Zur Diskussion: Wie entstehen Diskurse?
Was mich in der jüngsten Zeit mehr und mehr interessiert, ist die Frage, wie Diskurse entstehen. Diskurse sind Archive. Sie bewahren das Gesagte auf: Meinungen, Ansichten, Parolen jeder Art. Die Antwort auf die Frage scheint naheliegend zu sein: Durch mediale Verstärkung; zum Teil auch durch Verordnung. Was oft wiederholt wird, wird leichter geglaubt.
Es liegt also ein statistisches Problem vor. Wem es gelingt, für seine Meinung eine Mehrheit zu finden beziehungsweise sie durchzusetzen, hat es geschafft. So entstehen Machtverhältnisse. Das kann in totalitären Gesellschaftsordnungen besonders gut beobachtet werden.
Im Verlauf der Zeit verdichten und verfestigen sich diese Meinungen zu Überzeugungen, Dogmen, Doktrinen und Ideologien – zu Fundamentalismen. Ist dieser Stand einmal erreicht, gibt nichts mehr auszusetzen.
Zur Stabilisierung werden verschiedene Glaubenssätze herangezogen. Das sind von jedem Zweifel gereinigte Rechtfertigungssysteme wie zum Beispiel das Raunen und Murmeln vom Markt, vom historischen Materialismus, Konfuzianismus und Feminismus, von der Partei. Der Begriff "Sicherheit" hat es neuerdings zum Diskurs gebracht. Wer sich darauf beruft, kann sämtliche Daten, die er zu haben wünscht, im Zentralcomputer speichern.
Vor allem die Religionen gehören in den Kreis der voraussetzungslosen Verteidigungssprachen. Also eigentlich alles, was geglaubt wird. Sie sind prestigiöse, aber vor allem autoritäre Kategorien, die ihrer Unfehlbarkeit gewiss und von jeder rationalen Begründung befreit sind.
Im Namen der Religion werden im Iran Wahlen gefälscht und soll die Opposition vor Gericht gebracht werden. Abweichungen werden nicht toleriert, also intolerant behandelt. Die Ayatollahs, die sich auf die Dienstreligion berufen, können nicht unrecht haben.
Anderes Beispiel: Multikulturalität. Sie ist zum unüberschreitbaren Horizont geworden. Wer sich auf sie beruft, ist automatisch ein anständiger Kerl.
Das falsche, eigentlich aufgenötigte Einverständnis, das auf diese Weise entsteht, ist eine Katastrophe für das unabhängige, ergebnisoffene, sich selbst reflektierende Denken.
Friedrich Nietzsche sagte, dass Überzeugungen gefährlichere Feinde der Wahrheit seien als Lügen. Auch das, wovon wir überzeugt sind, muss zur Diskussion stehen: mit "kritischer Bedenklichkeit" (Immanuel Kant, "Der Streit der Fakultäten").
So etwa die Frage, wieviel Einwanderung das Land verträgt. Das ist keine politisch korrekte, aber eine notwendige Frage. Was gemeinhin als politische Korrektheit bezeichnet wird, ist ein Versuch, kritisches Denken durch Einschwören auf einen festgelegten Konsens zu vereiteln.
Als kritischer Beobachter weiss ich, dass Kritik nicht heisst, die Wahrheit zu besitzen.
Kritik heisst vielmehr unterscheiden. Am Ursprung des Ausdrucks steht die Idee des Schneidens. Kritiken sind Einschnitte, um zu trennen, zu vergleichen und auf diese Weise zu verhindern, dass das Denken lahm gelegt ist.
Was richtig beziehungsweise falsch ist, lässt sich nur durch einen kontinuierlichen kontroversen Prozess und Austausch ermitteln. Mit einer anständigen Gesinnung ist es noch nicht getan.
So gesehen, muss Kritik als eine Art Stoffwechsel verstanden werden.
21. September 2009
"Wohin fliessen die Schuldzinsen eigentlich?"
Bürgerliche Politik besteht darin, der Bürgerverwaltung Staat die Geldmittel zu kürzen oder wegzunehmen, um anschliessend zeter und mordio zu schreien, weil der Service mangelhaft sei ...
Wo fliessen eigentlich diese viele Millionen Schuldzinsen genau hin?
Peter Thommen, Buchhändler, Basel
"Pandemie-Androhung und Bereicherungsabsichten"
Gut angedacht: Es fehlt mir jedoch das Beispiel der aktuellen Pandemie-Androhung. Auch hier sind Bereicherungsabsichten zu erahnen.
Die Angstmache dient dank "medialer Verstärkung" und "empfohlener Verordnung" der Belebung gewisser Aktienmärkte. Und mit Schlagwort "Schweinegrippe" lässt sich das Thema im Volk auch leicht verankern. Diese tierische Bezeichnung kommt im sozial sensiblen Kanton der Chemielobby keiner Menschengruppe zu nahe. In Gegenden der dominierenden Schweinehalterlobby könnte sie sich jedoch negativ auf den Fleischkonsum auswirken.
"Eine Krähe hackt keiner andern das Auge aus." Nach diesem Grundsatz unterstützt auch dort die Angstmache - und warnt vor der "Mexikanergrippe".
Georges Hochstrasser, Muttenz
"Politische Korrektheit und Klarheit beissen sich"
Herr Schmidt spricht nebenbei die politische Korrektheit an und er deutet auf ein damit verbundenes Problem hin. Das Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass sich die politische Korrektheit und die Klarheit von Aussagen gegenseitig beissen. Darunter leidet in der Regel die Aussage. Klare Aussagen sind häufig nicht politisch korrekt, dafür verständlich. Ich befürworte einfache, anständige und verständliche Worte und plädiere deshalb für weniger politische Korrektheit.
Peter Berlepsch, Basel