Marokkanische Märkte: Good price, almost free!
Da das Gymnasium im Kanton Baselland ein halbes Jahr länger als anderswo dauert – merci Kantönligeist, gäll –, sind wir alle im Dezember mit der Matur fertig. Also bleibt für's Reisen, Arbeiten oder einfach nur zum Ausspannen und Geniessen nur ein mageres halbes Jahr. Für jene, die dazu noch das Pech oder – je nach Standpunkt – die Ehre haben, mit einem Phallus auf die Welt gekommen zu sein, greift dann zusätzlich auch noch Art. 59 der Bundesverfassung: Reisen ist zeitlich nur beschränkt möglich, dann kommt nämlich recht zackig die Vorbereitung auf den Krieg und den eventuellen Einfall der germanischen Kavallerie oder dann – je nach persönlicher Vorlieben – ein Sozialeinsatz.
Aber ich will mich ja nicht beschweren, das Ganze hat ja auch viele positive Seiten. So muss man kein ganzes Jahr aussetzen, sondern kann die staatlichen Pflichten in einem halben Jahr erledigen. Aber das will ich hier nicht ausführen, Lob liest sich ja nicht so spannend wie provokative Kritik, sorry.
In den letzten drei Wochen hatte ich also die Chance, mit meinem mageren Ersparten in Marokko herumzureisen. Dort mache ich also das, was gewisse Parteien von den Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz erwarten: Möglichst viel Geld liegen lassen und dann wieder heimreisen.
"Die marokkanischen Märkte
lehren Lektionen für das Leben."
Auf jeden Fall ist Marokko eine hervorragende Lebensschule. Vor allem für einen Sozi wie mich. Da lerne ich endlich mal noch die freie Marktwirtschaft von ihrer guten Seite kennen – vielleicht gar nicht so schlecht, ein halbes Jahr vor Beginn des Wirtschaftsstudiums.
In Marokko ist der Markt ja ein richtiger Markt, Milton Friedman hätte seine wahre Freude daran. Alle dürfen alles anbieten und tun das auch. Ein Hoch auf den Wettbewerb und tiefe Preise für alle!
Apropos tiefe Preise: Fieserweise gaukeln die meisten Verkäufer einem den sogenannten "good price" vor (entspricht meist etwa "Normalpreis mal 3") oder preisen ihre Produkte gar als "almost free" an. Das muss man erst einmal scharfsinnig durchschauen. Wenn der Verkäufer mir dann aber zum Beispiel eine Tasche – natürlich wider Erwarten – zu teuer verkaufen will, gehe ich ganz einfach zum nächsten Laden, in dem mir ein tieferer Preis angeboten wird und ich die Chance auf einen wirklichen "good price" habe. Der Markt funktioniert und alle haben etwas davon. Versuchen Sie das mal in der Schweiz mit Ihrem Handy-Abo!
Die Verkäufer haben natürlich auch ihre Strategien, um den Leuten, allen voran den Touristen, möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen. Beispielsweise sind die Preise nicht angeschrieben. Fragt man danach, wird meist ein so hoher Preis genannt, dass man sich mit gutschweizerischem Benehmen oft gar nicht getraut, einen viel tieferen und eher angemessenen Betrag zu nennen. So bleibt der Preis hoch, der Verkäufer reibt sich die Hände und macht einen sehr, sehr, sehr satten Gewinn: unter gütiger, schweizerischer Mithilfe des schlechten Gewissens der Käuferin oder des Käufers. Sozusagen effektive Entwicklungshilfe vor Ort.
Verhandeln ist schwierig. Aber eines habe ich auf dem Markt gerlernt: Mit dem Kompromiss in die Diskussion zu gehen, ist keine Alternative. Will ich also für die erwähnte Tasche maximal 300 marokkanische Dirham bezahlen, während der Verkäufer mir unverschämte 1'000 vorschlägt, steige ich nicht gleich mit meinen 300 in den Deal, sondern mit 150. Das erscheint nur dreist, weil der Verkäufer auch dreist war.
Wer Kompromisse bereits zum Beginn des Marktens in die Waagschale wirft, gibt ganz einfach die Verhandlungsmacht aus der Hand und steht am Schluss mit Sicherheit als Verlierer da – mit miserablem Ergebnis und leerem Portemonnaie. Die CVP-Politiker unter Ihnen müssten hier besonders gut aufpassen. Der Markt von Marrakesch könnte den sinkenden Wähleranteil der alten Mitte-Parteien erklären. Mit einem völligen Profilverlust und ihren pfannenfertigen Kompromissen wollen sie allen gefallen – tun es aber immer weniger.
Schliesslich bekomme ich die Tasche für 300 Dirham. Aber nur, weil ich zu Beginn "dreist" war, indem ich auf das Angebot des Verkäufers eine schon fast asozial radikale Forderung gestellt habe. Und es ist ja nicht so, dass ich nicht auch gerne nur 150 Dirham gezahlt hätte, aber 300 sind ein guter Mittelweg.
Kompromisse sind wichtig. Überall. Sie dienen dazu, dass alle etwas Positives von der Lösung erringen und damit einverstanden sind. Maximallösungen finden meist keine Mehrheiten, mögen sie noch so berechtigt sein: Wer nicht mit sich verhandeln lässt, auf seiner Position beharrt und keinen Schritt auf das Gegenüber zugeht, darf wohl zurecht als hoffnungslos ideologisch bezeichnet werden.
Die Märkte von Marrakesch, Essaouira und Fès lehren Lektionen für das Leben, und für die Politik. Es braucht immer zwei für einen wirklichen "good price".
24. Februar 2014