Abheben von der Welt als Standbild
Ein Augenschein im HyperStudio, einer digitalen Zukunftswerkstätte in Muttenz
Von Peter Knechtli
Ein Multimedia-Dozent der Ingenieurschule in Muttenz betreibt Verrücktes: Mit Aktiengesellschaften auf Non-profit-Basis will er ein Treibbeet für digitale Zukunft errichten.
Die Atmosphäre trägt kryptische Züge. Ruhe herrscht in diesem langgezogenen Raum an der St. Jakobstrasse im Basler Vorort Muttenz. Das HyperStudio ist übersäht mit Macs, Unix-Workstations und Arbeitsplätzen für Video- und Tonbearbeitung. Das einzig Hörbare ist das Klickkonzert der Tastaturen. Hier sind allerdings keine Sekretärinnen im Schnellschreibwettbewerb aktiv, sondern Grafiker, Goldschmiede, Ingenieure, Designerinnen, Informatikstudenten, kopfhörerbestückte Musiker, Medienwissenschafterinnen und Zeichnungslehrer.
Was sich hier wie eine Vorzeigeklasse im Computerkurs ausnimmt, ist ein in der Schweiz erstmals geprobter "dozentenloser Unterricht". 18 Studenten malochen hier während durchschnittlich zwei Jahren zu einem Stipendium von monatlich 3'000 Franken in einer "Forschungs-, Weiterbildings- und Produktionswerkstatt für die ästhetische und technische Erforschung neuer Kommunikationsformen und für die Herstellung und Vermarktung interaktiver Medienprodukte" (Eigendefinition).
Ein Stundenkontrolle gibt es in diesem Grossraumatelier nicht. Die Werktätigen im Dienste der Information machen freiwillig Ueberstunden, einzelne sind von ihrer Arbeit derart angefressen, dass sie ihren PC nur für einige Stunden der Erholung verlassen.
Die Multimedia-Studenten fühlten sich, so HyperStudio-Geschäftsführer Mischa Schaub (43) "nicht als ausgenützte Proletarier". Vielmehr seien sie teilweise aus gutbezahlten Jobs ausgestiegen, um in eine Weiterbildung Richtung Zukunft einzusteigen. HyperStudio hat andere Rahmenbedingungen als kommerzielle Multimedia-Unternehmen: "Wir zahlen zwar nur bescheidene Stipendien. Dafür können wir doppelt so lange an Projekten arbeiten. Dadurch entstehen bessere Produkte", glaubt Schaub selbstbewusst.
Die Nachfrage nach Lernplätzen jedenfalls ist enorm: Täglich treffen Anfragen ein, die meist abschlägig beantwortet werden müssen. Auch über den Auftragsbestand mag Schaub nicht klagen: Im zweiten Betriebsjahr sollen bereits 30'000 Franken herausschauen.
Allerdings fliessen diese Gewinne nicht an renditebeflissene Investoren. Vielmehr muss die HyperStudio AG, als steuerfreies Non-profit-Unternehmen konzipiert, ihre Ueberschüsse an die als Muttergesellschaft firmierende Stiftung HyperForum abliefern. Diese Stiftung wurde im Feburar 1994 mit 475'000 Franken aus der Weiterbildungsoffensive des Bundes durch die Ingenieurschule beider Basel gegründet. Die Nähe zum ehemaligen Technikum hat nicht nur HyperStudio, sondern auch seinem rührigen Promoter Mischa Schaub einen fliegenden Start beschert: Der gelernte Bildhauer und Industriedesigner ist zu je 50 Prozent HyperStudio-Geschäftsfüher und Dozent am CIM-Zentrum.
Der Leistungsnachweis ist beachtlich. In den ersten 18 Betriebsmonaten erarbeitete HyperStudio unter anderem den Prototypen eines Videokonferenzsystems für Ascom Tech, gestaltete ein Lehrmittel für die SKA und eine Multimedia-Schau für den Computerhersteller DEC und startete im Auftrag der TV-Jugendsendung "Zebra" ein Experiment für interaktives Fernsehen. Schwerpunkt der diesjährigen Tätigkeit war die Produktion von drei CD-ROM mit höchst unterschiedlichen Auftraggebern und Ansatzpunkten (vgl. Kasten).
Das obsessive Engagement der Studierenden ist wohl auch im motivierenden Faktum begründet, dass "die Ausbildung nicht mit einem Diplom endet, sondern mit einem Existenzangebot".
