Schweiz ist geil: Tipps zur neuen Identität
Liebe Schweizer Ausländer und Ausländerinnen! Zum Dank dafür, dass Sie alle so wacker mitgefeiert haben am 1. August und auch viele von Ihnen rote T-Shirts mit weissen Kreuzen trugen, geben wir Ihnen heute ein paar Tipps zur Schweizerwerdung. Wir kriegen nämlich immer wieder zu hören, wir seien so unnahbar, was natürlich nicht stimmt. Ich jedenfalls habe sehr viele Schweizerinnen und Schweizer in meinem Freundeskreis. Aber vielleicht verstehen Sie uns nicht immer so ganz. Möglicherweise verstehen nur die Schweizer die Schweizer, und zwar von Genf über Lugano bis Basel. Und die Schweizerinnen die Schweizer und die Schweizerinnen und die Schweizer die Schweizerinnen. Der Einfachheit halber reden wir nachfolgend nur noch von Schweizpersonen, sonst wird der Text zu lange und die Redaktion kürzt mir wieder alles.
Schweizperson ist man nicht aufgrund einer Rassenzugehörigkeit, Blutgruppe oder genetischen Disposition, sondern aufgrund einer Lebenshaltung. Wir sind zutiefst demokratisch, hierarchiefeindlich und allem gegenüber misstrauisch, was in Richtung Machtkonzentration geht. Etwa Könige, Päpste, Kaiser, Präsidenten, Europäische und andere Gemeinschaften. Erst liefern, dann lafern, hiess es in meiner Kindheit. Zeig erst, was Du kannst, bevor Du den Mund aufreisst. Keine Angeberei, jedenfalls nicht, bevor man nicht wirklich ganz, ganz oben ist. Da kann man Diplome und Zeugnisse bringen, wie man will, wichtig ist der Einsatz, die Einstellung.
Warum wir hier, auf diesem Fleck Erden, Gleichgesinnte fanden ist unersichtlich. Vielleicht eine Strahlung des Berggesteins, die besondere Dickköpfigkeit bewirkt? Jedenfalls zeigte sich dieses einhellige Bedürfnis nach Eigenbrötlerei über alle Sprachschranken hinweg. Das Tessin, die Romandie und die Deutschschweiz waren sich einig.
Da erreicht werden musste, dass das gemeinsame Interesse über die kulturellen Schranken siegte, entwickelten wir typisch schweizerische Eigenschaften, vor allem: Zurückhaltung hoch zehn. Erst mal schauen, wer der andere ist. Diplomatisch sein, damit keine Missverständnisse entstehen, die böses Blut und schliesslich Krieg geben könnten und damit wieder die verhassten fremden Herrscher. Und hatten wir uns einmal in allen drei Sprachen auf eine Vereinbarung geeinigt und Gesetze und Verordnungen erstellt, dann hielten wir uns auch daran. Der Staat sind wir, frei nach Louis XIV.
Nun marschiert heute Napoleon nicht mehr ein und auch die Habsburger sind relativ ruhig, aber die Lebenshaltung ist geblieben. Man stellt das Licht unter den Scheffel und lernt Sprachen. Damit das nicht allzu perfekt wird, haben wir uns eine Partei zugelegt, die das Gebot der Zurückhaltung gerade eben nicht pflegt und diplomatisch den Elefanten im Porzellanladen spielt. Aber jedes Land hat seine schwarzen Schafe, also müssen auch wir eins haben. So höflich sind wir.
Natürlich pflegen wir unseren heimischen Dialekt, aber ebenso wichtig ist es, dass wir die andern Schweizer verstehen. Es gilt als unhöflich, vom andern zu erwarten, dass er sich einem anpasst. Also redet der Romand italienisch, wenn er mit dem Tessiner spricht, und der Tessiner französisch. Wir wissen genau um die Relativität unserer Gewohnheiten und dass man etwas ein paar Kilometer weiter ganz anders macht.
Sie, lieber Gast, sind anders. Sie wissen ganz genau, wie man etwas macht und finden uns fürchterlich linkisch und unbeholfen. Sie sagen uns das und bieten Lösungen an. Wir nicken höflich, es interessiert uns nicht, denn nebst Ihnen hat es hier noch einige hunderttausend Ausländer, und die sind alle ebenso überzeugt, zu wissen, wie man es machen sollte, und zwar anders, als Sie. Und wir. Ihr Ausländer macht unter Euch Hierarchien aus, die unserem kulturellen Quantensprung diametral entgegenlaufen, denn ein Amerikaner oder Deutscher ist für uns ebenso ein Ausländer, wie ein Afrikaner, Franzose, eine Inderin oder Brasilianerin. Tritt der eine dem andern gegenüber überheblich auf, hat er bei uns verloren. Nicht die Sprache verbindet uns miteinander, sondern nur die gleiche Lebenshaltung. Aber die dann für immer.
Werden Sie, lieber Ausländer, also Schweizerin (das ist inhaltlich nicht ganz korrekt, aber dafür politisch). Sie machen sich vor Ihren Landsleuten damit natürlich zum Deppen. Wer ist schon gerne immer so höflich, ungelenk, etwas steif, notorisch unaufdringlich. Man gewöhnt sich daran und Sie wissen nun ja: alles bloss Understatement zur Überwindung von kulturellen Grenzen.
Also stellen Sie sich vor den Spiegel und spielen Sie Emil. Sie lernen natürlich Dialekt, egal wie es tönt, denn wie, bitte, klingt es denn, wenn wir Schweizer Ihre Sprache sprechen. Warum sollen Sie also geschliffen klingen dürfen und wir holprig, blödsinnig höflich, wie wir sind. Versuchen Sie sich an unsere Ernährung zu gewöhnen, und versuchen Sie vor allem nicht, uns das, was man bei Ihnen isst, ungefragt vorzusetzen. Kurzum: Willkommen in der Schweiz, Sie wissen nun, wie es geht, und dass es wirklich ganz einfach ist. Sie werden uns erobern, wie einst die hiesigen Italiener: langsam und mit dem Herzen.
Den Wurstsalat machen wir längst mit Olivenöl.
30. August 2010