Auf Rot folgt oft der Absturz
Kürzlich habe ich wieder einmal einen verfassten Text verloren. Gleich zweimal in Folge: Ich öffnete die Datei, und die Hälfte fehlte. Nicht mehr auffindbar, mit keiner Suchfunktion, in keiner Ablage, nicht auf dem Desktop, nicht in der Cloud, nicht auf der externen Harddisk. Weg. Auch mein Mister IT der Hotline fand ihn nicht.
Das eine Mal war es ein Teil des Sonderberichts zur St. Jakobshalle. Naheliegender Verdacht: Die Regierung hat sich ins System gehackt. Das andere Mal war es aber die Präsentation zu einem Vortrag über Immaterialgüterrecht. Dass dies die Regierung auch nur ansatzweise interessieren könnte, ist nicht zu befürchten. Der Wurm war drin, bloss wo?
Ich versank wegen der Präsentation erst in tiefstes Selbstmitleid, denn die war mir so richtig, richtig gut gelungen. Copyright mit Micky Mäusen und Designrecht mit Duplo-Figuren, origineller geht nicht, keiner würde einschlafen. Aber was sollte ich schon tun, ich stand am Samstagmorgen kurz nach fünf Uhr auf und schrieb alles noch einmal, inklusive "Steamboat Willy". Druckte alles vorsichtshalber aus und speicherte es auch noch auf dem Desktop, sicher ist sicher.
Rote Ampeln sind weder im Strassenverkehr noch in Analysen zur Tätigkeit der Regierung gut.
Aber dann ging ich auf die Suche, und tatsächlich fand ich dort, wo das ganze mysteriöse Technik-Zeug steht, externe Harddisk, Router, Kabelsalat, Kabelleistensalat und so weiter, ein rot blinkendes Licht.
Rote Ampeln sind weder im Strassenverkehr noch in Analysen zur Tätigkeit der Regierung gut, aber erst recht nicht bei Informatik-Geräten. Was das für ein Teil war, das da blinkte, keine Ahnung. Aber rot ist nun mal rot. Und das Ding war mit einem flachen Kabel, ähnlich einer Nudel, am Router angeschlossen – ein Fall für die IT, und es lag nahe: Der Datenfresser war gefunden.
Ich tat, was man in solchen Situationen so tut: ausstecken, wieder einstecken. Es blieb bei Rot. Neustart Computer: rot. Internetverbindung prüfen: gut. Ich zündete Stufe zwei: Man google "Gerät Sowieso blinkt rot".
Diesen Trick habe ich vom IT-Verantwortlichen der Kanzlei abgeschaut: Bei Problemen mit dem PC schlurfte er in der unaufgeregten Art aller Computermenschen gemütlich daher, und der PC funktionierte wieder. Einmal holte ich mir in der Wartezeit keinen Kaffee, sondern blickte ihm über die Schulter, und was tat er? Googeln. "Mails werden nicht aktualisiert", dann las er Foren und Tipps durch und tat, was da empfohlen wurde. Kann ich auch, dachte ich.
Also Google. Für das rot blinkende Teil gab es eine Website mit Ratschlägen. Diese arbeitete ich durch, 20 Sekunden da drücken, dies und das. Half alles nichts: rot. Schliesslich schrieb ich in den Chat der Hotline "Teil blinkt rot, nichts hilft".
Max antwortete sofort, wieder dieser Trick mit ausstecken, wieder einstecken, 20 Sekunden da drücken, kurze Pause, dann nochmals dort, ein Zauber wie bei Harry Potter. Diese Rituale, auf dem Fussgängerstreifen nur die gelben Flächen betreten, Finger kreuzen. Zweimal arbeitete ich es durch, kreuzte die Finger, hielt ein Hufeisen. Aber am Ende: rot.
Die Fragen aller Fragen: Wozu dient das Teil eigentlich?
Max verzweifelte, also fotografierte ich das ganze Arrangement und schickte es ihm. "Aha", meinte er, "davon brauchst du zwei." Nach einem weiteren Wortwechsel verstand ich, dass er zwei der blinkenden Teile meinte, nicht Kabel oder Router oder so. Mir reichte zwar eins, aber Fachmann ist Fachmann. Es stecke da bloss eins, teilte ich mit. Und dann die Frage der Fragen: Wozu dient das Teil eigentlich?
Seine Antwort: "Wenn du nicht weisst, wozu das gut ist, und nicht zwei davon hast, dann ziehs raus und entsorge es." Tatsächlich blinkte es dann nicht mehr. Und weg war Max. Ich wollte das Corpus Delicti also weisungsgemäss entsorgen, und zwar in meine Kiste mit nicht gebrauchten Elektroteilen aller Art. Und ja: Da lag bereits ein identisches Teil. Sagen Sie es nicht weiter, es sind halt nun zwei nicht blinkende Dinger, die da ruhen am Grunde der Kiste.
Mein technisch hochbegabter Bruder teilte mir dann mit, dass das wohl schon immer rot geblinkt habe, weil ein Teil fehlte, und wie toll sowas sei, denn man könne damit mit einer App auf dem Handy die Heizung zum Radio machen. Oder so ähnlich. Und ja, wenn ich halt nicht speichern würde, dann seien die Dateien eben weg.
Ich speichere diesen Text nun, drucke ihn aus, kopiere ihn in die Cloud und schicke ihn der Redaktion. Sicher ist sicher. Rot blinken tut nichts, gerade. Jedenfalls nicht bei mir.
20. Mai 2024