Nur die Wahl zwischen Information und Idiotie
Eine freie Gesellschaft ist eine informierte Gesellschaft. Nur wenn sie es tatsächlich ist, kann sie in Kenntnis der Sachlage frei und unabhängig entscheiden und handeln. Werden die Informationen vorenthalten, aus welchem Grund auch immer (zum Beispiel in autoritären oder totalitären Staaten oder zum Schutz bestimmter Interessen), verlieren die Menschen ihre Mündigkeit.
Was heute geschieht, tendiert in diese Richtung. Mehr und mehr wird Information privatisiert, geheimgehalten, für die Selbstdarstellung der Informanten missbraucht und zu einem Fall für die PR-Abteilung.
Der Ölkonzern BP hat nach der Katastrophe im Golf von Mexico eine Nachrichtensperre verhängt und investigativen Journalisten den Zugang zu den betroffenen Gebieten verwehrt. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Menschen sich ein eigenes Bild machen und die Lage beurteilen können. Information dient unter diesen Umständen vor allem der Eigenwerbung für BP. Vorbild dafür war das Vorgehen im Irak-Krieg, in welchem den sogenannten eingebetteten – oder eingeseiften – Journalisten nur jene Einblicke gewährt wurden, die der Army passten.
Nach dem Angriff auf die Gaza-Flotte durch Israel wäre Aufklärung dringend geboten. Nur widerwillig entschloss sich Israel, eine Untersuchung durchzuführen, sozusagen in eigener Sache. Das ist ungefähr so, wie wenn der Täter beauftragt wird, über den von ihm begangenen Einbruch einen Rapport an die Polizei abzuliefern. Überzeugend wird der Untersuchungsbericht von Israel mit Bestimmtheit nicht ausfallen.
In der Sache UBS/US-Staatsvertrag begnügte sich das Parlament mit dem Bericht der Geschäftsprüfungskommission und lehnte eine weitergehende parlamentarische Untersuchungskommission ab. Angeblich enthielt der erste Bericht alle notwendigen Informationen. Das Parlament hat damit einseitig die Sache der UBS gedeckt und nicht die der Öffentlichkeit. Als hätte es sagen wollen: Deckel drauf! Zuviele Fragen sind ungeklärt geblieben. Es war ein schlechtes Beispiel einer Volksvertretung, das das Parlament – oder dessen Mehrheit – geliefert hat.
Ein weiteres Mittel der Irreführung besteht darin, dass Politiker von einem "Sieg der Vernunft" reden, wenn sie die Durchsetzung der von ihnen vertretenen Interessen meinen.
Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, Informationen zu beeinflussen, umzuinterpretieren oder zu verhindern.
Die schlechteste Voraussetzung besteht darin, dass sie zu einem Geschäft geworden ist und ihre Verbreitung nach kommerziellen Überlegungen erfolgt. Die Frage, was relevante Fakten sind, wird einem Prinzip unterworfen, das nichts mit dem Informationsauftrag zu tun hat. Die öffentliche Meinung wird dann von der veröffentlichten Meinung überlagert.
In Anbetracht der aufgezählten Beispiele von gezielter Beeinflussung und Ablenkung ist es nicht erstaunlich, wenn die Medien als Informationsvermittler immer mehr an Glaubwürdigkeit einbüssen.
Berlusconis Italien ist ein Paradebeispiel dafür, was herauskommt, wenn sich Verhältnisse einnisten, die mit demokratischer Öffentlichkeit nur gerade soviel zu tun habe, wie die Kavaliere der Information zulassen. Der Film "Videocracy" von Erik Gandini über das Thema offenbart: Es gibt nur die Alternative zwischen Information und Idiotie.
Das Schwierigste an der Sache aber besteht darin zu erkennen, was nicht in den Nachrichten steht.
21. Juni 2010