Unverhältnismässig verhältnismässig
Sie demonstrieren unbewilligt, sie feuern und knallen verbotenerweise, sie werfen ihren Dreck wo immer auch hin, Verbot hin oder her, und die grellblauen Mistsäcke stehen an jedem Wochentag überall, umgekippt, angefressen, ausgeleert. Jeder stellt seinen Grümpel vors Haus, und die Velofahrer, insbesondere die unter Strom, brettern uns aus allen und in alle Richtungen um die Ohren. Ganz unbeschwert und ungehindert.
All dies wäre nicht zulässig, ginge, eigentlich, nicht. Eigentlich. Geht aber doch, ganz offensichtlich. Denn dies Tun zu unterbinden, wie noch vor einigen Jahren gang und gäbe, wäre heutzutage unverhältnismässig. Sagt "man" zuständigenorts. Zuständigenorts hat "man" wohl nie Kinder erzogen.
Meine Kinder waren sehr kreativ. Sie machten, beispielsweise, mitten auf der Strasse auf dem Velo die Schwalbe. Oder benutzten bestimmungsgemäss die Toilettenschüssel, die der Nachbar beim Umbau vors Haus gestellt hatte. Liefen dann halt eine Woche lang in die Schule und mussten dazu eine Viertelstunde früher aufstehen. Und das mobile Klo reinigten sie subito, und tadellos.
"Wenn geltende Regeln keine Konsequenzen
haben, werden sie zur Makulatur."
Wenn die Gesellschaft gewisse Verhaltensweisen nicht möchte und Regeln aufstellt, und diese können nach Belieben und völlig ohne Konsequenzen ignoriert werden, dann sind diese Regeln Makulatur. Egal, ob in der Kindererziehung oder im Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Bürgern.
Hunde sind in diesem Punkt übrigens genial. Einmal keine Konsequenz, und schon tanzen sie dir auf der Nase herum. Kindern kann die ausnahmsweise Ausnahme einer geltenden Regel erklärt werden. Hunden nicht. Aber lassen wir das.
Um Ausnahmen in der Anwendung einer Regel geht es beim Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Genau darauf beruft sich die Behörde, wenn sie bei Feuerwerk, Littering und Lärm alle Augen zudrückt und dies damit begründet, dass eine Durchsetzung des geltenden Rechts "unverhältnismässig" wäre. Im konkreten Fall, wenn etwa ein verwirrter Mensch den Abfall am falschen Tag auf die Strasse stellt, kann eine Busse wegen Littering tatsächlich unverhältnismässig sein. Die Sanktion wäre nicht zielführend.
Wenn die Exekutive aber ein Gesetz gar nicht anwendet, verletzt sie den Grundsatz der Gewaltentrennung und hebelt die Kompetenz der Legislative aus. Damit verletzt sie einen wesentlichen demokratischen Grundsatz, und dies ist inakzeptabel. Die Behörde ist lediglich ausführend und hat die Gesetze anzuwenden. Sie kann der Legislative die Aufhebung missliebiger Gesetze beantragen, und es gibt einige Gesetze, bei denen die Aufhebung Sinn machen würde. Darüber entscheidet aber einzig und alleine die Legislative, das Parlament.
Vielleicht war es ja unverhältnismässig, dass meine Kinder eine Woche lang ohne Velo zur Schule mussten. Die Sanktion war aber potenziell zielführend, mithin verhältnismässig, und ihre Fahrweise wurde dank der Durchsetzung geltenden Rechts vielleicht tatsächlich etwas sicherer.
Jedenfalls dann, wenn sie befürchten mussten, dass ich sie erwische.
30. Januar 2023
"Anpöbelei und Stinkefinger"
Die Dummen sind immer die Polizisten. Wenn Eltern schon zu Hause keine Regeln aufstellen, unter dem Motto, er / sie lernt es dann schon, was soll man dann von diesen ehemals Jugendlichen erwarten? Werden sie von der Polizei angehalten, pöbeln sie diese an, sie lernten es ja auf der Strasse. Reklamiert ein anderer Erwachsener, bekommt er im harmlosesten Fall den Stinkefinger gezeigt, sie lernen es dann schon. Reklamiert ein anderer Jugendlicher, wird er /sie verprügelt. Frage, wo haben sie das alles gelernt? Was Hänschen nicht lernt ... Und da soll die Polizei dann den Menschen versuchen beizubringen, wie die Regeln sind?
Peter Isler, Basel
"Man muss sich nicht wundern, ..."
Bravo – ein Problem, das uns doch alle irgendwie beschäftigt, ausser jene, die dafür zuständig wären.
Das – so glaubt man – wäre wohl die Polizei, die es einfach nicht schafft, die Gesetze im Alltag durchzusetzen. Das "wäre heutzutage unverhältnismässig. Sagt 'man' zuständigenorts ..." – so also sei es zu erklären.
Ist damit die Polizei gemeint? Oder die Justiz, die überlastet sei, gefesselt in einem Gesetzes- und Regeldschungel? Oder etwa die Gesetzgeber, die – naiv – davon ausgehen, dass jeder (möglichst detaillierte) Gesetzestext in den dicken Büchern sogleich alle Probleme löst? Ohne sich je darüber Gedanken zu machen, wie es durchzusetzen sei und wieviel das kostet? Zumal es scheint, dass die Rechte der Täter inzwischen die Pflichten der Untersuchungsbehörden locker auszuhebeln vermögen?
So stilisiert halt die Justiz schnell mal selbst ein Verbrechen wie Diebstahl oder gar Einbruch zum "Bagatellfall" herunter. Natürlich nur, wenn der Erfolg der Tat gering war, nicht, wenn der Einbrecher/Dieb das Glück hatte, etwas Wertvolles zu ergattern.
Und so ist unser Rechtsverständnis zunehmend an das Kosten-Nutzenverhältnis gebunden. Littering, ja Drogen dealen auf der Strasse kostet nur – parkierte Autos zu kontrollieren bringt was ein. Man muss sich überhaupt nicht wundern, dass es zunehmend nur noch ein einziges Gesetz gibt, an das man sich halten soll: "Lass Dich nicht erwischen!"
Peter Waldner, Basel
"Die Polizisten schauen zu"
Hunde stören mich am wenigsten, brandgefährlich sind Velofahrer, da muss man dank Guy Morin wirklich um sein Leben fürchten. Die Polizisten schauen zu, wie sie alle Verkehrsregeln verletzen ohne mit der Wimper zu zucken. Parkiert aber ein Autofahrer fünf Minuten zu lange, riskiert er schlimme Strafen.
Demonstrationen von Klimamenschen bei Eiseskälte, gut vermummt, die den ganzen Verkehr in der Innenstadt lahmlegen, sind natürlich von der Regierung erwünscht, vom Volk allerdings nicht. Aber das hat ja nichts zu sagen und muss nur bei Wahlen den "richtigen" Zettel einlegen. So regiert man die Dummen!
Alexandra Nogawa, Basel