Selbstverständlich ist das nicht. Wenn Schaub in der Kantine vor seinem Hyper-Lab sitzt und über die Multimedia-Zukunft nachdenkt, dann sieht er für schwarz für den Werkplatz Schweiz. Dieses Land, glaubt er, sei drauf und dran, den Anschluss zu verpassen. Wenn im interaktiven Bereich geschehe, was bereits dem Schweizer Spielfilm widerfahren sei, dann hätten bald die grossen US-Medienmischkonzerne das Sagen. Den hohen Standard in Gestaltung und Produktion von Printmedien, aber auch die Fähigkeit der Schweizer Grafik, Inhalte zu verdichten, drohe das Land im interaktiven Geschäft zu verlieren. Schaub sagt auch, weshalb: Weil das Bildungsangebot zum Aufbau der nötigen professionellen Kompetenz bei weitem nicht ausreiche.
"Ich komme jedesmal deprimierter aus den USA zurück und auch in Deutschland wird viel Geld in Gestaltung, Weiterbildung oder Hauptstudien in Multimedia gepumpt", klagt Schaub. In der Schweiz biete aber keine Schule für Gestaltung ein vergleichbares Angebot. Auch fühlten sich viele klassische Gestalter von den interaktiven Gestaltungstechniken bedroht. Schaub: "Die Schweiz war gut im Darstellen von statischen Zuständen. Das genügt heute nicht mehr. Information muss als Prozess und nicht mehr als Standbild aufbereitet werden."
Darum hat Schaub viel im Sinn. Um das Risiko zu teilen, soll am 1. Januar 1996 in Form der HyperParc AG eine weitere Non-profit-Tochter der Stiftung HyperForum gegründet werden. Die Idee: Im HyperStudio gereifte Multimedia-Fachleute gründen nach dem Studium eigene Firmen und bilden als Zusammenschluss ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum – von der virtuellen Fotografie über Animation und Tonstudio bis hin zum Troubleshooterbetrieb, der missglückte Produktionen aufmöbelt.
Schaub spekuliert darauf, dass sein Firmenzusammenschluss auf einer Fläche von gegen 3000 Quadratmetern nicht nur kommerzielle, sondern ebenso dezidiert bildungsstrategische Ansprüche erfüllt.
Da ist er bei seiner juristischen Mutter gut aufgehoben: Die Muttenzer Ingenieursschule will eine technisch-getalterische Studienrichtung "interaktive Medien" einrichten. Möglich sei auch, dass künftige Fachhochschulen, die HWV, die Universität oder die Schule für Gestaltung das HyperParc-Angebot nutzten.
Bis 1998, schätzt Mischa Schaub, sollen sich bereits zwanzig selbsttragende Firmen im HyperParc angesiedelt haben. Zudem soll sein digitales Treibhaus dannzumal 150 Ausbildungsplätze anbieten und sogar jedes Jahr ein "Medienfestival" organisieren.
Phantasterei? Vielleicht zum Teil. Der Nukleus HyperStudio mindestens scheint zu funktionieren. Mit 724.15 Franken Ertrag schrieb er jedenfalls schon im ersten Betriebsjahr schwarze Zahlen. Schaub: "Ich habe zum erstenmal in meinem Leben das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – und abzuheben."
28. September 1995
CD-ROM aus dem HyperStudio
• ProNet
Diese CD, vor vier Frauen hergestellt und Ende Oktober öffentlich präsentiert, zeigt, wie Frauen das Internet sinnvoll nutzen können. Das Hightech-Lehrmittel wurde von den Gleichstellungsbüros der Kantone Baselland und Zürich in Auftrag gegeben und soll Frauen mit seinem sinnlichen Auftritt Mut zum digitalen Surfen machen. Preis: 20 Franken.
• SwissCIM
Hergestellt aus eigener Initiative mit Unterstützung von 223'000 Franken durch das Bundesamt für Konjunkturfragen. Hier werden zum Abschluss des CIM-Aktionsprogramms Ende Jahr die Ergebnisse an 16 Fallbeispielen aus Klein- und mittelgrossen Unternehmen dokumentiert. An der CD beteiligt sind alle acht CIM-Zentren der Schweiz. Preis noch offen.
• HyperParc
Bei "HyperParc" handelt es sich um eine 50minütige Werbe-CD mit stark animierten Produkte-Samplern, die von sieben Leuten in vier Monaten produziert wurde. Die Kosten von rund 100'000 Franken werden durch die Baselbieter Wirtschaftsförderung übernommen. (Hier evtl. Bestellungsadresse/Leserservice anfügen)