Theater Basel, Schauspielhaus
"Amphitryon"
Lustspiel von Heinrich von Kleist nach Molière
Regie: Julia Hölscher
Bühne: Paul Zoller
Kostüme: Janina Brinkmann
Musik: Martin Gantenbein
Licht: Cornelius Hunziker
Dramaturgie: Sabrina Hofer
Mit Mario Fuchs, Urs Peter Halter, Pia Händler, Nicola Mastroberardino, Florian von Manteuffel, Leonie Merlin Young
Phallus, Feldschlacht und Verehrung
Wie klein doch die Menschen von oben aussehen. Ein riesiger Spiegel über der Bühne beschert uns den arroganten Götterblick der Olympier auf die Nöte der unwissenden Sterblichen, die auf einer Drehbühne schwindelerregend rotieren. Schmerzvolle Verwirrung hat Jupiter auf der Erde angerichtet. Um seine Machtfülle wieder mal irdisch auszukosten, hat er die Gestalt des thebanischen Feldherren Amphitryon angenommen und mit dessen Ehefrau Alkmene eine Liebesnacht verbracht.
Und aus verletzter Eitelkeit: Alkmene verehrt nämlich in den Gebeten an Jupiter kindlich die Züge ihres Gemahls. Die Mission misslingt, denn Alkmene liebt in Jupiter weiterhin Amphitryon. Selbst dann, wenn sie die beiden nicht voneinander unterscheiden kann, ja am Ende sogar den falschen Amphitryon, also Jupiter, für ihren Mann hält: Der Gipfelpunkt an Schmerz und Demütigung für den Feldherrn, der sich vom Göttervater nicht nur um seine Ehe betrogen, sondern aus seinem "ich" gedrängt fühlt. Gleiches widerfährt seinem Diener Sosias, den Merkur verprügelt und ihm sogar die Führung seines Namens untersagt.
In das pointenreiche, pikante Lustspiel mengt Kleist extensiv die Frage nach dem "ich", nach dem, was uns denn eigentlich ausmacht. Um da aber nichts zu finden. Auch nicht im seelischen Gespür Alkmenes. Doppelsinn des Spiegels: Die um das "ich" ringenden Männer gieren nach äusserlicher Bestätigung. Phallus, Feldschlacht, Verehrung. Ohne Liebe sei auch der Olymp öde, jammert Jupiter.
Als Zuschauer sehen wir jedoch die Doppelgänger ganz unterschiedlich ausstaffiert: Die Götter etwa mit langem Haar, kleine Schleppen an den Hosen. Wie also ist die Verwechslung Alkmenes zu erklären. Als Traum? Bezauberung der Götter? Eine Art Götterchor erklingt schauerlich-feierlich jedes Mal, wenn die Drehbühne kreist, ähnlich wie Ligetis Requiem (bekannt aus dem Film "2001 - a Space Odyssey"). Sie rotiert pausenlos, wenn die Verwirrung am höchsten ist vor der Auflösung, wenn Jupiter sich endlich zu erkennen gibt. Fliessende Lichtwechsel versetzen die Szene in eine unwirkliche Sphäre.
Über die knapp zwei Stunden verstreut setzt Regisseurin Julia Hölscher wie beiläufig Bilder, ähnlich unvermittelt hochsteigenden Traumszenen, prägnant gestaltet wie Werke aus der bildenden Kunst. "Vernichtet", ruft plötzlich Amphitryon mit leerem Gesicht, fällt zu Boden: Eine Szene wie ein Barockgemälde. Wenn Merkur mit entblösstem Oberkörper und Hut triumphierend über seiner irdischen Verkörperung, dem naiven Diener Sosias, steht, so erinnert er an Donatellos ephebenhaften und triumphierenden David. Wie in Klimts Kuss umhüllt stehen Jupiter und Alkmene einander liebkosend.
Diese Göttersphäre kontrastiert scharf mit Nüchternheit. Es ist ein skelettierter Kleist, der hier zur Aufführung kommt, nicht nur der vielen Striche im Text wegen. Die (präzise) sprachliche Führung durch die kunstvoll verschachtelten Sätze: genügend lebendig, um alltagsnatürlich den Sinn und die Wucht der Formulierungskunst zu übermitteln, aber zu spröd und zu gestockt, um uns mit dem lyrischen Sog zu erregen.
Die Figuren Alkmene und Amphitryon sind prosaischer gestaltet als die hochgemuten Empfindungstypen, wie sie Kleists Sprache seelenvoll und gleichzeitig muskulös formte. Die Götter wirken sogar karg und banal. Das Bühnenbild: so spannungsgeladen kahl und kühl wie in den historisierten Filmfürstendramen Kurosawas. Eine Wand auf der Drehbühne, mal als rostige Stahlwand, mal als weisse Stadtmauer leuchtend, trennt ständische Grenzen, Intimitätsräume, betont eine Welt der Unterteilung.
Solchermassen vorbereitet soll der Schluss, das berühmte "Ach" von Alkmene, besonders fatal wirken. Zwar wird das Rätsel aufgelöst, aber nur vordergründig. Und Jupiter belohnt Alkmene und Amphitryon mit einem Helden als Sohn, Herkules, aber was nützt der Platz in der Göttergalerie nach allem? Zu verwüstet ist das Leben, zu unwirklich die Möglichkeit, dass man den Ehealltag einfach fortsetzte. Wie schrecklich profan Florian von Manteuffel als Amphitryon nun nach seiner Alkmene ruft: Der Göttergatte ist entgöttert. Aus Pia Händlers "Ach" kann man parallel betäubten Schmerz heraushören und die kindliche Frage: Was war das alles gerade eben?
Hölscher lässt es bewusst gähnend wie ein Abgrund wirken. Ein Spiel hat sie zur distanzierten Betrachtung vorgestellt, im Sinne einer Variation über Traum und Wirklichkeit, Lust und Schmerz – uns aber nicht mit einem Lustspiel mitgerissen, wo aus der Tiefe der Sphären homerisches Gelächter ertönt. Wozu Kleists Stück sicherlich taugte.
12. Januar 2018