Wie bei den zehn kleinen Negerlein
Achtsamkeit in der Sprache, das Thema unserer Zeit. Redewendungen sind zuweilen brutal, aber sie spiegeln bloss das wider, was an Überzeugung oder Gedankengut in der Gesellschaft vorhanden ist. Und das ist das Bedenkliche, nicht die Sprache an sich.
Dass die Frauen mitgemeint sein wollen, kommt nicht von ungefähr. "Leser und Leserinnen" kommt aus der Zeit, als eine gewisse Instanz männlicher Entscheidungsträger urteilte, Frauen dürften nicht wählen, gewählt werden oder abstimmen, weil in der Bundesverfassung nur von "Schweizern", nicht aber "Schweizerinnen" die Rede sei. Inzwischen steht da beides. Der Kreis erweitert sich nun um diejenigen, die sich nicht "Mann" oder "Frau" zuordnen lassen. Und dabei geht es nicht nur um eine psychische Empfindung, sondern auch um biologische Veranlagungen.
Wenn ich mit meiner Mutter telefoniere, dann fallen oft alte Redewendungen, die sie noch benutzt, weil sie ihr über die Jahrzehnte in Fleisch und Blut übergingen. Sie denkt nicht nach, man hat das immer schon so gesagt. Wenn einer nach dem andern aus dem Raum geht, dann ist das wie bei den zehn kleinen Negerlein, meint sie – und erschrickt. Geht doch nicht, sie merkt es selbst. Ihre Ärztin ist Schwarzafrikanerin, das war ihr noch nie eine Bemerkung Wert, es ist die Frau Doktor Soundso, sie vertraut ihr blindlings. Und doch hatte sie diesen Negerlein-Spruch noch im Sprachgebrauch, verletzend. Wie so viele Redewendungen.
"Dabei ist die Gegenpartei, die Weitsichtigen,
in vielen Belangen kurzsichtiger als ich."
Die Bezeichnung "blauäugig" hat mich Braunäugige nie besonders getroffen. Aber "kurzsichtig" dann schon, mit meinen minus fünf Dioptrien. Denn "kurzsichtig" heisst eben auch, dass einer nicht über seine Nasenspitze hinausdenkt. Dabei ist die Gegenpartei, die Weitsichtigen, in vielen Belangen kurzsichtiger als ich. Nun ja, es ist zumindest nicht ganz auszuschliessen.
Ebenso rabiat machte mich als Jugendliche, dass mit "dämlich" irgendwie auch ich gemeint war. Mein "herrlicher" Bruder war sprachlich eindeutig besser bedient. Er konnte zwar auch dämlich sein, zumindest in meinen kurzsichtigen jugendlichen Augen, aber lassen wir das.
Zu Zeiten meiner Erziehung wurde zwischen Dame und Frau unterschieden. Zur Dame musste man erst werden, vom Mann zum Herrn wurde man Kraft Geburt, Männer waren automatisch Herren. Damit ich eine "Dame" werden konnte, musste ich einigen militärischen Drill absolvieren. Mit Buch auf dem Kopf hin und her laufen, zum Beispiel, oder Herrenhemden bügeln lernen, die nicht ich, sondern mein Bruder anzog. Der keine Ahnung hatte und hat, wie man die bügelt. Er war ein Herr, ganz ohne Zutun, kein "Herrlein".
Ich hingegen war bloss "das Fräulein", zur "Frau" hätte mich erst ein Mann gemacht. Hätten sich die Zeiten nicht geändert, ich wäre mangels Heirat noch immer "das Fräulein", egal, wie viele Kinder ich habe. Eine Dame ist also nur eine vornehme Frau, ein Herr wird jeder Mann. Herr Hugentobler, Frau Hugentobler, nicht Mann Hugentobler und Dame Hugentobler. Ein Spiegel der gesellschaftlichen Wertung.
Die Herabsetzungen sind subtil, aber nicht minder verletzend. Mit der Sprache müssen sich aber alle wohlfühlen können. Sprache ist das zentrale Mittel der Verständigung, und nur in zweiter Linie Kunst. Sprachliche Nadelstiche, und seien es noch so subtile, verletzen, und Verletzungen haben einen Bumerang-Effekt. Der diejenigen treffen könnte, die sich auf der sicheren Seite glauben.
Wir haben mit Achtsamkeit in der Sprache nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Wir alle.
7. November 2022
"Eine gewisse Sprachlosigkeit"
Bravo, Frau Strahm, Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Als "Backfisch" (sehr hübsch, nicht wahr?), wie man zu Urzeiten auch noch zu sagen pflegte, versuchte meine Mutter mir die zur "Dame" gehörenden "Fähigkeiten" zu vermitteln. Nur mit mässigem Erfolg, muss ich gestehen. Als sie mir einmal an den Kopf warf, aus mir würde wohl nie eine echte Dame werden, fragte ich sie, ob sie wisse, dass "dämlich" von "Dame" abgeleitet sei. Es folgte eine gewisse Sprachlosigkeit.
Danke Frau Strahm. Ich hoffe, viele lesen den Artikel.
Gisela Frech, Wallbach
"Normale Sprache ist nicht herabsetzend"
Klar – ich bin ein "alter, weisser Mann". Sicher schrecklich, aber halt Tatsache. Und darum wundere ich mich halt – nach wie vor – über die plötzliche Empfindlichkeit und das krampfhafte Bashing unsere Sprache ("Vergewaltigung" darf man in dem Zusammenhang ja auch nicht mehr sagen).
Ja – alleine die Tatsache, dass Gott als (alter, weisser) Mann dargestellt wird (was er selbst eigentlich verboten hat), und dass die erste Frau nur aus einer Rippe des Mannes erschaffen worden sei, ist unerhört. Genau so, wie die Sprache, die sich natürlich entwickelt hatte.
Das Beispiel mit dem N-Wort ist eigentlich besonders albern. Das Wort ist vermutlich in unserem Wortschatz entstanden, weil "schwarz" auf Lateinisch (der Sprache unserer vorhergegangenen Hochkultur der Römer) "nigreos" lautet. Und weil das unseren schwarzen Mitmenschen nicht klar ist (und auch nicht erklärt wird), kann es sogar passieren, dass ein Fussballspiel aus Protest abgebrochen wird, wenn ein rumänischer Linienrichter dem rumänischen Schiedsrichter zuruft: "Der Schwarze war’s" - und "schwarz" halt auf rumänisch "negru" lautet.
Ja – unsere Sprache hat sich in einem patriarchalischen Kultur entwickelt. Und leider wurden dabei sogar drei Artikel erfunden. Gewisse Worte präzisieren mittels einem Anhang (…in) ausdrücklich ein weibliches Wesen. Den Rückschluss, dass nun deshalb alle Bezeichnungen neu präzisiert werden müssen, finde ich lächerlich. Für mich ist eine "Frau Doktor" klar; ich muss es nicht "Frau Doktorin" umtaufen; auch eine "Frau Bundesrat" oder "Frau Minister" wäre mir allemal genug, weil ein Amt nun mal ein Amt ist, und Ämter kein Geschlecht haben. Genauso wenig wie Titel, Nationalität, Funktion etc.
Herabsetzend ist die alte, normale Sprache definitiv nicht. Alleine schon, weil die Absicht fehlt. Die Genderisierung (besonders mit dem lächerlichen *) macht die Welt – noch nicht mal die deutschsprachige - nicht gerechter, nur komplizierter.
Peter Waldner, Basel