Fit getrimmt mit Superpunkten
Sie haben mich dazu verdonnert, fitter zu werden. "Sie" ist eine verschworene Gemeinschaft von Ärzten, Chiropraktoren, Physiotherapeuten und dem Vater meiner Kinder. Letzterer zeigt mir jedes Wochenende, was Sache ist, wenn er in Windelhosen, schrillen Kunststoff-Shirts und mit Velohelm auf sein Mountainbike steigt und Strecken zurücklegt, die mich schon beim Betrachten auf Google Earth unglaublich anstrengen.
Nun bin ich ja nicht a priori unsportlich, schliesslich habe ich jahrzehntelang getanzt. Das ignoriert Mister Mountainbike jedoch. Ich sei faul, "nur" tanzen täte ich gerne. Da hat er zwar Recht, aber das "nur" ist vollkommen fehl am Platz. Tango, Cha-cha-cha, Walzer, Rock 'n' Roll, das soll er mir mal nachmachen. Aber die Sache hat einen Haken. Ich tanze nämlich schon lange nicht mehr, und das hat auch seinen Grund: Mountainbike und Lackschuhe vertragen sich schlecht. Also ist eigentlich ER schuld an meiner schlechten Kondition. Aber wem sage ich das!
Ich solle, meinte der Chiropraktor, doch die Übungen in den Alltag einbauen und beim Zähneputzen auf die Zehenspitzen stehen. Ebensolches riet meine bessere Hälfte, allerdings war er dafür, in die Hocke zu gehen. Da sah ich mich aber nicht mehr im Spiegel. Deshalb kombinierte ich die beiden Vorschläge. Das ging so lange gut, bis ich noch ein leichtes Stretching einbauen wollte. Die Folge waren dann drei gebrochene Rippen und eine gequetschte Niere. UND: sechs Wochen Ruhe vor den Sportfanatikern.
Das Problem war damit natürlich nur verschoben. Klar ist: Keiner kriegt mich in diese Pampers und so stinkige Sportschwitzoberteile in grellen Farben, es sei denn, sie seien von Dolce Gabbana. Aber die wären dann zum Radeln viel zu schade, zum Glück. Auch anderes, was offenbar gesund wäre, liegt mir nicht sonderlich. Beim Joggen kann man sich den Fuss verknacksen, das ist also gefährlich. Zudem hat mich eine nette Nachbarin, die ich bei einem einmaligen Versuch im Wald antraf (sie: Hund, ich: roter Trainer) darauf hingewiesen, dass mein Kopf etwa gleich rot sei, wie mein Trainer. Also bitte, ich mache mich doch nicht zum Gespött meines ganzen Wohnquartiers.
Aber etwas war halt schon dran, an dieser Sache. Einer der Ärzte attestierte mir zuerst die Lungenwerte einer Siebzigjährigen. Das steckte ich noch weg, hätte ja sein können, dass dieser Apparat, in den ich blasen musste, kaputt war. Dann musste ich im Universitätsspital die Treppe hinauf rennen, ein netter junger Arzt rannte hinterher und mass irgendetwas. Es ist ja toll, wenn einem junge Herren nachrennen, in meinem Alter, aber nach allen Auswertungen hielt er mir dann eine Rede über Muskeln, die rasch in "anaerobe Bereiche" gerieten, was ich nicht verstand. Ich verstand aber sehr wohl seinen Gesichtsausdruck, und dann das Nicken, auf meine Frage hin, ob das bedeute, dass ich eine Pfeife sei.
So weit, so schlecht. Mit Superpunkten bestellte ich also ein Velo ohne Räder. Das kam in mehreren Schachteln und musste erst zusammengeschraubt werden. Damit hatte ich mein erstes, schweisstreibendes Training hinter mir. Danach trat ich so vor mich hin. Anfänglich ging es harzig, dann immer besser, nun bin ich bei wöchentlich zwei bis drei Mal einer Stunde angelangt, ganz wie vom jungen Herrn, der mir nachrannte (es muss noch einmal gesagt sein), empfohlen. Und trete. Und trete.
Das ist unglaublich LANGWEILIG. Lesen geht nicht, weil es rüttelt. Ich habe zum Fenster hinausgeschaut, von links nach rechts und wieder retour. Aber da ist nichts, bloss Dächer und Bäume. Ich habe mit meiner Mutter telefoniert, aber die hat sich über mein Keuchen gewundert und sich schliesslich, nach meiner atemlosen Erklärung, besorgt gezeigt. Ging also auch nicht. Schliesslich bat ich meine Töchter, mir den Fernseher einzuschalten, weil ich keine Ahnung hatte, wie das geht. Es hat drei Fernbedienungen, warum auch immer, und unser TV hupt seltsamerweise unter gewissen Umständen wie ein LKW.
Wahnsinn, was ich in den letzten Jahren am TV nicht alles VERPASST habe! Zum Beispiel, wie man heute Heiratsanträge macht, alles dabei, Kniefall und Rosen. Es gibt massenhaft Serien, in denen geheiratet wird, unglaublich, was man da heult, nebst der Schwitzerei. Deshalb steht bei mir nun eine Wasserflasche neben dem Drehmoment. Ich weiss jetzt auch, was ein Hartz IV-Bezüger ist: Das ist ein Gratisschauspieler, der nicht ahnt, was auf ihn zukommt, nachdem seine Lebenskrise durch die deutschsprachigen Wohnzimmer geflimmert ist.
Dann werden immer wieder irgendwelche Stars gesucht. Die haben in ihren von "Coop" oder "Aldi" gesponserten Acryl-Kleidchen und etwa 20 Kilos zuviel auf den Rippen natürlich Null Chance. Manche lassen sich irgendwo einsperren. Da schaut man dann, was die so machen. Duschen zum Beispiel, wobei manche Damen an der "Euro 08" offenbar gleich zwei Fussbälle verschluckt haben, die müssten eigentlich in die Autowaschanlage. Oder solche Sportsendungen, in denen Damen an der Autorennstrecke jedes Mal, wenn so ein Superformelweissdergeier an ihnen vorbei geflitzt ist, ein Kleidungsstück weniger anhaben. So zieht das dort.
Kurzum, mit TV geht das Training echt schneller vorbei. Aber das wirkliche Leben ist mir doch noch lieber. Kniefall, Velohelm, Radlerhosen und Rosen im Arm – das passt einfach irgendwie nicht zusammen.
5. April 2010