Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung
"Basler Unruhen"
Konzept, Film, Text, Regie: Hannah Hofmann und Sven Lindholm (Hofmann & Lindholm)
Bühne, Kostüme: Beate Fassnacht
Mit Dietmar Fulde, Damien Furrer, Peter Scheidegger, Ralph Tharayil, Pia Tschupp, Isabelle Vionnet, Franz Vogel sowie rund weitere 85 Personen, die in den Video-Projektionen auftreten
Wir hauen einen Jaguar zusammen
Wem gehört wohl dieser schöne, schwarze Jaguar mit den Basler Kennzeichen "BS 17337"? Zuerst nimmt ein junger Mann mit Kapuzenjacke einen Baseballschläger und schlägt dem Jaguar die Heckleuchten ein. Junge und alte Leute grinsen vor dem Fernsehkasten im Foyer und gucken dem Unfassbaren zu, das am helllichten Tag wirklich geschehen sein muss. Auf dem Picassoplatz hinter dem Kunstmuseum. Mitten unter uns. Jetzt, eine junge Frau, bewaffnet mit Eisenstange: Der Seitenspiegel ist dran. Bald ist er ab. Stilvoll in Schwarzweiss und leicht verlangsamt. Passanten gehen im Hintergrund vorbei und schauen zu. Endlich nun: die Frontscheibe. Mit dem Vorschlaghammer. Ein Loch, zwei Löcher, viele Löcher, bis die Scheibe vollends nachgibt, zersplittert.
Wir sehen die Gesichter der Zerstörer, ihre Instrumente, die Löcher. Abblenden zwischen den einzelnen Zerstörungs-Akten setzen die Geschehnisse in Kapiteln fest. Am Ende: Das Standbild der Ruine in einer Totale. Oder anders gesagt: Die hämische Zurschaustellung davon, wie ein Wertgegenstand vermittels Vernichtung dazu gebracht wurde, kein Wertgegenstand mehr zu sein.
Diese Loop-Installation ist als Vorspiel derart stimmungsvoll, dass die folgende Vorstellung auf der Kleinen Bühne fast nur noch abfallen kann. Botschaft: Die Faszination überhaupt liegt in der Grenzüberschreitung, im Einbruch in die Zone des Undenkbaren. Von "Basler Unruhen", die ungebremst um sich greifen, berichten nun Laiendarsteller. Als Basler Einwohnerinnen und Einwohner, die gewollt oder ungewollt Zeugen wurden, bevölkern sie eine Art Lagerraum mit Gestellen, Stühlen, Tischen. In chronologischer Abfolge lassen sie die Ereignisse Revue passieren, überhäufen das Publikum mit Meldungen, Schlagzeilen, amtlichen Verlautbarungen und Live-Interviews. Und verwirren es. Denn was davon stimmt? Und was steckt jeweils hinter dem Begriff "Unruhen"?
"Es lag in der Luft. Man konnte es förmlich riechen", berichtet etwa Peter. Am 3. Februar 2010 um 13.30 Uhr sollte der Probealarm stattfinden, aber die Übung war auch nach Stunden noch in Gang. "Nach 72 Stunden redet das Schweizer Fernsehen erstmals von Krise", rapportiert Ralph. Im März "kommt es" zu Ausschreitungen und Plünderungen. Supermärkte und Banken seien besetzt worden. Die Polizei habe die Innenstadt abgeriegelt. Trauen wir den aufgebrachten Bürgern Gewaltorgien und Umsturzgelüste zu? Auf einer Leinwand sehen wir sie, wie sie ein "8"er-Trämli in Kleinhüningen stoppen. Laut, aber harmlos poltern sie gegen die Scheiben, schreien. Sie stürmen auch das Rathaus, später die Studios des Fernsehsenders TeleBasel. Sie blockieren Strassen, skandieren auf Plätzen. Und Rentner Franz aus Aesch registriert erregt: Sogar die Zweige seiner Topfpflanze auf dem Fenstersims vibrierten.
