Ein Klimmzug in rauhere Sphären
Der 34jährige Matthias Hagemann wird in einer heiklen Phase Chef des drittgrössten Schweizer Medienkonzerns
Von Peter Knechtli
Markanter Generationenwechsel an der Spitze des drittgrössten Schweizer Verlagshauses: Mathias Hagemann wird nächsten Mittwoch als Nachfolger seines Vaters neuer Präsident der "Basler Zeitung". Das Familienunternehmen erwarten grosse Herausforderungen: Der Zürcher Medienbereich verschlingt Millionen.
Locker sitzt er auf seinem Bürostuhl, liegt viel eher, in Blue Jeans und offenem Jeans-Hemd, die Daumen seiner kräftigen Hände lässig in die Hosentaschen gehakt. So zeigt eines der seltenen publizierten Photos den Spross aus der Basler Verlegerfamilie Hagemann, der demnächst das Erbe in dritter Generation weiterführen soll: Matthias Hagemann, 34jährig, Dr. iur., parteilos.
Doch jetzt wird er unerbittlich zur öffentlichen Person: Am 27. November wird der leidenschaftliche Hochgebirgs-Kletterer zum wohl entscheidendsten Klimmzug seiner weitgehend vorbestimmten Karriere ansetzen und im Direttissimo vom Verlags-Stagiaire zum Verwaltungsratspräsidenten des Medienkonzerns "Basler Zeitung" (BaZ) mutieren. Er wird dann einem Gremium vorsitzen, dem Leute wie Gaudenz Staehelin (SKA, UTC), Publicitas-Chef Jean-Jacques Zaugg oder Beat Curti angehören.
Blauäugig steigt der Jungverleger aber nicht in die laufenden Geschäfte ein: Seit Jahren führt er die Verwaltungsratsprotokolle, mit den Traktanden ist er eng vertraut. Zudem sitzt seine Cousine Ruth Ludwig-Hagemann bereits im Verwaltungsrat, sein Vater und Vorgänger will dem Gremium noch zwei weitere Jahre angehören. Bereits seit Sommer fungiert der Verlegerspross in einem polnischen Joint Venture mit Edipresse als Präsident.
"Aber auf Mathias Hagemann", glaubt eine mit seiner Familie eng vertraute Basler Quelle, "lastet ein grosser Druck". Behütet aufgewachsen in einem wohlhabenden Milieu wurde das Einzelkind sorgsam begleitet bis hin zu seiner preisgekrönten Dissertation ("Die Entwicklung der Iniuria von den zwölf Tafeln bis zur Justinianischen Kodifikation"). Zwar pfeift es dem begnadeten Hockeyspieler auf dem Eisfeld mal um die Ohren, aber "der kalte Wind der Realität blieb ihm bisher erspart."
Immerhin hat er am Luftzug schon tüchtig geschnuppert - in den Betrieben seines Unternehmens, in der San Diego Tribune und zuvor auch während eines Jahres im TA-Media-Verlag, vor allem bei der SonntagsZeitung. Dort leistete er Knochenarbeit, schlug sich mit der Mehrwertsteuer, der Organisation von PR-Anlässen oder der praktischen Umsetzung von Sponsoring-Vereinbarungen herum.
"Ein Mann mit klarer Lebenshaltung"
TA-Verlagsleiter Tobias Trevisan hat Mathias Hagemann als "ganz tolle Persönlichkeit" mit ausserordentlicher Intelligenz und "klarer integrer Lebenshaltung" erlebt: "Er verfügt über Voraussetzungen, die ihn befähigen, eine gute Verlegerpersönlichkeit zu werden." Als zurückhaltend wie sein Vater, begeisterungsfähig, analytisch stark und mit trockenem Humor ausgestattet wird Mathias Hagemann geschildert. Für's Bier nach Feierabend in Zürich reichte die Zeit meist nicht, die teilt Mathis, wie ihn die Seinen nennen, lieber mit Frau und seinen beiden Kindern.
