An der "Baselworld": Emil und die Bundesräte
Und sie radebrechten wieder. Das Publikum stand, lächelte, verschob das Gewicht vom linken Fuss im unbequemen High-Heel auf den rechten Fuss in ebensolchem, schob den Zeigefinger zwischen enge Kragen und Hals gegen Würgegefühle. Und schwitzte, und lächelte. Und hoffte, dass das alles bald überstanden sein würde. Es war der Opening-Day der "Baselworld" 2012. Sehnsüchtig dachten die, die sich erinnerten, an die Bundesräte Leuenberger und Merz, die Highlights vergangener Eröffnungszeremonien von Basels prominentester Messe. Denn die Deutschschweizer Magistraten können in der Regel nicht reden.
Wenn Anna Rossinelli, bildhübsch, wie sie ist, und mit der Wahnsinnsstimme, die sie hat, über die Bühne stackst wie der Storch im Salat, dann heult zwar auch alles auf, aber dann kriegt sie Unterricht, lernt sich bewegen, die richtigen Moves, ein selbstbewusstes Auftreten. Und irgendwann hat sie es begriffen und wir geniessen eine grossartige Show, nicht nur eine grossartige Stimme.
Nicht so unsere Deutschschweizer Magistraten. Die sollen verhandeln, beraten, entscheiden, repräsentieren, aber ganz offensichtlich bringt denen keiner bei, wie das geht. Sie stottern, lesen ab, der Akzent ist grauenhaft. Vor allem, wenn es um Deutsch geht. Wüsste man es nicht besser, man könnte meinen, mit der Hirnfunktion sei etwas nicht ganz in Ordnung, so unbeholfen, holprig, langsam und kompliziert kommt das raus. Sprechen die fraglichen Personen hingegen Baseldeutsch, Zürichdeutsch oder einen andern Dialekt, dann geht das ohne weiteres rasch, zielgerichtet und eloquent.
Natürlich ist der Dialekt unsere Muttersprache, und es ist richtig, dass wir ihn pflegen. Was aber nicht heisst, dass wir uns nicht Mühe geben dürfen, gerade auch Hochdeutsch flüssig zu reden. Keiner verlangt, dass wir das akzentfrei hinkriegen. Aber Emil hat nicht grundlos grossen Erfolg in Deutschland gehabt. Denn diese Art zu sprechen ist wirklich eine Lachnummer. In Ordnung für Emil. Nicht in Ordnung für Magistraten.
Auf all den politischen Baustellen, die wir mit unseren Deutschen Nachbarn haben, sind folglich die rhetorischen Spiesse ungleich lang. Wer derart hilflos, kompliziert und langweilig daher redet, wie Deutschschweizer, dem hört innert Kürze keiner mehr zu. Womit die Schweizer Anliegen ungehört bleiben. Das gilt natürlich auch für den, der den andern wie aus dem Maschinengewehr mit Worthülsen zumüllt. Aber davon sind die Deutschschweizer Magistraten Lichtjahre entfernt.
An der "Baselworld" wurde Englisch referiert. Worüber, weiss ich mit bestem Willen nicht mehr. Emil auf Englisch, zuhören unmöglich. Aber ich sah, dass der Weibel von Regierungsrat Christoph Brutschin ein klein wenig Brad Pitt glich, und wie grossartig wäre es gewesen, dieser Brad Pitt hätte seinen Umhang abgelegt und eine packende Rede gehalten. Schmerzende High-Heels, enge Krawatten – so what!
19. März 2012
"Miserabler Deutschunterricht"
Wie genau und vor allem wann genau man ansetzen sollte, um die Ausdrucksfähigkeit in der Hochsprache zu verbessern, darüber lässt sich trefflich streiten. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Kindergartenlehrkräfte (übrigens leider auch Lehrkräfte auf höheren Schulebenen), die selber nie anständiges Hochdeutsch sprechen gelernt haben, nicht unbedingt geeignet sind, ihren Schützlingen ebendiese Sprache gut zu vermitteln (oh je, ich höre den Aufschrei schon jetzt...).
