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"Trauma der Fremdherrschaft": Kundgebung für Bahnarbeiter

Streik in Bellinzona: Der Aufstand der Untertanen

Buch: Hanspeter Gschwend hat den Verlauf der Ereignisse bei SBB Cargo mitverfolgt und hautnah beschrieben


Von Aurel Schmidt


Der Streik der Arbeiter der Officine, der Industriewerke von SBB Cargo in Bellinzona, dauerte vom 7. März bis 7. April dieses Jahres. Am 8. April war freier Tag, tags darauf wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Es war der grösste Streik in der Schweiz seit fast 100 Jahren. Die Belegschaft kämpfte gegen die Absicht der SBB, die Wartung der Güterwagen an eine private Firma auszulagern und den Unterhalt der Lokomotiven nach Yverdon zu verlegen. Auf diese Weise wollte sie ihre 400 Arbeitsplätze in Bellinzona verteidigen. Zur Zeit wird darüber mit der SBB verhandelt.

Hanspeter Gschwend, Schriftsteller und Redaktor von Schweizer Radio DRS, hat die Ereignisse vor Ort verfolgt. In seinem soeben veröffentlichen Buch über den Verlauf und die Bedeutung des Streiks können die Ereignisse des Streik-Monats hautnah miterlebt werden.

Die Hintergründe des Streiks gleichen dem, was in der Wirtschaft Tag für Tag geschieht. Aus Gründen des Kostendrucks und der Effizienzsteigerung werden unrentable Betriebszweige ausgelagert beziehungsweise zu schlechteren Löhnen und Arbeitsbedingungen privatisiert. Manager bestimmen, was an Orten, die sie nicht kennen, und mit Folgen, die sie nicht zu tragen haben, zu geschehen hat. Für die SBB war der Unterhalt des Rollmaterials ein Kostenfaktor, der auf die Rentabilität drückte.

Das ist die eine Seite des Arbeitskonflikts. Die andere hat emotionale Gründe, die für den Kanton Tessin von besonderer Bedeutung waren und bisher in der Berichterstattung kaum berücksichtigt wurden.


"Das Trauma der Fremdherrschaft
ist noch nicht restlos ausgeräumt."


Gschwend geht darauf ausführlich ein: Zu lange war das Tessin eidgenössisches Untertanengebiet gewesen. Erst 1848 wurde es als vollwertiger Kanton anerkannt. Eine Industrialisierung hat kaum stattgefunden. In den von Roll-Werken in Bodio hatten einmal 1'700 Menschen Arbeit gefunden. 1995 wurde der Betrieb geschlossen – ein schwerer Schlag für die Wirtschaft des Kantons. Vor allem waren es Bundesbetriebe, die sich im Kanton niederliessen. Die SBB bildeten seit jeher ein enges Verbindungsglied zwischen dem Tessin und dem übrigen Teil der Schweiz. Wäre die Officine in Bellinzona geschlossen worden (oder sollten sie es noch werden), hätte dies die inner-schweizerischen Beziehungen empfindlich gestört. Immer noch ist im Kanton die Ansicht weit verbreitet, eine "Kolonie der Deutschweizer" zu sein. Das unterschwellige "Trauma der Fremdherrschaft" unter den "Landfogti" ist nicht restlos ausgeräumt. Gschwend legt den Akzent auf diesen Punkt: "Ein Kanton revoltiert", lautet der Untertitel seines Buchs.

Diese Einstellung macht die breite Solidarität der Behörden von Bellinzona, der Vertreter der Kantonalpolitik, der Bevölkerung und der Kirche mit den Streikenden verständlich. Zum Beispiel wurden 1,1 Mio Franken in den Solidaritätsfonds einbezahlt, aus dem Tessin, aber auch aus allen Teilen der Schweiz. Im Gegenzug gewannen die Streikenden zum Beispiel mit Blutspenden in der Öffentlichkeit viel Sympathie.
 
Zeitweise wurde die "Pittureria", der Sitz der Streikleitung, zu einer "Pilgerstätte" (Gschwend). Eine kluge Analyse unternimmt der Autor, wenn er in Bezug auf die Sprache des Streiks den agitatorischen beziehungsweise pastoral gefärbten Wortschatz von Gianni Frizzo untersucht. Gschwend bezeichnet den charismatischen Streikführer als Volkshelden und Idol und gesteht ihm "Kultstatus" zu. In der Krise traten "archaische Phänomene in den Vordergrund, wie man sie in Glaubensgemeinschaften und in Sportstadien kennt", schreibt und beschreibt und begründet er.

Frizzo ist ein begnadeter Redern, der enorme Sympathie gewonnen hat. Rhetorik will Erfolg haben. Das ist das Ziel, das aber für die Streikenden genauso gilt wie für die Unternehmerseite, wenn sie ihren Standpunkt vertritt.

 

Hanspeter Gschwend: "Streik in Bellinzona. Ein Kanton revoltiert". Verlag Huber. 36.90 Franken.

4. November 2008


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"Nicht letztlich ein Pyrrhussieg?"

Der Autor Hanspeter Gschwend hätte mit der Herausgabe des Buches besser bis zum Ende der Verhandlungen an der Tavola Rotonda gewartet. Dann nämlich wird es sich zeigen, ob dieser Streik nicht zu einem Pyrrhussieg für die Belegschaft des Industriewerks Bellinzona wird.


Stephan Gassmann, Basel



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bz
vom 26. März 2024
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Wer bildet was oder wen?

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Die Volksstimme greift die OnlineReports-Recherche über das Aus des Textildruck-Unternehmens Permatrend auf.

Im Bericht über "Unruhe am Regioport" bezieht sich Bajour auf die OnlineReports-Ursprungsrecherche aus dem Jahr 2018.

Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Artikel über die Kantonsfinanzen im Baselbiet auf OnlineReports.

Die bz verweist in einem Bericht über die Neuausrichtung der Vorfasnachts-Veranstaltung Drummeli auf einen Artikel aus dem OnlineReports-Archiv.

Die Basler Zeitung zitiert in einem Leitartikel über die SVP aus OnlineReports.

Baseljetzt bezieht sich in einer Meldung über den Rücktritt von Ralph Lewin als SGI-Präsident auf OnlineReports.

Die Basler Zeitung nimmt die OnlineReports-Recherche über den blockierten Neubau der BVB-Tramstrecke über das Bruderholz auf.

Die Basler Zeitung und Infosperber übernehmen die OnlineReports-Meldung über den Tod von Linda Stibler.

Die bz zitiert den OnlineReports-Artikel über die Wiedereröffnung des Gefängnisses in Sissach.

Baseljetzt erzählt den OnlineReports-Artikel über die Räppli-Krise nach.

Das Regionaljournal Basel, Baseljetzt, BaZ und 20 Minuten vermelden mit Verweis auf OnlineReports den Baufehler bei der Tramhaltestelle Feldbergstrasse.

Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Interview zu den Gemeindefusionen auf OnlineReports.

persoenlich.com und Klein Report vermelden mit Verweis auf OnlineReports die Personalrochade bei Prime News.

Die Volksstimme schreibt über die Wahl von Claudio Miozzari zum Grossratspräsidenten von Basel-Stadt und zitiert dabei OnlineReports.

In einem Artikel über die Leerstandsquote bei Büroflächen in Basel nimmt die bz den Bericht von OnlineReports über einen möglichen Umzug der Basler Polizei ins ehemalige Roche-Gebäude an der Viaduktstrasse auf.

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