© Foto by Novartis
Novartis-Konzernherr Daniel Vasella: Vor seinem ersten weitreichenden Entscheid
Novartis präpariert den grossen Deal
Der Entscheid über die Trennung vom Agro-Geschäft wird in den nächsten Wochen erwartet
Von Peter Knechtli
Der Basler Pharmakonzern Novartis steht vor einer Weichenstellung: Konzernchef Daniel Vasella scheint entschlossen, Teile des Unternehmens abzustossen und gleichzeitig den lukrativen Pharma-Bereich zu stärken. Betroffen von der Entscheidung sind 18'000 Mitarbeiter der Agro-Division.
Novartis-Konzernchef Daniel Vasella hält es derzeit für angebracht, seine Botschaften über die Weltpresse an Investoren und Belegschaft zu richten. Ueber die "New York Times" dementierte er Meldungen, wonach Novartis nach einer feindlichen Uebernahme des US-Pharmakonzerns American Home trachte, der seinerseits mit Pfizer in einen Uebernahmekampf um Warner Lambert verwickelt ist.
Die Gerüchte um Novartis schiessen ins Kraut, der Aktienkurs klettert nach Monaten des Dümpelns wieder ins Mittelfeld, unter Mitarbeitern und Branchen-Beobachtern steigt die Spannung. Keine Frage: Im Denk-Tank der Konzernstrategen brodelt Essenzielles.
Der zielgerichtete Zukunfts-Entscheid wird fällig
Schon im Spätsommer erfuhr ONLINE REPORTS aus höheren Konzernsphären, es stünden in absehbarer Zeit nicht näher bezeichnete "grundlegende Entscheide" auf Unternehmensebene bevor. Immer unverblümter machten enttäuschte Anleger angesichts erodierender Aktienkurse ihrem Aerger Luft: Vasella, gleichzeitig Präsident und Konzernchef, steht unter enormem Erfolgsdruck.
Denn seit der Fusion vor drei Jahren hat der Manitu der Wirkstoffe keine wirklich zukunftsweisenden Weichen gestellt, die Begeisterung über die Pharma-Pipeline hielt sich in Grenzen, die Konkurrenz wächst Novartis davon. So sind die kommenden sechs Monate möglicherweise entscheidend für Vasellas Behauptung an der Konzern-Spitze: Ein grosser Beutezug in die falsche Richtung und das Schicksal des jugendlichen Firmen-Führers wäre besiegelt.
Konsequente Fokussierung auf das Pharma-Geschäft
Am wahrscheinlichsten ist heute soviel: Die Agro-Division mit ihren weitweit 18'000 Mitarbeitern, dem weltgrössten Pflanzenschutz-Geschäft und einem Wert von mehr als 20 Milliarden Franken, wird so schnell wie möglich abgestossen. Der Fokus wird konsequent auf das gewinnträchtige Pharma-Geschäft gerichtet.
Im neu eröffneten Fricktaler Agro-Zentrum Stein, wo Substanzen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden, "haben sich die Leute emotional schon von Novartis abgenabelt" (so ein Beobachter). Lautete die offizielle Sprachregelung, dass ein Entscheid über die Zukunft des Agro-Geschäfts "noch dieses Jahr" getroffen werde, glauben Kaderleute der betroffenen Division, dass der historische Beschluss noch im November falle: "Alles ist auf Nadeln."
Zwar gab sich der neue Agro-Chef Heinz Imhof, 57, nach aussen prospektiv und verordnete gegen den massiven Umsatzeinbruch Marketing-Ansätze, "von denen man in Zukunft noch hören" werde. Nach innen aber schien sich der Krisenmanager nie darauf einzurichten, dieses schwierige Zyklen-Geschäft mit 8,4 Milliarden Franken Umsatz (1998) über eine längere Zeitspanne unter Novartis-Aegide führen zu wollen. Kaderleuten der Agro-Division, geprägt vom humanen Stil Wolfgang Samos, blieb nicht verborgen, dass sie von Nachfolger Imhof seit seinem Amtsantritt vor einigen Monaten weder physisch noch elektronisch förmlich begrüsst wurden. Für sie wird immer deutlicher, dass Imhofs Job darin besteht, die Division für die Trennung fit zu trimmen.
