Weltveränderung – durch Autopiloten gesteuert
Seitdem die politische Entwicklung auf den Autopiloten umgeschaltet hat und die Ereignisse ihre eigene Dynamik entwickelt haben, hat sich die Welt rasend schnell verändert. Drei Monate haben genügt, um sie auf den Kopf zu stellen. Die neue Unübersichtlichkeit ist unerreicht und schwer zu begreifen.
Der Überwachungsstaat hat den Diktaturen der Welt eine formidable Infrastruktur zur Verfügung gestellt. EZB-Präsident Mario Draghi fordert die Regierungen der EU auf, die sozialen Systeme und Arbeitsbedingungen an die Finanzmärkte anzupassen. Der rechtslastige Ministerpräsident von Ungarn, Viktor Orban, prophezeit das Ende der liberalen Demokratie, nennt die autoritären Staaten Singapur, China, Türkei, Russland als Vorbilder für die Wettbewerbsfähigkeit, und niemand weit und breit greift sich entsetzt an den Kopf, die Politiker nicht, die grossen Medien nicht.
Weiter: Durch das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA soll zwar ein grosser, gemeinsamer Markt entstehen mit Investorenschutz, der im aber Begriff steht, die in 200 Jahren errungenen demokratischen Fortschritte zu liquidieren.
Was noch? Die genveränderten Organismen stellen nicht so sehr ein gesundheitliches Problem dar als sie die Frage aufwerfen, ob die Ernährung der Menschenheit bei einigen Agro-Konzernen zu deponieren sei, die ihren Return erwarten und nicht das Wohlergehen der Menschheit im Sinn haben.
Im Nahen Osten breitet sich unter dem Begriff "Gottesstaat" eine blutige Barbarei mit religiösem Gesicht aus. Israel bombt Gaza in Schutt und Asche und wundert sich, dass die Welt zaghaft dagegen Einspruch erhebt. Wir erleben in diesen Tagen, wie die religiöse Indoktrination und der Fanatismus der Gläubigen ein Ausmass erreicht wie nie zuvor. Jede Religion, die behauptet, die einzige wahre zu sein, offenbart einen ihr innewohnenden tiefen feindseligen und reaktionären Kern.
Unterdessen versuchen die USA und Europa, die Augen vor der Entwicklung zu verschliessen, so gut es geht, und tun, als wäre nichts geschehen. Fast wie ein Glücksfall ist der Ukraine-Konflikt als Ablenkung dazwischen gekommen, allerdings mit sehr ungewissem Ausgang.
Es ist ein bisschen viel geworden, meine ich.
Wie man darauf reagieren soll, ist eine heikle Frage.
Die Politiker berufen sich gern auf die westlichen Werte, mit denen sie aber meistens nur die ominöse sogenannte Wettbewerbsfähigkeit meinen. Oder einfach nur eine gewisse Gleichgültigkeit, die gern als Toleranz getarnt wird.
"In der veränderten Welt von heute können
wir nicht weitermachen wie bisher."
Während der britische Premier David Cameron an den britischen Finanzplatz London denkt, breiten sich in Londonistan die schariakontrollierten Zonen aus, zu denen die Kuffar, die Ungläubigen keinen Zugang haben. Erst als es Cameron einfiel, dass die britischen Dschihadisten nach ihrer Rückkehr aus dem Nahen Osten in Rest-Grossbritannien Anschläge vorbereiten könnten, änderte sich seine Rede, aber für wie lange?
Ob die Werte der Aufklärung mehr Einsicht verschaffen können, das ist noch nicht ausgemacht. Die Begriffe, die einmal eine erhabene hohe geistige Entwicklung vertraten, haben ihre Bedeutung eingebüsst, zu sehr hat sich die reale Welt verändert, manchmal ins genaue Gegenteil, und wir bekommen jetzt das entstandene Defizit an Ideen, Werten, Visionen zu spüren. Es ist ein Auflösungsprozess, der stattfindet, und wir stehen mitten drin.
Als Skeptiker merke ich nur, dass wir in der veränderten Welt von heute nicht mehr weitermachen können wie bisher. Wenn wir die Meinungsfreiheit verteidigen und sie denen gewähren, die uns an die Gurgel wollen, dann stimmt etwas nicht mehr. Die politische, soziale, religiöse, ethnische Korrektheit, die wir wie eine Monstranz vor uns hertragen, hat zur Entstellung der Tatsachen geführt. "Wir haben gehorsame Demokraten zu sein", hat Friedrich Dürrenmatt einmal gesagt, aber natürlich nicht gemeint. Es war Spott über die Gutmeinenden.
Stellung zu nehmen ist schwierig geworden, fast fahrlässig, weil es fast für jede Meinung eine passende Gegenmeinung gibt. Hinter jeder Information, jeder Nachricht verbirgt sich eine Absicht, ein Interesse. Einzugreifen ist so problematisch, so verkehrt, wie sich herauszuhalten und in eine Art splendid isolation zurückzuziehen.
Es ist aber zu einer Tatsache geworden, dass wir weniger idealistische Hygiene brauchen und mehr Dissens, weniger Toleranz und mehr Bereitschaft, das eigene, aber immer überprüfte Urteil zu verteidigen, selbst auf die Gefahr des Irrtums hin.
Das ist die neue Lage, in der wir uns befinden. Sie sich einzugestehen, wäre der erste notwendige Schritt, um aus dem Debakel herauszufinden. Das Weitere ist dann immer noch ein gehöriger Brocken. Wie verhandelt man mit Extremisten und Fanatikern? Etwa mit Vernunft-Argumenten? Wohl kaum. Appeasement ist der falsche Weg. Eine Entschuldigung für Naivität gibt es nicht. Selbst wenn es falsch sein sollte, müssen wir Partei ergreifen. Unter Umständen kommen wir also nicht darum herum, uns die Hände schmutzig zu machen.
8. September 2014