Tatsache ist und bleibt, dass auf allen Schulstufen und in allen Bereichen der Gesellschaft korrektem Hochdeutsch schlicht zu wenig Bedeutung beigemessen wird in der Schweiz. Punkt. Ich erinnere mich an den Deutschunterricht, den ich selber als Schülerin eines Basler Gymnasiums "geniessen" durfte: Unsere Lehrerin war offensichtlich stolz darauf, ihren Baseldytsch-Akzent mit Verve einzusetzen. Sie bekämpfte jegliche "Anglizismen", Helvetismen jedoch wurden geradezu gefördert: So untersagte sie mir, in einem deutschen Text das (schon damals im Hochdeutschen durchwegs gebräuchliche) Wort "Baby" zu schreiben, und "befahl", man solle stattdessen lieber "Buschi" schreiben. Auf meinen Einwand, das sei aber ein Baseldytsches Wort (das erstens im Hochdeutschen unbekannt war und unter Umständen nicht einmal in anderen Kantonen verstanden wird), kam nur die schneidende Antwort "wir sind ja hier auch in Basel".
Eben genau – provinziell bis zum geht-nicht-mehr. Heutige Magistraten haben zumeist derartigen (oder noch miserableren) Deutschunterricht genossen. Und in der heutigen Zeit sind die Standards noch weiter gesunken - im gesprochenen und im geschriebenen (Hoch)-Deutsch. Rekrutenbefragungen, PISA-Tests und die Aussagen mancher Personalverantwortlichen über unlesbare, vor Fehler strotzende Bewerbungsbriefe belegen dies.
Andrea Bollinger, Basel
"Die Kolumne spricht mir aus dem Herzen"
Die Kolumne von Andrea Strahm spricht mir aus dem Herzen. Manche öffentlich auftretende Erwachsene sprechen sehr schlecht Hochdeutsch und bräuchten Nachhilfe. Wenn Andrea Bollinger aber meint, es hätte unsern Magistraten geholfen, wenn sie schon im Kindergarten Hochdeutsch gehabt hätten, ist sie wohl falsch gewickelt. Wenn Magistraten, die sicher zwölf Jahre zur Schule gegangen sind, nach dem Gymnasiumsbesuch mit fünf Wochenstunden Deutsch immer noch kein Hochdeutsch können, liegt der Fehler wohl anderswo. Es ist eben leicht, ein Problem in den Kindergarten zu verschieben, wenn es weiter oben nicht klappt. Die Grosstochter meiner Freundin kam aus dem Kindergarten nach Hause und sagte: "Unsere Kindergärtnerin versucht die ganze Zeit, Hochdeutsch zu sprechen. Aber ich kann es viel besser." Die Initiative für den Dialekt lautete übrigens: "Die Unterrichtssprache im Kindergarten ist Dialekt. Hochdeutsch wird in definierten Sequenzen gefördert." Dies hätte die unsägliche Sprachvermischung und den lächerlichen Schweizer Standard, der wie Emil tönt, vermieden. Tatsache ist dass die Mehrheit der Kindergärtnerinnen eine Sprachvermischung feststellt.
Liselotte Reber-Liebrich, Riehen
"Diese Dialektomanie geht mir auf die Nerven"
Wieder einmal spricht mir Andrea Strahm aus dem Herzen. Diese Dialektomanie in der Eidgenossenschaft geht mir schon lange auf die Nerven. Wenn Radio- oder (seltener) FernsehsprecherInnen anständiges Hochdeutsch reden, werden Protestbriefe geschrieben (eine Reaktion, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vielleicht noch nachvollziehbar war, nicht aber im heutigen Europa).
