Gratiswelten
Auch Damen mittleren Alters laden Apps auf ihr Smartphone. Wenn sie gratis sind, die Apps, denn wer zahlt schon für sowas.
Apps sind praktisch; damit kann man die Zeit, während der das Achter-Drämmli hinter dem Vierzehner, dem Dreier und dem Fünfzehner in Richtung Bankverein ruckelt, mit Sudoku, Solitär oder Wood Screw überbrücken. Denn bis sich die Trams davor am Bankverein entleert und frisch aufgefüllt haben, dauert es. Lange. Sehr lange. Bei Sudoku habe ich inzwischen die Schwierigkeitsstufe "Extrem" erreicht, dank ÖV-Stau. Aber lassen wir das.
Keine Ahnung, weshalb jemand Apps entwickelt, designt und dann damit nichts verdienen will. Gut, die Werbung. Das Prinzip ist im Prinzip widersprüchlich: Ich kriege Werbung "zur Strafe", wenn ich beim Spiel einen Fehler rückgängig machen will. Die dauert etwas länger. Aber easy, Ton abstellen und aus dem Fenster schauen. Inzwischen steht der Achter schon vor dem Hauseigentümerverband, und der Bankverein rückt näher.
Werbung kommt bei der App aber auch zur Belohnung, wenn ich ein Level geschafft habe, bloss etwas kürzer. Kein Problem, ich schliesse die App und öffne sie wieder, Werbung weg, neues Level erreicht. Sie sehen, ich bin Profi. Ich habe ja auch ein GA und verbringe deshalb die meiste Zeit in Vehikeln des öffentlichen Verkehrs.
Bevor ich zum nächsten Level komme, werde ich aufgefordert, mich raschmöglichst der Fernwärme anzuschliessen.
Die meiste Werbung handelt von anderen Spielen. Baller-Games für die Jungen und Anti-Aging-Spiele für Seniorinnen. Etwa Stuhl-Yoga, Grätsche auf, Grätsche zu, im Sitzen. Das schaffe ich auch ohne App. Allerdings ist dies etwas schwierig zu spielen im Achter. Aber der Kopfstand im Sitzen ist noch schwieriger.
Etwas aus dem Rahmen fällt die App-Werbung der IWB. Die IWB fahren ohnehin schon mit allerhand Werbung im Tram und auf dem Tram mit, und nun muss ich mir die noch beim Spielen ansehen. Denn bevor ich zum nächsten Level komme, werde ich aufgefordert, mich raschmöglichst der Fernwärme anzuschliessen. Der Gashahn wird uns schliesslich jetzt schon sukzessive abgedreht, und nicht erst anno domini 2037, wenn der Gasausstieg abgeschlossen sein muss.
Bloss wird die Fernwärme dort, wo ich wohne, gar nicht eingezogen. Deshalb schiessen rundum Erdsonden in den Boden. Was dieses Werbeding der IWB zwischen zwei Levels wohl kostet? Und wer bezahlt es? Die Bezüger der Fernwärme? Oder die Bösen, die sich nicht anschliessen? Honi soit qui mal y pense.
Ich will doch nicht, dass die wissen, wie viel CO2 noch an meinen Schuhsohlen klebt.
Aber ich schweife ab, wir waren bei "gratis", und das sind die Energie-Lieferungen der IWB mitnichten. Dafür aber ihre App "enerjoy-CO2". Das ist eine "Journey" zur Klimaneutralität. Weltmännisch kommen die IWB daher, man versteht sie bis nach Sydney: "enerjoy-CO2" sei "Your carbon footprint app", "BY IWB". "enerjoy" personalisiere meinen CO2-Fussabdruck, sei mein ganzheitlicher CO2-Fussabdruck-Coach, sagt die App, und "Hi, lass uns als Erstes dein Konto erstellen".
Erschrocken klicke ich auf "deinstallieren". Ich will doch nicht, dass die wissen, wie viel CO2 noch an meinen Schuhsohlen klebt. Was so eine App wohl kostet? Und wer bezahlt nun dies, nebst der ganzen Werbung? Ich, mit meiner Stromrechnung, die Gasrechnung entfällt ja bald.
Ich lade mir zur Beruhigung ein Puzzle-Spiel herunter, gratis. Immerhin fährt der Vierzehner ganz vorne nun weg, und vor uns stehen bloss noch zwei Trams im Warteraum.
So ganz gratis sind die Apps nicht immer. Wer wissen will, was die Stuhl-Yoga-App ausser der Grätsche noch zu bieten hat, bezahlt. Alles, was mit Diätplänen, Fitnessplänen und Entwöhnungsplänen aller Art zu tun hat, kostet.
Das ist und bleibt das Geheimnis zwischen der App und mir.
Dabei gibt es eine Gratis-App, die bereits alle auf ihrem Smartphone haben. Bei der man auf nichts verzichten muss, keine Zigarette, keinen Stumpen, kein Glas Wein. Man kann essen, was man will, ohne Kalorienzählen. Raucht dennoch weniger, trinkt weniger, isst weniger, die App wirkt.
Es ist die App mit dem Notizblock. Da schreiben Sie, wenn Sie abnehmen wollen, alles auf, was Sie an einem Tag runterschlucken. Oder die Uhrzeit, wenn Sie eine rauchen. Die einzige Bedingung: gnadenlose Ehrlichkeit. Kein Problem, denn es sieht ja keiner, wenn Sie pro Tag 20-mal "Butter-Gipfeli" hinschreiben. Aber es stinkt Ihnen ultraschnell, dies alles aufzuschreiben, und anstatt den Riegel Schokolade zu schlucken, schieben Sie ihn weg, weil Sie keine Lust haben, schon wieder das Smartphone zu zücken und dies zu notieren.
Nein, ich sage Ihnen nicht, welche schlechte Gewohnheit ich damit loswurde. Das ist und bleibt das Geheimnis zwischen der App und mir. Aber die Geld-Zurück-Garantie, die können Sie von mir haben. Gratis.
2. Dezember 2024
"Eine Komödie"
Wenn Kinder oder Jugendliche appen, machen Medien, Politik oder Wissenschaft daraus eine Tragödie. Wenn sogenannte Erwachsene dies tun, kann es werden eine Komödie.
Ueli Keller, Allschwil