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"Bei Erfolg Gesetzes-Charakter": Vereinigte Sozialpartner, Baselbieter Regierung*
Sozialpartner versuchen das Unmögliche: Schulterschluss für Schmidlin-Jobs
Die Auffanggesellschaft soll mindestens 150 Arbeitsplätze in der Region behalten statt einen Konkurrenten ausschalten
Von Peter Knechtli
Mit einem in der Schweiz einmaligen Schulterschluss ziehen Arbeitgeber und Gewerkschaften aus dem Debakel um den Konkurs der Aescher Fassadenfirma Schmidlin AG die Konsequenzen: Unterstützt durch die Baselbieter Regierung gründeten sie einen Verein, der mindestens einen Teil der bedrohten 400 Arbeitsplätze in der Region retten will.
Noch ist der Schock über die jüngste Baselbieter Betriebsschliessung nicht überwunden, kommt ein deutlicher Hoffnungsschimmer auf, doch noch einen Teil der knapp 400 in der Region bedrohten Arbeitsplätze der Fassadenbau-Firma Schmidlin AG in Aesch nach dem Konkurs vom 22. Februar retten zu können: Auf Initiative der Wirtschaftskammer Baselland gründeten die Sozialpartner des Schreinergewerbes in den letzten Tagen in aller Diskretion einen Verein zur "Erhaltung von Arbeitsplätzen der konkursiten Firma Schmidlin". Dieses Modell ist laut der Vereinsgründer ein Schweizer Pilotprojekt über das Vorgehen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Falle von Betriebsschliessungen. Das Projekt wurde heute Montagmorgen in Liestal vorgestellt. Seine Bedeutung unterstrich die Präsenz der beiden Baselbieter Regierungsräte Erich Straumann (Volkswirtschaft) und Adrian Ballmer (Finanzen).
Nicht der höchste Preis soll entscheidend sein
Dem Verein gehören der Schreinermeister-Verband Baselland, die Gewerkschaften Unia und Syna sowie die Wirtschaftskammer Baselland und der Gewerkschaftsbund Baselland an. Nicht weniger als 150'000 Franken schossen die Sozialpartner als Startkapital ein, um doch noch eine Grössenordnung von 150 Arbeitsplätzen in der Region, aber auch Dutzende durch den Konkurs bedrohte regionale Lieferfirmen retten zu können. Diese Zulieferbetriebe sitzen auf Zahlungsausständen in Höhe von 16 Millionen Franken.
Initiator des Schulterschlusses der Sozialpartner war Wirtschaftskammer-Direktor und FDP-Nationalrat Hans Rudolf Gysin. Haupt-Stossrichtung des Vereins ist es, möglichst grosse Teile der maroden, aber mit Hightech-Knowhow ausgestatteten Firma weiter arbeiten zu lassen. Es geht laut Gysin nicht an, dass die rentablen Teile der Firma an den Meistbietenden verkauft werden, der auf diese Weise einen unliebsamen Konkurrenten ausschalte. Vielmehr soll es die Aufgabe des Konkursverwalters sein, das Unternehmen an einem nachhaltigen Investoren zu übertragen, der zwar nicht den höchsten Preis zahlt, aber die Bereitschaft zeigt, in Aesch weiterhin Fassaden zu produzieren. Damit könne die Weiterbeschäftigung "ganzer Montagegruppen" und nicht bloss der besonders gefragten 40 Ingenieure gewährleistet werden. Gysin einschränkend: "Wir wollen aber keine falschen Hoffnungen wecken, alle Arbeitsplätze erhalten zu können."
Ausnahmeregelung für Pilotversuch
Konkret möchte der Verein erreichen, dass die von einer neuen Transfergesellschaft übernommen Arbeitnehmer während einer gewissen Zeit ganz oder teilweise durch die Arbeitslosenversicherung finanziert werden, während der Investor gleichzeitig die Beschäftigung seiner Belegschaft über eine bestimmte Zeit - Gysin nannte eine Zeitspanne von sechs Monaten bis drei Jahren - garantiert. Grundsätzlich dürfen Bezüger von Arbeitslosenentschädigung keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Der Verein möchte aber den Ausnahmeparagrafen 75a des Arbeitslosenversicherungsgesetzes in Anspruch nehmen. Danach kann die Ausgleichsstelle nach Rücksprache mit der Aufsichtskommission "zeitlich befristete, vom Gesetz abweichende Pilotversuche zulassen". Solche Versuche können bewilligt werden, sofern sie dazu dienen, Erfahrungen mit neuen arbeitsmarktlichen Massnahmen zu sammeln, bestehende Arbeitsplätze zu erhalten oder Arbeitslose wieder einzugliedern. Im Erfolgsfall, so Gysin, könne das Projekt "Gesetzes-Charakter erhalten".