Wenn im Kindergarten die Häfelischüler sanft an die Hoch- (und Schrift-) Sprache herangeführt werden sollen, heulen die Dialektomanen auf und beschwören den Untergang des Baseldytsch. Im Grossen Rat reichte eine Kollegin sogar einst eine Interpellation an die Regierung ein, weil ein Kindergärtler - oh Schreck, oh Graus - davon gesprochen hatte, auf die Fasnacht hin eine "Maske" zu basteln. Laaaarve heisst doch das, und war der Ratskollegin eine Eingabe wert (glücklich, wer keine anderen Probleme hat). Von der Gott sei dank in Basel abgelehnten Initiative pro Dialekt und kontra (zeitweiliges!) Hochdeutsch im Kindergarten gar nicht zu reden.
Es ist einfach nur peinlich und provinziell, wie gewisse Miteidgenossen (inklusive MandatsträgerInnen) manchmal geradezu stolz darauf zu sein scheinen, für Nicht-Schweizer schon fast unverständliches Pseudo-Hochdeutsch zu reden. Aber bei uns heisst das ja ohnehin "Standardsprache" und nicht Hochdeutsch. Nur sind die Standards leider extrem niedrig angesetzt. Andrea Strahm hat Recht: So etwas kann bei Verhandlungen auf den verschiedenen "politischen Baustellen" mit Deutschland der Schweiz durchaus zum Nachteil gereichen. Nicht zuletzt deswegen ist dieses Thema keine Lappalie.
Andrea Bollinger, Basel
"Da sträuben sich mir die Nackenhaare"
Ja, Frau Strahm, man möchte sich wirklich manchmal die Ohren zuhalten und es mag schon sein, dass unser hochdeutsch holprig wirkt. Doch schon beim "Grützi" der Deutschen sträuben sich mir die Nackenhaare.
Unser Englischlehrer an der Volkshochschule - Chris - er war ein britischer Professor, meinte einmal vor vielen Jahren "es gäbe kein dümmeres Volk als die Schweizer". "Und weshalb?", wollten wir von ihm wissen. O.K. sagte er, "weil er kein Land kenne, in dem die Menschen so viele Sprachen sprechen und lernen, um es den Fremden ja immer recht zu machen."
Doch keine Angst, bei drs1 ist bald in jeder interessanten Sendung eine deutsche Koryphäe zu hören, die entweder wie ein Maschinengewehr schwätzt, oder dann mit vielen ähm's und halbe Wörter verschluckend uns Schweizern zeigt, wie blöd wir doch sind. Und ich im Nachhinein nicht gescheiter bin als zuvor.
Es ist ja im Grunde schon eigenartig, dass wir fliessend und meist noch fehlerfrei deutsch schreiben und lesen, jedoch wenn wir es sprechen sollen eben holperig wirken. Aber ich meine, wir sind gar nicht so dumm wie wir hingestellt werden.
Machen wir doch mal den Versuch und lassen die Deutschen in unseren Dialekten lesen und schreiben!
Myy Kind hett hit Kartoffle gässe
jä Sii, äs isch sunscht nit verfrässe!
Druff abe het's den miese weinen,
dasch s'ney hauchdeutsch, will mir scheinen!
Heidi Gisi, Basel
"Mir rollen sich die Zehennägel"
Wie ich sie liebe! diese Andrea Strahm! - mit den frisch von der Leber weg und doch so eloquent beschriebenen Holprigkeiten im "Deutsch" unserer
Magistraten! Ich schäme mich immer ein wenig für sie (nicht für Andrea Strahm!) und bin unbedingt der Ansicht, dass ein wenig Nachhilfe-Unterricht – dürfte auch ein wenig mehr sein – auf keinen Fall schaden kann. Hören sich diese Leute denn nie selbst? frage ich mich – mir rollen sich die Zehennägel ...
Andrea Strahm hat alles angesprochen, was zu diesem Thema gesagt werden muss – ein GROSSES DANKESCHÖN dafür.
Melanie Vogel, Basel