Theater Basel, Schauspielhaus
Schweizer Uraufführung
"Moses"
Ein Mash-up-Musical nach dem alten Testament
Koproduktion mit dem Volkstheater München
Regie und Bühne: Simon Solberg
Video: Josha Sliwinski
Dramaturgie: Kilian Engels
Mit Johannes Schäfer, Max Wagner, Paul Grill, Joanna Kapsch, Jean-Luc Bubert
Moses auf dem Müllberg
Jungregisseur Simon Solberg inszeniert den Müllberg als etwas Sakrales. Nicht bloss ein Haufen! Wie ein riesiges Renaissance-Altarbild mit fünf Tafeln, die sich gegen die Mitte in die Höhe staffeln, prangen uns meterhohe Müll-Wände entgegen. An ihnen hängt das Relief des Chaos aus Pneus, abgerissenen Alu-Gardinen, Schaumgummi-Stücken, Blechbüchsen. Wie ein düsterer Weihrauch umflort stickiger, weisser Rauch das nature-morte-Bild unserer eitlen Welt. Es sagt zu uns: "Da habt Ihrs, woran Ihr glaubt". Ein Vorwurf; das Programm des Abends.
In den Wänden tummeln sich Müll-Jugendliche in putzigem, schwarzen Mad-Max- und Sponti-Look, und die finden darin, ei, eine blitzsaubere Bibel, und, eieiei, ausgerechnet die Stelle im Alten Testament, wo Moses sein Volk aus der Unterdrückung in Ägypten wegführt ins gelobte Land. Das Spiel beginnt. Es geht zu wie im Clownkurs, in dem man eine Spielkiste hinstellt: Der Müllberg wird zur Requisitenhalde, ein Streifen Plastik zum Nil, ein silberner Belüftigsschlauch zur wuchtigen Kette des Pharaos. Mit einer Container-Karawane zieht Gottes Volk unter Ächzen und mit lautstark vorgebrachten Zweifeln von links nach rechts, von hinten nach vorne über die Bühne. Aus den abgerissenen Klamotten zaubern die Spieler flugs teure Funkmikrophone hervor, um ihre Anklage rappend ins Publikum zu stossen.
Die Hebräer als unsere Randständige, als unsere Ausländer in einem fremden Regime, als unsere Arbeitssklaven, die unsere (Kapitalismus-)Pyramiden bauen: Es ist das Staunenswerte des Abends, wie es Solberg gelingt, die Sorgen der Hebräer nahtlos ins Heute zu ziehen. Die schwarze Hiphop-Mütze von Johannes Schäfers Mose wird zum hohen Hut des Rechtschaffenen, dem es gegeben ist, dem Pharao die Stirn zu bieten und ihm den Auszug seines Volkes abzuringen. Und wenn ihm der Pharao entgegenschleudert: Du wirst mit Deinem Volk Krieg führen, Du wirst eine Mauer bauen müssen, um dich vor den Leuten zu schützen, die du vorher vertrieben hast, so weiss jeder gleich, was gemeint ist. Und es ist nicht mal aufgesetzt.
Ganz so ernst will es aber Solberg nicht dargestellt haben. Alle zehn Sekunden setzt er einen neuen Gag, das Ensemble ergeht sich in Clownerien. Der Ägypter (Bubert), den Moses erschlägt, stirbt in theatralischen Zusammenbrüchen den längsten Tod, und Moses zappelt und zuckt bei seinen göttlichen Eingebungen. Der Hebräer Eilaf sorgt mit penetrantem Sächseln in der Wüste für Lacher. Blut wird als Konfetti gekotzt und geschissen. Paul Grills Pharao gibt sich als verhätschelter, exaltierter Superstar, die Pharaonentochter (Kapsch) als aufgedonnertes Rap-Girlie.
Der Gottvater (Wagner) ist als bekiffter Opa-Hippie stilisiert. Die Zehn Gebote performt er als Showmaster und Hit-Shouter in einer Ratespielshow unter kreisenden Suchscheinwerfern und akustischer Droh- und Spannungskulisse. Welches Gebot meint er wohl mit M.I.A.’s "Paperplanes"? Richtig, Du sollst nicht stehlen. Was soll Eminems "Cleaning out my closet"? Du sollst Vater und Mutter ehren. Und "Killing me softly" erklärt sich im Titel.
Es ist eine riesige Track-List, mit der Solberg seinen 90-minütigen Musical-Revue-Abend stopft, von Arvo Pärt bis The Prodigy, von "The Final Countdown" bis "Pferd aus Glas" von Deichkind, von Rammstein bis Lionel Richie. Und über die Übergänge helfen die Electronica-Anarchos "Justice" mit den Wummerbeats von "Stress" – der Songtitel stimmt.
Nur: Wenn das Volk durchs Rote Meer ist, etwa ab der Mitte, helfen der Dezibel-Terror, die Blitzgewitter und Rauchmaschinen, die Video-Exzesse mit marschierenden Soldaten und Heuschreckenschwärmen und nichts mehr gegen das Gefühl von Flaute. Das Volk in der Wüste jammert, zweifelt nur mehr an der Existenz von Moses Gott. Und Moses ist im Profil eines zum Glauben Gezwungenen gefangen, der unter der Last der Verantwortung alles verbannt, was die Mission gefährden könnte. Da passiert nichts mehr im Gefüge. Déjà-vus fallen auf: Spielshow-Persiflagen und Gott-Hippie-Parodien sind nun mal schon seit mindestens vierzig Jahren Mainstream.
Der Abend leidet unter dem, was Solberg mit hundert Gags, Brüchen und Slapstick verhindern wollte: Humorlosigkeit. Wenn Gott-Moderator das Töten-Gebot vorstellt und die Engel dazu die Firmenschilder von Waffenproduzenten umhängen, so mag es kitzeln, aber der Mutwille würgt die Ironie ab. Gewisse deutsche Betroffenheits-Raps der Sponti-Jugendlichen klingen wie Xavier-Naidoo-Schwulst. Verpasst wurde die Chance, über die Bruchstelle zu lachen, dass sie, die auf dem Kapitalismus-Müllberg leben, auf einmal um das goldene Kalb tanzen. Und fragt einer treuherzig am Ende: Haben wir nicht die ägyptischen Sklavenhalter gegen einen Dienstherren im Himmel eingetauscht, so zeigt dies das Dilemma des Abends, der zuviel wollte mit Kritik an Kapitalismus, Führerkult, Migrationspolitik, Ernährungsauswüchsen etc.. Der anfangs alles ironisch nimmt und am Ende alles ernst gemeint haben wollte.
14. Dezember 2012