Das Wegwerf-Wissen wächst unaufhaltsam
Dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Wissen eine wichtige Ressource bildet, heisst auch, dass die Menschen auf Informationen angewiesen sind, um an diesem Wissen teilzuhaben. Wissen muss breit zirkulieren, andocken und durch Vernetzung erweitert werden. Was aber geschieht, ist das Gegenteil davon. Es gibt ein Grundrecht des Fragens, stellt der US-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard B. Laughlin in dem kleinen, aber erhellenden Buch "Das Verbrechen der Vernunft" fest. Er beschreibt mit manchmal grimmigem Humor, wie wir mit dem Wissen umgehen, und spricht von einer "Kriminalisierung des Wissenserwerbs".
Ein grosser Teil des Wissens, vor allem des ökonomischen Wissen, wird als privates beziehungsweise korporatives Eigentum aufgefasst und geschützt – gegen Spionage, durch Patentrechte. Das führt zur unsinnigen Situation, dass es strafbar sein kann, wenn motivierte Menschen und Forscher auf einem Gebiet tätig werden wollen, auf das andere bereits die Hand gelegt haben, sei es auch nur vorsorglich.
Anderes Wissen wird aus Sicherheitsbedenken und Gründen der Staatsraison der Geheimhaltung unterstellt und zum Fall für die Zensur gemacht. Jeder Zugriff ist verboten.
In diesem Zusammenhng mag der Hinweis angebracht sein, dass das Beharren auf der veralteten und problematischen Atomenergie die Durchsetzung alternativer, zukunftsorientierter Energien erschwert. Forschungsgelder werden gekürzt und vorenthalten. Die Entwicklung neuer nachhaltiger Technologien zu erschweren ist aber sowohl ökologisch wie ökonomisch unsinnig und lässt eine langfristige langfristige Perspektive vermissen. Die Pioniere von heute sind die Gewinner von morgen.
Auch durch die Verteidigung des Rechts auf geistiges Eigentum kann neues Wissen verhindert werden. Es ist möglich, dieses Recht zu verstehen – als Autor weiss ich das –, aber dass auf diese Weise auch der wissenschaftliche Fortschritt blockiert werden kann, sollte nicht übersehen werden.
Etwas anderes ist die Verhinderung von Wissen durch dessen exzessive Aufblähung und gedankenlose Vernichtung. Von der Informationsmenge, die heute im Umlauf ist, ist der grösste Teil entbehrlich, ausserdem wird es immer schwieriger, an die notwendigen Informationen heranzukommen. Auch die Telefontarife sind ein überflüssiges, also eigentlich liquidiertes Wissen, mit dem die Köpfe vollgestopft werden.
Die Printmedien und digitalen Formate machen dieses Spiel des Informations-Overkill mit – nicht alle, aber viele –, heute noch mehr, wo der wirtschaftliche Druck sie zum Sparen zwingt. Statt einer Initiative nach vorne, um das interessierte Publikum zu erreichen, dass darauf angewiesen ist, informiert zu sein und daher als interessierte Leserschaft in Frage kommt, werden Nachrichten ohne Bedeutung verbreitet. Zerstreuung mag gut sein, aber sie ist ein "Wegwerf-Wissen" (Laughlin).
Besonders die Massenmedien von heute im Unterschied zum Beispiel zum Radio von früher formieren die neuronale Disposition – die Synaptogenese – junger Menschen in einer Weise, die man nur als Abhängigkeit bezeichnen kann. Der französische Sozialphilosoph Bernard Stiegler hat das Thema in seinem Buch "Die Logik der Sorge" ausführlich behandelt, in dem er die Zerstörung der "Aufmerksamkeit" beklagt.
Die Ablenkung scheint System zu haben, degradiert die Menschen zu Konsumenten und hält die Entstehung von neuem, notwendigen Wissen auf. Zum Nachteil aller.
16. März 2009
"Wissen ist auch Macht"
Mit Aurel Schmidts Meinung gehe ich einig. Ergänzen möchte ich den expliziten Hinweis darauf, dass Wissen auch Macht ist und Macht bekanntlich vielseitig missbraucht werden kann.
Peter Berlepsch, Basel