Freiheit: Ein Treppenhaus voller Schuhe
Sommer 2014. Die Einweihung meiner ersten WG ist der grosse Startschuss ins neue Leben. Ein rauschendes Fest im neuen Zuhause. Das Gefühl, einladen zu dürfen, wen ich möchte, die Gewissheit, mit meinem Leben selbstverantwortlich umzugehen, das ist ein grosses Stück Freiheit. Das habe ich mir gewünscht.
Letzten Sommer bin ich ausgebrochen aus der Familienwohnung, also ausgezogen. Nicht, dass ich darin nicht "alle Freiheiten" – wie man so schön sagt – gehabt hätte. Aber es war dann doch der Wunsch nach dieser Selbstbestimmung, der mich angetrieben hat. Mit dem eigenen Geld auch eine eigene Wohnung finanzieren.
Ausziehen von Zuhause ist auch immer ein Ausbruch, ein grosser Schritt, der etwas Mut braucht. Die Frage, die ich mir trotzdem gestellt habe: Darf ich wieder zurück und mir Hilfe holen, wenn ich trotz allem Unterstützung brauche? Erst, nach dem ich die Antwort wusste, habe ich mich entschlossen, auszuziehen.
"Das Gefühl, einladen zu dürfen,
wen ich möchte, ist Freiheit."
Der Wahlkampf im Baselbiet ist zu Ende. Auf vielen Plakaten habe ich das Wort "Freiheit" gelesen. Wir kämpfen für Ihre Freiheit. Mein Politkopf sagt mir: Das ist doch der Kampf für "Eigenverantwortung", also machs, und wenn du es dann nicht schaffst, bist du ein Depp. In der Kosequenz ist es der Kampf für wenig Sozialhilfe und Arbeitslosen-Unterstützung. Und für einen Mini-Staat. Auch ein Weg.
Die neue Rechtspartei hat bei mir aber immerhin Gedanken darüber ausgelöst, was Freiheit für mich persönlich bedeutet.
Mit der Freiheit kommt klar auch die Verantwortung. Wenn ich im Saisonbetrieb Überstunden mache – auch freiwillig, weil mir der Job Spass macht – und dann nach Hause komme, ist noch nicht geputzt, gewaschen, eingekauft und gekocht. Niemand hat erledigt, was hätte erledigt werden sollen. It’s up to me. Und das ist gut.
Freiheit ist, in seinen "eigenen" vier Wänden zu stehen, zu wissen, dass man auf seinen eigenen Beinen steht – aber gleichzeitig auch die Sicherheit zu haben, dass man sich ebenso Hilfe holen darf, wenn es nicht anders geht.
Das WG-Fest ist in vollem Gang. Es klingelt, weitere Gäste treffen ein. Ich öffne meine Wohnungstüre und schaue mir die drei Dutzend Paar Schuhe der Gäste an. Der Boden des Treppenhauses ist davon völlig übersät. Ich freue mich und bin stolz, so viele Leute einladen zu dürfen. Das ist die echte Welt, ich bin angekommen. Das ist Freiheit. Und ich kann auf Unterstützung zählen. Jeden Tag.
9. Februar 2015
"Grenzenlose Freiheit schon eingeschränkt"
Und wenn die Schuhe weiterhin im Treppenhaus herumliegen, zum Ärger der Mitbewohner im Haus und der Putzmannschaft, hat die grenzenlose Freiheit bereits Einschränkungen.
Roberto Lanz, Bottmingen