Künftig dürfte ihn das Geschäft allerdings stärker beanspruchen. Sein Vater, der bald siebzigjährige Rechts-Professor Hans-Rudolf Hagemann, übergibt ihm die Verantwortung über den 530-Millionen-Konzern zu einem Zeitpunkt, an dem die grösste Expansionsphase der Firmengeschichte weder finanziell noch organisatorisch verdaut ist.
Der spektakuläre Griff der Basler auf den Medienplatz Zürich in Form einer 65-Prozent-Beteiligung am Verlagshaus Curti Medien/Jean Frey AG zum Preis von 70 Millionen Franken zahlt sich noch längst nicht aus: Der "Sport" kostet die Basler jährlich mehrere Millionen, die "Weltwoche" schreibt rote Zahlen und verliert Abonnenten, und die "Bilanz" wirft keinen Ertrag mehr ab.
"Dem Jean-Frey-Verlag fehlen die innovativen Kräfte. Er fukussierte sich zu lange darauf, dass gutes Schreiben allein genüge", glaubt ein Vertrauter. Das Rey-geschädigte Medienhaus lähmte zudem der Bestechungsvorwurf, der im Zusammenhang mit der Affäre um den Zürcher Chefbeamten Huber zeitweise auf Beat Curti lastete. Schliesslich traumatisierte die Belegschaft seit zwanzig Jahren eine Gruppenleitung, die sich jeweils schon bei Stellenantritt zu verabschieden schien: Nicht weniger als zwölf Namen zieren die Ahnengalerie - von Basilio Riesco über Martin Ungerer und Hannes Hinnen bis zu Curti-Schwager Hans-Erich Fischer. Der jüngste GL-Vorsitzende Erich Hirschi musste letzte Woche gehen.
Angst, die "Zürcher Filiale" zu sein
Zum Verhängnis wurde dem Curti-Mann laut Insidern das Ansinnen, das Curti-Medien-Haus "nicht zur Zürcher Filiale der Basler Zeitung werden zu lassen". Zu diesem Zweck reiste Hirschi - zu Sigrists geringer Begeisterung - eigens zu Patron Hagemann nach Basel. Als Sigrist darauf den 33jährigen Fredy Gsteiger zum neuen "Weltwoche"-Chef machte, war es um Hirschi geschehen: Er hatte auf den langjährigen Inlandchef Felix A. Müller gesetzt.
Als sich der Geschasste einige Tages später in einem Weinkeller im Zürcher Niederdorf beim Umtrunk verabschiedete, fühlte sich ein langjähriger Jean-Frey-Mann an einer "Versammlung von abgelöschten Zynikern": "Ich hatte das Gefühl, da ist keine Loyalität mehr vorhanden."
Dem disparaten, jeglicher Unternehmenskultur entfremdeten Journalisten-Biotop will nun vorübergehend jener Mann eine veritable Portion Stallgeruch verpassen, der demnächst auf dem Zenit seiner Kompetenzfülle steht: Peter Sigrist, Delegierter des BaZ-Verwaltungsrates und, nach der Generalversammlung vom 12. Dezember, künftiger Präsident der Jean-Frey-Gruppe, dem bedeutendsten Teil des Zürcher Medienbereichs.
Der agile Wachstums-Architekt verkennt mit seinem sicheren Instinkt für die Mechanismen der Macht die lauernden Gefahren nicht. Doch auch auf Peter Sigrist lastet bleischwerer Erwartungsdruck: Nachdem er sein Stammhaus in den vergangenen Jahren konsequent fit getrimmt hat, muss er als Feldmarschall der Zürcher Verlangs-Akquisition das Gesellenstück seiner Karriere vor der Besitzerfamilie Hagemann zum Erfolg führen.
Am Samstag nach dem Hirschi-Abgang bestellte er die Zürcher Redaktions- und Verlagsspitzen auf 11 Uhr in sein privates Anwesen nach Riehen, um die Hintergründe und Folgen der Entlassung zu kommentieren. Die Orientierung geriet aber zum eigentlichen "Rütli-Rapport", in dessen Verlauf Sigrist seine Kader eindringlich darauf einschwor, die Aermel hochzukrempeln und bessere Ergebnisse vorzulegen.