Wie an der Medienorientierung zu erfahren war, steht das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), insbesondere auch sein Arbeits-Direktor Jean-Luc Nordmann, dem Projekt positiv gegenüber.
Sozialplan und Prüfung von Verantwortlichkeitsklagen
Mit seinem Startkapital will der Verein aber nicht nur Drehscheibe zwischen staatlichen Stellen - seco, Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA), das Arlesheimer Konkursamt sowie die Wirtschaftsförderung - und dem Unternehmen sein, sondern auch selbst konkrete Aktivitäten zum Nutzen der vor vollendete Tatsachen gestellten Belegschaft entfalten. So sollen Verhandlungen mit dem Aktionariat der Konkurs-Firma - so mit der Credit Suisse und Andreas Jacobs - geführt werden, um einen Sozialplan für die Entlassenen schaffen. Geprüft werden soll auch die Frage einer allfälligen Verantwortlichkeitsklage gegenüber Verwaltungsrat und Management. Auch die Beratung der betroffenen Arbeitnehmer in Form eines Leistungsauftrages an die Gewerkschaften zählt zu den Vereinszwecken.
Auffällig an der heutigen Präsentation des Vereins war, wie vehement sich wirtschaftskammer-Direktor Hans Rudolf Gysin auch für die Arbeitnehmer-Interessen einsetzte. Von heute auf morgen einen Konkurs ohne flankierende Massnahmen einzuleiten, die Sozialpartner nicht zu informieren und nur die Filetstücke in eine neue Gesellschaft zu transferieren, erinnere ihn "an Manchester-Liberalismus-Allüren", die "äusserst unschweizerisch" seien. Im Baselbiet mit seiner "ausgezeichneten Sozialpartnerschaft" müsse dieses Verhalten als "Schlag ins Gesicht der Sozialpartner" bezeichnet werden.
Der Verkaufs-Entscheid drängt
Auch die Gewerkschaften bekräftigten ihre Empörung über das Vorgehen der Firmenleitung und die "polizeilich überwachte Abführung der Arbeiter aus dem Firmengelände" (so Unia-Gewerkschafter Jost Arnet). "Wie Schwerverbrecher" seien die Entlassenen behandelt worden, sagte SP-Landrat Daniel Münger, Copräsident des Gewerkschaftsbundes Baselland.
Wie am Rande der Medienkonferenz zu erfahren war, muss der Konkursverwalter nun rasch entscheiden, für welchen Investoren er sich entscheiden will. Es könne sich höchstens noch um ein paar Tage handeln, sonst sei es "mit der Firma Schmidlin in Aesch vorbei". Finanzdirektor Adrian Ballmer erklärte gegenüber OnlineReports, der Kanton sei am Verein weder direkt noch finanziell beteiligt. Hingegen könne sein, dass auch der Fonds für Wirtschaftsförderung angezapft werde, falls der richtige Investor bei Schmidlin einsteigen könne. Dieser Fonds hat jährlich eine zweistellige Millionensumme zur Verfügung.
* hinten von links: Markus Meier (Vizedirektor Wirtschaftskammer Baselland), Hans Rudolf Gysin (Direktor Wirtschaftskammer Baselland), Regierungsrat Erich Straumann (Volkswirtschaft), Regierungsrat Adrian Ballmer (Finanzen);
vorn von links: Rita Zimmerli (Gewerkschaft Syna), Käthi Baader-Freivogel (Schreinermeister-Verband Baselland), Jost Arnet (Gewerkschaft Unia) und Daniel Münger (Copräsident Gewerkschaftsbund Baselland)
13. März 2006
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