Zweitwohnungen und Spekulationspoker
Ich sitze in unserem Zweithaus und schreibe meine Kolumne, da schreibt es sich besonders gut über Zweitwohnungen. Was denken Sie, wer hat da nun eigentlich den grossen Joker gezogen mit diesem JA zur Beschränkung des Zweitwohnungsanteils pro Gemeinde auf 20 Prozent? Meiner einheimischen Nachbarin und Freundin Lucia ist es klar, und sie vertritt die Meinung unseres Dorfes: Sie sind die Verlierer, denn sie können ihre Häuser nun nur noch an Leute verkaufen, die hier wohnen.
Das ist hart, denn das Dorf leidet unter Abwanderung. Wir sind hier nämlich im rauhen Tessiner Gebirge, und weder im lieblichen Maggiatal noch gar in Ascona. Auch Touristen verirren sich nicht viele hierher.
Aus reinem Gwunder fragte ich auch ein paar Basler Zweit- oder Mehrwohnungsbesitzer, wie sich ihrer Meinung nach der Immobilienmarkt entwickeln würde. Die Preise für die Feriendomizile werden steigen, sagen sie. Und freuen sich, denn sie geniessen das Privileg, unabhängig vom Prozentsatz ihrer Gemeinde eine Zweitwohnung auf immer zu besitzen, denn wer am Stichtag hat, der hat. Sie müssen einzig darauf achten, ja nie an einen Einheimischen zu vermieten oder zu verkaufen, der womöglich vor Ort Steuern zahlt, denn sonst könnte Ungemach drohen und der Zweitwohnungsstempel erblassen.
Eine Wohnung ist häufig als beides zu gebrauchen – Domizil oder Feriendomizil. Bislang wurde sie einfach zum Verkauf angeboten, und der Verkäufer interessierte sich nicht sonderlich dafür, ob der Käufer da nun wohnen wird oder nicht. In Zukunft wird eine Wohnung aber zugeordnet werden müssen. Der Initiativtext nennt ausdrücklich "Baubewilligungen für Zweitwohnungen": Folglich muss bei einem Baugesuch von vorneherein bestimmt werden, ob ein Projekt von einheimischen Steuerzahlern bewohnt werden wird oder nicht. Da Touristen potentiell attraktivere Preise bezahlen, wird, wer kann, seine Liegenschaft als "Zweitwohnung" registrieren lassen.
Einheimische können folglich ihre Liegenschaften nur noch unter sich loswerden, denn Erstwohnung ist Erstwohnung, und wenn junge Leute zuhause ausziehen, werden sie die Zwei am Rücken haben, wenn sie eine Wohnung suchen, denn wer an einen Einwohner vermietet oder verkauft, riskiert womöglich den "Zweitwohnungsstatus" und somit Geld zu verlieren. Die Folge sind zweierlei Liegenschaften: die einen für die Einwohner, und andere für die Touristen.
Gewonnen hat also einmal mehr der, der eh schon hat und die Einheimischen sind die Lackierten, wenn sie nicht selber schon Ferienwohnungen haben, die sie an Feriengäste vermieten.
Nachkommen von kürzlich verstorbenen Leuten hier im Dorf wollen das grosse Tessinerhaus in Ferienwohnungen umbauen. Geht das nun nicht, wird das passieren, was hier mit so manchem Haus passiert: Es wird ein Schild angebracht, "Vendesi" und eine Telefonnummer. Und das bleibt dann über Jahre hängen und verlottert mit dem Haus.
Und so gut es mir hier gefällt, in dieses Haus hier dürfen wir nie zügeln, niemals. Sonst wird das noch eine Erstwohnung, man bedenke die Entwertung! Wir müssten also woanders im Ort etwas mieten. Aber wer weiss, vielleicht ist alles wieder anders, bis ich wirklich hierher zügle, denn irgendwer muss den Unsinn doch erkennen und stoppen. In diesem Sinne: Ihnen allen einen schönen Ersten Mai, ob nun in Ihrer Erst-, Zweit- oder Drittwohnung!
30. April 2012