Durchgangsheim und Planwirtschaft
Wir haben einen allgemeinen Wochenplaner am Küchenschrank. Wir haben einen XXL-Kalender an der Wand. Und wir haben Stundenpläne von Schule und Uni am Kühlschrank. Im Wochenplaner steht, wer in der Regel zu welcher Mahlzeit da ist, auf dem Kalender stehen die Ausnahmen, also etwa "27. Mai: AS ab 17h Onlinereports", und die Stundenpläne dienen der allgemeinen Ratlosigkeit. Und es tragen alle, alle brav ein, schreiben ab und um und merken sich alles. Auch ich. Vor allem ich.
Denn der Zweck der Übung ist: Gesund essen. Und damit das gelingt, muss man a) vorher einkaufen und b) ahnen können, wer vermutlich am Tisch sitzen wird. Und da unsere Familie ziemlich intolerant ist – die einen gegen Laktose, andere gegen Gluten, wieder erstere gegen Fruktose – muss man nicht nur wissen, wie viele, sondern auch wer. Es ist also ganz einfach.
So stehe ich nach meiner Fitness(tor)tour abends entspannt unter der Dusche, dank Planung genau wissend, dass zum Znacht keiner da ist. Ich erwäge alle möglichen ungesunden Dinge wie Bier und Chips und DVD, trockne mich ab. Dann wundere ich mich ein klein wenig über den penetranten Küchengeruch, will zum Kleiderschrank und mir einen Trainer fischen – und hechte adrenalingebeutelt wieder zurück ins dampfende Badezimmer. Denn da kommt, gemütlich pfeifend, der theoretisch abwesende Freund der älteren Tochter die Treppe hoch. Und wo er ist, ist immer auch sie, denn man erhält die zwei nur im Doppelpack. Und in der Tat, wie ich hinter der Badezimmertür hervorlugend feststelle, muss sie unten in der Küche sein und kochen.
Nun ist ja Adrenalin gut für die Figur, ich warte also, bis der Schwiegersohn in spe verschwunden ist, schleiche im Indianer-Stil zum Schrank, sprinte ins Schlafzimmer und ziehe mich an. Unten stelle ich dann fest, dass die Kocherei meiner Tochter, da es ja gemäss Plan "nichts" hat, aus einer glutenfreien Tiefkühl-Lasagne besteht, die sie gerade aus dem Ofen nimmt. Verkehrskunde sei halt ausgefallen, der Freund des Freundes erkältet oder irgendetwas in der Art, jedenfalls sind sie jetzt hier, und jedenfalls ist es ihnen völlig egal, ob sie nun gesund essen oder nicht, sie haben mordsmässigen Kohldampf, wie immer, und so setze ich mich dazu und wir essen zu dritt ungesunde Dinge.
Oder ich decke, alle sind angemeldet, den langen Tisch liebevoll, mache Gemüse und alles drum und dran – und kann dann sechs glückliche Spiegeleier selber verspeisen, weil doch keiner kommt. Sieht leider auch keiner, wie ich danach grün im Gesicht im Bett liege. Und anderntags schwören alle, alle, sie hätten mir das doch gesagt, und ich leide, Albtraum jedes Anwaltes, unter Beweisnotstand.
Kürzlich wollte ich die angekündigte Abwesenheit der Meute dazu nutzen, einen Hektoliter Sugo vorzukochen und portionenweise einzufrieren. Richtiger Sugo braucht ein paar Stunden Kochzeit, und man weiss ja: "Guter Rat – Notvorrat". Um genau 19.30 Uhr war der Hektoliter Sugo aufgegessen: Die vermeintlich Abwesenden müssen das bis ins Büro, die Schule, die Uni, die Fahrstunde gerochen haben, alle waren sie da, bevor ich auch nur einen Dezi Sugo im Tiefkühler verstaut hatte.
Der im Wochenplaner eingetragene Pfadihogg (bedeutet: drei Teenies ausser Haus) wurde kürzlich spontan zu uns verlegt (bedeutet etwa zehn, gefühlte 100 Teenager anwesend) und gleich, noch spontaner, mit einem Nachtessen kombiniert. Als wir Eltern heimkamen, stand die Kleine am Herd und kochte, ein Bündel Leute stierte in einen Laptop und grölte, und irgendwer öffnete Schränke auf der Suche nach Geschirr. Zum Glück gibt es Restaurants.
Kurzum: Es klappt nie. Weshalb bei uns gesunde Küche vor allem in meinem Kopf stattfindet. Kürzlich las ich, dass gesunde Ernährung eigentlich gar nicht so wichtig ist. Bewegung ist viel, viel wichtiger für die Gesundheit. Leider. Also, was solls! Sind wir halt ein Durchgangsheim und keine Planwirtschaft. Hauptsache, die Bande zieht noch lange nicht aus.
7. Juni 2010