Schattenkriege in der globalisierten Welt
Ein kaum überraschender Zusammenhang zeigt, dass das Auftreten des Internets und der Fall der Berliner Mauer als Beispiel für die zu Ende gegangene Zweiteilung der Welt in die gleiche Zeit fallen. Man kann darin einen Hinweis auf eine neue Weltordnung erkennen. Folge des Übergangs von der dualen zur monopolen beziehungsweise globalisierten Welt ist, dass mit der Durchlässigkeit und dem Wegfall der Grenzen die alten Nationalstaaten ihre alte Rolle verloren haben und infolgedessen die Kriege heute etwas Anderes bedeuten.
Kriege werden heute als Wirtschaftskriege oder im Cyberspace geführt. Wenn doch noch Kriegshandlungen vorkommen, zum Beispiel in Afghanistan oder wenn Israel den Iran angreifen sollte, müsste man erstens von lokal begrenzten Brandherden sprechen und zweitens von Versuchen, um neue Waffensysteme zu erproben. Die Rüstungslobby ist stark und einflussreich, und der Feind sitzt nicht mehr ausserhalb, sondern im Inneren der Staaten. An die Stelle der alten Kriege ist die Polizeiaktion gegen den "universal adversary" getreten. Der Staatsschutz und Sicherheitstechnologie ersetzten die Armeen.
Der Gegner und Feind ist nicht nur überall, er ist selbst Gegner für die Anderen. Das ist das neue planetare Modell, mit dem wir es neuerdings zu tun haben.
Die Al-Kaida ist keine traditionelle Armee, sondern eine dezentralisierte und verdeckte Organisation, ein System und Prinzip, allenfalls eine ideologische Propagandastelle, weshalb es so schwer ist, ihr mit Claus Clausewitz und der Abschreckung durch hochgerüstete Armeen beizukommen. In gewisser Weise gilt das auch für die Talibankämpfer in Afghanistan.
Die Grenzen sind aufgehoben, sind verschwinden oder verlaufen transversal, quer durch die Formationen. Alles ereignet sich jetzt, hier, überall, gleichzeitig, alles trifft ein, alles ist der Fall.
Mehr und mehr wird die Armee im eigenen Land eingesetzt, im besten Fall bei Katastrophen. Aber sonst: Gegen wen soll Krieg geführt werden? Gegen Wirtschaftskriminelle? Oder gegen Drogenbanden? In Ciudad Juarez haben Staat und Armee den Kampf verloren. Am ehesten wird das Militär noch gegen Regimekritiker und Dissidente mobilisiert (in der Schweiz 1918 beim Generalstreik) oder um Ureinwohner aus ihren rohstoffreichen Stammesgebieten zu vertreiben. Israel schickt seine Mossad-Agenten nach Dubai, um einen Hamas-Führer umzulegen. Die USA machen Jagd auf malische Drogenhändler quer durch Afrika und wenden ihr eigenes Recht auch extraterritorial an – auch dies ein Zeichen, dass Grenzen keine Funktion mehr haben.
An die Stelle der Armee sind Geheimdienste getreten, Söldnertruppen, Sicherheitsfirmen (wie "Blackwater"), Privatarmeen (in der Schweiz die unselige P-26), die das Geschäft besorgen, sich jeder demokratischen Kontrolle entziehen und in einem höchst vagen Terrain operieren. Obama hat bereits deponiert, dass er den "Schattenkrieg" ausweiten will, mit Folgen, die man sich nicht fürchterlich genug vorstellen kann (War Lords, Menschenjagd, Zerfall ziviler Ordnung).
Kriege werden so privatisiert und zu einer ökonomischen Dienstleistung. Private können das Geschäft radikaler und grausamer erledigen als militärische Einsätze, ausserhalb der Genfer Konvention.
Wir leben in einer globalisierten, zusammenhängenden Welt. Die Folgen sind eine Unübersichtlichkeit, die es zur Zeit der Schützengräben nicht gegeben hat. Besser geworden ist die Welt dadurch nicht, aber die Folgen der Veränderung treten jetzt sichtbar auf.
23. August 2010