Bilder in den Medien, auf denen man Obama, Blair, Sarkozy, Merkel mit den Potentaten sehen kann, sind unvergessen, zum Beispiel die Aufnahmen Sarkozys, der sich Händchen haltend mit Gadaffi in der Öffentlichkeit zeigte. Die Bilder sind übrigens auf der Homepage des Elysées über Nacht verschwunden. Angeblich wegen eines "Indexierungsfehlers".
Wirtschaftsbeziehungen sind offenbar neutral – selbst wenn sie nichts anderes sind als eine abscheuliche Kollaboration mit üblen Diktaturen. Hauptsache gutes Investitionsklima. Und Realpolitik entschuldigt offenbar alles. Charakter stört in der Politik nur.
Jetzt ist der Westen im Begriff, sein Gesicht zu verlieren. Dazu gehört auch der notorische Beistand der USA für Israel und dessen Politik in den besetzten Gebieten. Die Lieferungen von Waffen in die Krisengebiete, die im Westen, aber zum Beispiel auch in Russland, das Wirtschaftswachstum günstig beeinflussten, sind bei den Unterdrückten nicht immer richtig verstanden worden.
An vielen Orten auf der Welt hat der Westen Verhältnisse herangezüchtet, die er später bekämpfen musste. 1953 stürzte die CIA in Persien Mossadegh aus Angst vor Kommunismus und Erdöl-Lieferungsstop, und setzte den Schah ein. Die Folge war ein horribler iranischer Gottesstaat, der jetzt viel mehr zu schaffen macht, als wenn die Politiker damals intelligenter vorgegangen werden. Aber das zu erwarten scheint vergeblich zu sein. Und gerade in diesem Moment könnte sich die Geschichte wiederholen.
Die tunesische Menschenrechts-Aktivistin Sihem Bensedrine spricht in ihrem Buch "Despoten vor Europas Haustür" von einer "verachtenswerten" und "kriminellen Heuchelei" der europäischen Staaten in ihren Beziehungen zu den südlichen Mittelmeerländern.
Noch einen Schritt weiter gegangen ist der angesehene australische Journalist John Pilger (im Netz leicht aufzuspüren), der den Aufstand in der arabischen Welt als Signal einer Revolte gegen die "weltweite ökonomische Tyrannei" durch die US-Agency for International Development, den IWF und die Weltbank interpretiert hat – eine Revolte, die in abgewandelter Form auch, so Pilger, die westliche Welt selbst längst erfasst hat. Es genügt, an die Demonstrationen in Griechenland, die brennenden Banlieues in Frankreich, die zivilen Einschränkungen in den USA durch den Patriotic Act zu denken.
Es könnte vorteilhaft sein, sich auch darüber Gedanken zu machen und die Probleme nicht in Scheibchen zu schneiden, sondern sie als ein weltweit Ganzes zu sehen.
28. Februar 2011
"Ein globaler Raubzug der Wall Street"
Nun sollten sich endlich einmal die Amerikaner wehren gegen den zerstörerischen US-Turbo-Kapitalismus, der erstmals auch ihr eigenes Land massiv attackiert hat. Die sogenannte Finanzkrise ist nichts anderes als ein globaler Raubzug der Wall Street.
PJ Wassermann, Hersberg
"Das Geschäft mit den Diktaturen"
Nationen haben bei Volksrevolutionen anderer Nationen schon immer nur dann aus "idealistischen" Motiven militärisch eingegriffen, wenn sich der Idealismus zufälligerweise mit den eigenen Interessen deckte. Manchmal wurden legale Demokratien auch zynisch mit Hilfe von Geheimdiensten gestürzt, weil eine westliche Demokratie davon ausging, mit Diktatoren liesse sich besser geschäften. Siehe das Beispiel Chile, wo der US-Geheimdienst bei Sturz und Ermordung des demokratisch gewählten Präsidenten Allende die Finger im Spiel hatte. Und noch vor kurzem sind alle Westmächte um Gaddhafi herumgetanzt wie auf Eiern, weil man sein Öl wollte. Jetzt ist er nur noch eine heisse Kartoffel, an der sich EU und USA nicht die Finger verbrennen möchten. Aus Vorsicht wird jedoch abgewartet, wie die Revolte in Libyen ausgeht, um dann mit den neuen Machthabern zu paktieren. Wer immer sie sein mögen. Politik ist die Kunst des Möglichen – und die des Opportunismus.
Esther Murbach, Basel