Viele rechnen mit einem Austausch
Ueber die Form der neuen Besitzverhältnisse dagegen wird eifrig spekuliert. Die eine Möglichkeit wäre ein zweiter grosser Spin-off nach der Ausgliederung der Ciba Spezialitätenchemikalien im Frühjahr 1997 mit anschliessendem Börsengang. Denkbar, aber wenig sinnstiftend, wäre eine Ausgliederung als Joint Venture mit einem andern Agrokonzern.
Die unter den möglichen Trennungsvariationen am häufigsten genannte Strategie ist der Austausch: Novartis stösst ihren Agro-Bereich an einen andern Mischkonzern ab und übernimmt im Gegenzug seine Pharma-Sparte. Der Vorteil dieser Option: Novartis braucht für ihre strategische Schlankheits-Kur kein Geld in die Hand zu nehmen. Indem der Basler Konzern mit seinem Agro-Geschäft zudem einen Weltmarkt-Leader in den Deal einbringt, könnte sich die Umschichtung für Novartis letztlich in barer Münze auszahlen, mit der die Königssparte Pharma gestärkt werden könnte.
Dass der US-Agro-Multi Monsanto zu den Verhandlungs-Kandidaten für einen Switch-over zählt, mochte Vasella am Freitag nicht ausschliessen. Analysten und Marktbeobachtern ist allerdings wenig plausibel, was eine Zusammenlegung von Monsanto mit Novartis bewirken sollte. Da der Agro-Markt im Gegensatz zum Pharmageschäft von relativ wenigen Gross-Akteuren geprägt ist, ergäbe eine Novartis-Monsanto-Kombination einen wettbewerbspolitisch unhaltbaren Koloss mit einem Marktanteil von über 15 Prozent. Unabdingbare Folge: Teile des Mammut-Konstrukts müssten nach dem Gusto der Antitrust-Behörden abgestossen werden.
Celebrex wäre ein Traum-Produkt für Novartis
Scharf allerdings könnte Novartis auf ein edles Pharma-Pferdchen im Monsanto-Stall sein: Das innovative Tochterunternehmen Searle führt mit dem neuen Rheuma-Medikament Celebrex einen Verkaufsschlager im Portfolio, von dem Novartis nur träumt. Dem Super-Aspirin, das die Nebenwirkungen im Vergleich zu seinem deutschen Vorgängerprodukt um Dimensionen reduzieren soll, wird allein auf dem heftig umkämpften amerikanischen Markt ein Umsatz von gegen vier Milliarden Franken zugetraut.
Die Frage stellt sich bloss, weshalb sich der hochverschuldete Saatgut-Konzern, der aggressiv auf Gentechnologie setzt und damit vor allem in Europa, zunehmend aber auch in Amerika unter Druck gerät, ausgerechnet von seiner Pharma-Perle trennen soll. Zudem ist bekannt, dass nicht nur Novartis, sondern auch andere Konzerne wie der Aspirin-Produzent Bayer auf Searle ein Auge werfen.
Weitere Kandidaten des Umschichtungs-Szenarions
Der diversifizierte Leverkusener Chemie- und Pharmakonzern soll aber auch als Partner eines Basler Umschichtungs-Szenarios im Gespräch sein. "Bei uns gehen derzeit viele Bayer-Leute ein und aus", fiel jedenfalls einem Novartis-Mitarbeiter auf. Auch BASF mit ihrem erfreulich wachsenden Gesundheits- und Ernährungssegment ("Knoll AG") soll auf der Prüfliste stehen.
Berater sehen hinter der derzeitigen Nervosität eine neue Etappe der Flurbereinigung im Pharma-Sektor. Sie glauben, dass dieser Prozess gravierende Auswirkungen auch auf die Chemie-Stadt Basel und die Schweiz haben könnte. So sei nicht ausgeschlossen, dass Novartis seinen Hauptsitz mittelfristig in den EU-Raum verlege. Dort könnten allein schon die patentrechtlichen Fragen "viel einfacher" geregelt werden.
Einstweilen bereitet Daniel Vasella seinen grossen Sprung nach vorn noch am Basler Hauptsitz vor. Doch ein Indiz könnte zeigen, dass er sich schon auf das Ueberwinden weiterer Alltags-Distanzen vorbereitet: Intern geht die Rede, der "Held im Sinkflug" ("Tages-Anzeiger") wolle zum Senkrechtstart ansetzen und sich von seinem privaten Domizil am Zugersee künftig per Helikopter an seinen Basler Arbeitsplatz chauffieren lassen.
14. November 1999