Nur weiss keiner, wie. Die Produkte sind schon so schlank, dass sie höchstens noch eine Feinjustierung ertragen, das Synergie-Potential ist begrenzt. Derweil setzt der BaZ-Chef auf Köpfe seiner Wahl: Der neue operative Vorsitzende der Zürcher Geschäftsleitung ("man wird staunen") werde ein Mann sein, der "nicht aus dem Wurstkessel der Medienbranche ist" - aber Sigrists Gunst geniesst.
Eine Kapitalerhöhung soll bevorstehen
Unklar erscheint den Zürcher Redaktionen auch die Zweckmässigkeit der Gruppenstruktur. Während sie eine "nahe Führung" mit stärkerer Fukussierung auf die Verlagsobjekte sehen und eine übergreifende Geschäftsleitung eher für überflüssig halten, will Sigrist aus Gründen der übergreifenden Steuerung an einem solchen Gremium festhalten: "Aber die Unternehmen bleiben nach aussen unabhängig und haben einen eigenen Auftritt."
Nach innen allerdings wächst der Basler Einfluss auf die Zürcher Objekte dauernd. Am 12. Dezember wird Mathias Hagemann nicht nur Verwaltungsrat der Jean Frey AG und der Curti Medien Holding AG. Nach unbestätigten Informationen der SonntagsZeitung steht bei der Curti Medien AG auch eine Kapitalerhöhung bevor, bei der Minderheitsaktionär Beat Curti, so ein Insider über den schwindenden Einfluss des früheren Eigentümers, "nicht mitzieht". Der Kapitalzufluss könnte zwei praktische Motive haben: Die kränkelnden Titel mit Investitionen zu forcieren oder das Verlagshaus schlicht mit flüssigen Mitteln zu versorgen.
Für Curti, der weiter in den Verwaltungsräten von BaZ, Curti Medien und Jean Frey bleibt, dürfte die Rechnung aufgegangen sein. Peter Sigrist (61) dagegen bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, seine Sorgen teilt er mit andern Verlegern: Die Medienmärkte sind gesättigt, das Geschäft ist nach Jahrzehnten des grossen Geldverdienens pickelhart geworden, internationale Einflüsse wie ausländische TV-Werbefenster könnten die Anzeigentarife gefährlich ins Rutschen bringen. Propheten sagen der Schweizer Printmedienszene auch in den nächsten Jahren Kooperationen, Fusionen und Strukturbereinigungen im grossen Stil voraus.
Er meidet die Öffentlichkeit wie sein Vater
Wie Mathias Hagemann mit solchen Fragen umgeht, will er vorläufig nicht verraten. Der "sensationelle junge Mann" (Sigrist über Hagemann jr.) versprach der SonntagsZeitung, er würde dies "gern zu einem späteren Zeitpunkt" nachholen. Nichts drängt ihn ans Licht der Oeffentlichkeit, eher sucht er den Schutz vor ihr. Kein Zweifel: Mit bestimmten Gesetzmässigkeiten der Publizistik hat der angehende Publizitätsunternehmer Mühe. Beispielsweise kann er gar nichts damit anfangen, "dass immer versucht wird, ein Thema an der Person aufzuhängen".
Beobachter glauben dennoch, dass sich Mathias Hagemann im Hintergrund mit den wesentlichen Fragen des Unternehmens befassen und kaum aktiv in die publizistischen Belange eingreifen wird. Denn dafür, so die Aufgabenteilung, ist Front-Mann Sigrist mit seiner Seilschaft zuständig. Dem Nachrichtenmagazin "Facts" gewährte Mathias Hagemann letztes Jahr einen ersten Eindruck seiner verlegerischen Inspiration: Visionen hege er keine, er möchte seinen Job einfach so machen wie sein Vater, "so intelligent, so belesen und so bescheiden".
22. November 1996
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