Verpackungs-Wahn: Dreck zieht Dreck an
Wir haben kein Solarpresskübel-Problem, kein Unterflur- oder Abfuhr-Problem und kein Littering-Problem. Wir haben bloss viel zu viel Abfall. Der Müll stapelt sich rund um den Erdball, schwimmt in den Weltmeeren und liegt auf den höchsten Bergen dieser Erde. Wir vermüllen.
Vor bald zwei Jahren zog ich in die gleiche Strasse, in der ich mit 23 Jahren meine Studentenbude hatte, neun Häuser weiter. Die gleiche Art Haus, bloss wesentlich komfortabler. Ich muss keine Kohlensäcke mehr aus dem Keller holen, keine Öfen mehr anfeuern, und das Klo ist nicht mehr im Zwischenstock.
Damals war die Luft in Basel im Winter russig und schwer. Den wenigen Abfall entsorgten wir in schwarze Plastiksäcke, und das war ein grosser Fortschritt: Bis kurz davor hatten wir Ochsnerkübel gehabt, Blechkübel mit Deckel. Die Müllmänner schlugen die zum Ausleeren an die innere Wand des Wagens, es schepperte schon von weitem, zudem stank es tierisch, Fliegenschwärme flogen hinterher, manchmal auch Vögel. Schwarze Plastiksäcke also nun, und wir wähnten uns im Paradies.
Eingekauft wurde täglich im Quartier. Rund um den Wielandplatz hatte es eine Bäckerei, eine Konditorei, eine Metzgerei, einen Tante Emma-Laden und einen ACV. Die Sachen verdarben rasch, es gab, was es im Laden hatte, und das waren keine Erdbeeren im Dezember und keine Orangen im August.
"Was wir im Alltag auch kaufen –
es ist verpackt wie blöd."
Heute sind die Läden weg. Wir haben die grossen Einkaufszentren, eingekauft wird einmal die Woche, denn die Lebensmittel halten ewig. Es gibt alles und dies jederzeit, Weihnachts-Gutzi im Juli und Osterhasen an der Herbstmesse. Die Kartoffeln sind nicht mehr voller Erde, an den Eiern kleben keine Federn mehr, und die Milch wird nicht mehr sauer. Alles bruchsicher verpackt in Unmengen von Kunststoffen, Blech und Karton. Abfall ohne Ende, und der Müll stapelt sich schon zuhause.
Damit wir ihn loswerden, müssen wir ihn trennen, präzise nach Vorschrift in die Spezialabfuhr oder in gebührenpflichtige Säcke stecken, am richtigen Tag zur richtigen Zeit vor die Haustüre stellen. Das ist aufwändig und passt nicht allen, und so wurde und wird heimlich auch Hausmüll in den Abfalleimern der Stadt entsorgt. Weshalb deren Anzahl, Jahre ist es her, aus erzieherischen Gründen reduziert wurde. Und deshalb sind die verbliebenen Kübel chronisch überfüllt. Wir essen auch unterwegs, und wohin dann, mit der Bierdose und der Pizzaschachtel? Dreck zieht Dreck an, das Resultat ist nicht zu übersehen.
Es bezahlt das Bodenpersonal. Wir bezahlen die Verpackung, wenn wir einkaufen, die Entsorgung, wenn wir gegessen haben. Wir kriegen den Mahnfinger, die Moralkeule, sind die Schweine. Dabei haben wir keine Wahl. Was wir im Alltag auch kaufen – es ist verpackt wie blöd, Pizzas, Getränke, Sandwiches, einfach alles. Wir kommen an dieser Verpackungs-Materialschlacht nicht vorbei, werden das Zeug kaum los, und der Müll türmt sich. So kann es nicht weitergehen.
Wenn es schon erlaubt ist, die Waren derart einzupacken, dann muss auch die Entsorgung gewährleistet sein. Und zwar einfach, niederschwellig und überall. Die Verbraucher können das Problem ganz offensichtlich nicht lösen. Die korrekte ökologische Entsorgung muss zentral erfolgen.