Die Texte könnten direkt aus Medienberichten kopiert sein. So sagt etwa Pia: "Ein renommiertes Marktforschungsinstitut analysiert die – Zitat – "leicht besorgte Grundstimmung" der Bevölkerung und führt diese auf die lange Kälteperiode der ersten Jahreshälfte und die anhaltenden Diskussionen um das Bankgeheimnis
zurück."
Die Aufführung lebt vom Entgrenzungsdurst der Bürger, die hier eine Chance sehen, ihrer Wut Raum zu geben. Der Furor der Demonstranten wirkt sympathisch und sehr echt. Keiner zu sehr Bünzli ein tüchtiger Protestler vor den Kameras zu werden, die die Welt bedeuten. Aber gegen was? Die Protestler sagen es nicht. Geht's also nur um Wut und Faszination?
Die Medien und staatlichen Stellen werden als hechelnde Aufbauscher respektive unterdrückerische Informationsverweigerer vorgeführt. Aber alle, die Demonstranten, die Journalisten, die Politiker, hängen an derselben Nabelschnur: Wichtig sein. So zählen die Darsteller auf der Kleinen Bühne selbstironisch auch gleich ihre Premiere und sogar den BaZ-Premierenbericht als Chronik-Teil der "Unruhen" mit. Der Götzenkult des Selbstreferentiellen führt zu einem derart verzerrten Bild der Vorgänge, dass gegen Ende nicht mal klar ist, ob es Unruhen im wirklichen Sinne wirklich gegeben hat.
Weniger spassig ist, dass das Publikum den Dreh bald raus hat. Die Macher können da nichts mehr nachlegen. Der Protokollstil wirkt – trotz aller Gänge und kleinen dramaturgischen Zerstreuungs-Aktionen – auf Dauer eintönig. Ferner erweist sich der Kniff mit den Bühnenamateuren als zweischneidig. Zwar wirken sie teilweise naiver als Profis, und können so leichter Authentizität vorgaukeln. Aber nicht alle halten dem Druck über die Dauer von 90 Minuten mit stabiler Präsenz stand.
Schliesslich bleibt die Frage, ob wir uns mit dem luxuriösen und sehr aufwändig produzierten "Unruhen"-Simulieren und -Stilisieren in unserer kleinen, ausversicherten Welt nicht etwas sehr wichtig gegenüber den Problemen in anderen Bezirken der Welt nehmen. Denn bei den realen Unruhen in Griechenland gehts den Leuten ums Leben. Und wir hauen einen Jaguar zusammen.
7. Mai 2010
"Darin liegt die Irreführung"
Die Kolumne ist o.k. Die Aufführung ist auch o.k. Leider nicht mehr. "HOFMANN&LINDHOLM beherrschen das Jonglieren mit Fragen der Realität und Authentizität. So klug, so virtuos und so unterhaltsam ... wurde man schon lange nicht mehr in die Irre geführt." (Zitat aus dem Programmblatt)
Darauf habe ich mich gefreut, wäre gerne klug, virtuos und unterhaltsam in eine erkenntnisreiche Irre geführt worden. Bin ich nicht. Bin bald von der Neugierzone in die Gähnzone geglitten. Irr wäre toll gewesen. Es blieb beim Erkenntnisreichtum.
Es war genau, chronologisch, seriös, leider sehr ruhig. War nicht der Mörder von John F. Kennedy ein ganz Genauer mit ruhiger Hand und seriös in seiner Arbeitshaltung? Sonst hätte er nicht getroffen. Jürg Jegge hat das in einem Lied besungen. Aber ein ganzer Theaterabend für ein fiktives Protokoll "verdichtet zu einer Theaterstory"! Darin liegt die Irreführung.
Basler Fasnacht. Was sich da zusammenbraut vom Herbst bis ins Frühjahr, was da "diskret und zufällig" beginnt und dann "Gestalt annimmt", ist wesentlich klüger, virtuoser, kreativer, unterhaltsammer und irrer. Es tut mir leid für die voll engagierten Laienschauspieler. Das Mitmachen war sicher toll. Einige Regieanweisungen waren ja auch wirklich hintergründig und staunenswert.
Erika Buser, Basel