Die Frauen-Wehr gegen Männer-Pfoten
Es ist eine riesige Reaktion, die da im Gange ist, mit #MeToo, dem öffentlichen Bekenntnis von unzähligen Frauen, sexuell gegen ihren Willen angegangen worden zu sein. Es ist auch ein Hype, wie so vieles im Netz, welches genauso verschwinden wird wie "Je suis Charlie" und was da sonst noch in letzter Zeit an Empörungswellen durch den Äther schwappte. Wenn nun aber Samuel Schumacher am Samstag in der "Schweiz am Wochenende" schreibt, er wisse nicht mehr, wie mit Frauen umgehen, dann reagiert der falsche.
Zu verniedlichen gibt es nichts: Die physische, psychische und soziale Unterlegenheit macht Opfer zu Opfern, und die Überlegenheit gepaart mit mangelnder Empathie, übersteigertem Selbstwertgefühl und einer verächtlichen Grundhaltung dem andern gegenüber macht Täter. Ob weibliche oder männliche. Nur dass halt in unserer Gesellschaft noch häufig die Frauen die Opferrolle erdulden müssen. Es geht hier aber eigentlich um ein Underdog-Thema, kein Frauenthema.
Als ich einst als junge Juristin in einem Grossunternehmen anfing, warnten mich die Sekretärinnen: Wenn der und der ins Zimmer käme, müsse ich unbedingt die beiden grossen Schubladen der Korpusse links und rechts des Stuhls am Schreibtisch aufziehen, denn der stehe sonst neben einen und fahre mit der Hand an Orte, an denen man seine Pfoten definitiv nicht wolle.
"Auch ein kurzer Blick und warum nicht
ein leichter Pfiff, je nach Situation."
Sie hatten ihre Tricks, die Damen, aber wehren durften, konnten sie sich nicht. Anders als ich, die ich Kampfsport machte. Ich setzte den angesehenen Mitarbeiter des nichtbaslerischen Gerichts, an dem ich als Volontärin war, mit einem Schlag ausser Gefecht, als er mich an einem einsamen Ort im Gerichtsgebäude packte. Zwar liess ich ihn schreiend zurück und floh, aber es war ein traumatisches Erlebnis.
Szenenwechsel. Schreiten auf der Strasse, anerkennende Blicke, das ist doch schön. Macht stolz. Auch ein kurzer Blick im Tram, und warum nicht ein leichter Pfiff, je nach Situation. Da lächelt eine selbstbewusste Frau doch kurz zurück. Natürlich ohne Zwinkern, aber sicher auch ohne Empörung.
Wir Frauen möchten erobert werden, aber respektvoll. Es ist ein riesiger Unterschied, ob auf dem Stirn-Display des Herrn "guter Hintern, satte Titten" geschrieben steht, oder "tolle Frau, tolle Ausstrahlung". Als ein Klient mir nach einer Sitzung hinterher pfiff, legte ich das Mandat umgehend nieder. Geht gar nicht, respektlos. Wir Frauen spüren den Unterschied, und sollten den jungen Frauen, unseren Töchtern, beibringen, ihn zu spüren.
Wenn Mütter den Töchtern hingegen beibringen, "zu zeigen, was sie haben", und diese noch nicht so weit sind, mit Ausschnitt, Push-Ups und Minirock auszugehen, dann ist das der falsche Ansatz, aber leider an der Tagesordnung. Vor allem in Kreisen mit patriarchalen Strukturen. Die Tochter an den Mann bringen, das ist vorbei.
Meine Töchter mussten zum Gruss nie die Hand geben, denn ich wusste zu genau, wie rasch ein Kind herangezogen und gegen seinen Willen abgeknutscht wird. Und als eine meiner Töchter sich einmal unwohl fühlte neben einem aufdringlichen Herrn, und ich das merkte, wechselte ich umgehend den Platz mit ihr. Dass dies Aufsehen erregte, war mir egal, und sie war erleichtert.
Herr Schumacher, bitte flirten Sie, wenn eine Frau ihnen gefällt. Achten Sie aber darauf, ob es ihr gefällt, Sie merken das. Und wenn Frauen "Nein" sagen, meinen sie "Nein", nicht "Vielleicht". Und ein "Vielleicht" ist noch kein "Ja", da ist noch etwas Bemühung nötig, mit Respekt. Sonst ist sie weg.
Hoffentlich.
23. Oktober 2017
"Ganz selbstverständlich als Freiwild betrachtet"
Sicher, der Hype wird vorübergehen. Immerhin haben wir heute eine höhere Sensibilität und ein Ernstnehmen des Themas sexuelle Belästigung entwickelt. Auch wenn es für Abhängige immer noch schwierig ist, sich wirksam zu wehren. Ausser mit Kampfsport natürlich ...
Als ich, naiv und unerfahren, nach der Matura in den sechziger Jahren auf der damaligen "National-Zeitung" als Redaktions-Volontärin eintrat, wurde Anmache als "Kompliment" betrachtet. Immerhin nicht allgemein, die meisten Redaktoren wussten, was Anstand war. Doch einige Herren (die alle nicht mehr unter den Lebenden weilen) betrachteten die asprierende Berufskollegin ganz selbstverständlich als Freiwild. Besonders in Erinnerung ist mir noch der verheiratete Familienvater, der mich coram publico um ein Rendez-vous bat: "... und bring s’Fründinli mit, i ha gärn Doppeldeckerli".
Weinsteins gab es schon immer, sie werden auch nicht aussterben. Was es noch zu wenig gibt, ist Respekt und wirkungsvolle Unterstützung für ihre Opfer.
Esther Murbach, Basel
"Hoffentlich lesen es auch die 'Richtigen'"
Besten Dank. Zeitgerechter und träfer Kommentar von Frau Strahm. Hoffentlich lesen es auch "die Richtigen", die gibt es, wie man lesen konnte, sogar in Gerichtsgebäuden.
Albert Augustin, Gelterkinden