Oder aber wir ziehen die Produzenten dieses Verpackungs-Wahnsinns zur Verantwortung. Weniger Verpackung, weniger Müll. Andere Lösungen aus dem Mülldilemma gibt es nicht.
Immerhin ist heute die Müllabfuhr sauber. Blitzblankblaue Bebbisäcke.
24. April 2023
"Bio braucht keine Plastikfolie"
Es ist so, dass wir viel Abfall nach Hause tragen und ihn dann wieder – meistens in zwei Tonnen Blech zur Sammelstelle bringen. Beispiel Gelterkinden: Sparen ist angesagt, dezentral aufgestellte Glassammelstellen werden aus Kostengründen aufgehoben, ebenso die Papiersammlungen. Für Kunststoffe dürfen spezielle Kunststoffsäcke gekauft und wiederum per Zweitönner an der Sammelstelle eingeworfen werden.
Viel gescheiter wäre es, wenn den Grossverteilern beigebracht werden könnte, dass Bio keine Plastikfolie braucht und ebenso kein Apfel und keine Banane einen speziellen Kleber. Es braucht viele Konsumenten, die den Verpackungsblödsinn nicht mehr mitmachen und diesen Abfall gleich beim Verursacher zurücklassen. Dumm nur, dass das Personal diese Hinterlassenschaft aufräumen muss. Aber es geht nicht anders. Wenns für die Grossverteiler nicht rentiert, bewegen sie sich nicht. Vielleicht dann, wenn das Personal wegen des Wegräumens vielleicht einmal die Schnauze voll hat.
Eneas Domeniconi, Gelterkinden
"Genau so ist es"
Bravo, Andrea Strahm, genau so ist es. Nützt es da etwas, wenn ich vom Einkaufsnetz erzähle oder wie ich als Kind mit dem Krug zur Beiz ging und beim Ausschank das Bier in den Krug füllen liess, vielleicht ein wenig Schaum mit den Lippen absaugte, nützt es, wenn ich wieder ein Einkaufsnetz nähme, die doppelte Plastikverpackung muss ich trotzdem nach Hause nehmen!
Hans Stelzer, Basel
"Der Staat reagiert nur noch"
Stimmt alles; auch (irgendwie) die Schlussfolgerung. Nur – es wird nicht umsetzbar sein. Weil die über die ganze Welt verteilten, von übergeordneten, internationalen Handelsverträgen geregelten Produzenten nicht ganz so einfach zur Verantwortung gezogen werden können. Aus meiner Sicht liegt der Ball letztlich beim Staat, der nur noch regierte, sich dabei irgendwie selbst aus seiner Verantwortung gezogen hatte, als es zu viel wurde.
In der geschilderten "guten alten Zeit" mit den Ochsner-Kübeln war Entsorgung nämlich von unseren Steuergeldern finanzierter Service public; auch für Sperrgut. Das zu ändern, um den Staatshaushalt mit kostenpflichtigen Abfallsäcken zu schonen, war an sich eine gute Idee. Dass das aber zur schmutzigen Umgehung führen würde, konnte man absehen. Auch, weil halt nach wie vor die Reste schnell mal stinken; jetzt halt aus dem Sack in der Küche und nicht mehr dem Ochsner-Kübel auf der Strasse.
Und dann kamen eben auch die gut geschilderten Veränderungen hinzu, die längst nicht mehr in die staatliche Gebührensack-Lösung passen. Die krampfhaften Versuche jedenfalls setzen voraus, dass man Geld ausgibt und erst noch bestens deutsch versteht, um das 96-seitige (!) Buch "richtig Entsorgen" des Baudepartements zu verstehen; und dass man seine Abfälle teilweise in der autofreien Stadt im öV und zu Fuss weit weg bringen müsste.
Peter Waldner, Basel