Wohltönende Reden – schmutzige Kriege
Dass die Schattenkriege des US-Präsidenten Barack Obama, seine verdeckten Kommandoaktionen, die "dirty wars", ein aktuelles Thema sind, erkennt man auch an der grossen Zahl von Veröffentlichungen zum Thema. Einen besonderen Platz nimmt darunter der Titel "Schmutzige Kriege" des amerikanischen Journalisten Jeremy Scahill ein, der den Stoff auch in einem Film behandelt hat, der kürzlich am deutschen Fernsehen gezeigt wurde.
Mit Schattenkrieg ist hier der sogenannte Kampf gegen den Terrorismus zu verstehen, den die USA nach dem Anschlag vom 11. September in Angriff genommen haben. Der Entschluss mag gerechtfertigt erscheinen, denn wer angegriffen wird, wehrt sich. Übersehen wurde nur, dass die USA nie zögerlich waren, in anderen Ländern Krieg zu führen, aber 2001 zum ersten Mal selbst zu verstehen bekommen haben, was es heisst, Angriffsziel zu sein.
Dieser Krieg hat sich längst verselbständigt und seine Minimnalregeln tiefgreifend verändert. Wer nicht in High-Tech-Ausrüstung mit Nachtsichtgeräten und Cruise-Missiles losmarschiert, also nach der geltenden Definition Kriegsregelverstösse begeht, fällt unter den Begriff der "ungesetzlichen Kombattanten". Es entsteht eine militärische Asymmetrie, weil die Aufständischen sich eine reguläre Armee nicht leisten können.
Damit wird der Krieg von denen, die ihn unter dem klassischen Begriff führen, in diesem Fall den USA, einseitig und zum eigenen Vorteil interpretiert.
Mit der Einsetzung von militärischen Spezialeinheiten ("Navy Seals") beziehungsweise privaten Söldnerfirmen ("Blackwater", heute "Academi") haben sie dem Krieg ein neues Gesicht gegeben, ihn teilprivatisiert und vor allem roboterisiert, wie der Einsatz von Drohnen zeigt. Bodentruppen zu entsenden hat sich als viel zu verlustreich erwiesen.
Diese Kommandos sind mit enormen präsidialen Vollmachten ausgestattet, unterliegen jedoch keiner parlamentarischen Kontrolle. Sie operieren im Geheimen. Gut denkbar, dass sie selbst als "unlawful combatants" zu definieren sind.
"Unter Berufung auf Demokratie und Freiheit
erscheint jede Massnahme gerechtfertigt."
Während Obamas Reden über eine friedliche Welt wohlklingen, führt er einen schmutzigen Krieg. Er wollte die Exzesse seines Vorgängers beenden, in Wirklichkeit hat er den verdeckten Antiterror-Kampf massiv erweitert. Im Jemen werden Angriffe auf Zielpersonen bewilligt, die den Planern unbekannt waren, schreibt Scahill. Für die Tötung eines US-Bürgers, für die andere rechtliche Voraussetzungen gelten als für Nicht-US-Bürger, seien "keine eindeutigen Beweise" erforderlich, der Entscheid "eines gut informierten, hochrangigen Regierungsvertreters" reiche aus. Im Verdachtsfall wird die gezielte Tötung als Tatbestand "eines legalen Aktes der Selbstverteidigung" interpretiert.
Als Präsident hat Obama seine Grundsätze als Professor für Verfassungsrecht verraten. Warum er den Friedens-Nobelpreis erhalten hat, ist im Nachhinein unverständlich. Fairerweise sollte er ihn zurückgeben.
Zuerst wird die Rechtslage so zurechtgebogen, dass es möglich ist, sich über die Gesetze hinwegzusetzen. Dabei entsteht eine Ausgangslage, die im Namen von Demokratie und Gerechtigkeit jede Massnahme rechtfertigen soll.
Der verdeckte Krieg, bei dem Unschuldige und Unbeteiligte kollateral ums Leben kommen, ist zur Verhängung von Todesurteilen ohne Gerichtsverfahren geworden, gewissermassen zu Exekutionen auf Vorrat.
Erreicht haben die USA damit nichts. Für die eigene Bevölkerung, die vor möglichen Anschlägen bewahrt werden sollte, ist am Ende die Unsicherheit und Bedrohung grösser als die Sicherheitserwartung. Ausserdem haben die herbeigerühmten westlichen Werte wie Demokratie und Freiheit ihre Glaubwürdigkeit verloren und rufen in weiten Teilen der Welt nur Hohn hervor.
Gravierend vor allem ist jedoch, dass die USA eine neue Generation von Feinden herangezüchtet haben, meint Scahill. Nicht der Terror sei das Problem, sondern die um sich greifende Radikalität, zitiert er einen CIA-Beamten.
Wer Terror sucht, findet ihn mühelos. Wer Terror bekämpft, bekommt ihn als Retourkutsche ins Haus geliefert. Es entspricht einem evidenten Gesetz des Diskurses, dass seine Strategien sich am Ende in ihr genaues Gegenteil umkehren.
Obamas Rechtfertigungslogik der Terrorismusabwehr hat zu einer triumphalistischen Machtdemonstration der Staatsgewalt geführt, die sich passend neben das Dispositiv der Bevölkerungsüberwachung stellt.
Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hat unlängst daran erinnert, dass "99 Prozent aller terroristischen Übergriffe im 20. Jahrhundert auf das Konto von Staatsterrorismen" gegangen seien. Wie es aussieht, ist die Entwicklung im Begriff, sich eher noch zu verstärken.
16. Dezember 2013
"Friedensnobelpreis-Verleihung schon vorher ein Hohn"
Ich muss Herrn Schmidt ausnahmsweise widersprechen: Dass Obama den Friedensnobelpreis erhalten hat ist nicht erst im Nachhinein unverständlich, sondern war schon im Moment der Vergabe ein Hohn. Denn jeder, der sich nicht durch die Obama-Manie anstecken liess sondern nüchtern hinhörte, was der Mann wirklich sagte, wusste schon vor seiner Wahl, dass der Mann zwar im Gegensatz zu seinem Vorgänger blitzgescheit, aber keinen Deut weniger "amerikanisch" war. Doch ist die angesprochene Politik des Staatsterrors ohnehin keine Spezialität der USA, Sie ist es akutell nur darum, weil die USA halt die Mittel dazu haben, sie im grossen Stil zu betreiben, und viele andere Länder nicht. Das Grundübel liegt aber darin, dass Sicherheitspolitik auch heute noch meistenorts vom Militär definiert wird. Die Kernkompetenz des Militärs ist aber nun mal das Kriegführen und nicht die Friedenspolitik.
Stefan Zingg, Basel