Die Schweiz ist besser als Strand und Palmen
Wer über 16 aber unter 60 Jahre alt ist, also zur Gruppe der sogenannten Ü16- und U60er gehört, um einen trendy Lifestyle bemüht ist und täglich auf Facebook von wahnsinnig schönen, perfekten, megahärzigen Ferien-Fotos aus Reykjavik, Ho Chi Minh- und Kapstadt beleuchtet wird – der macht mit Sicherheit, das garantiere ich Ihnen, im Sommer keine Ferien in der Schweiz. Er oder sie hat nämlich schon früh erfahren, dass nur glücklich wird, "wer die Welt gesehen hat."
Kein Wunder finden Bücher mit Titeln wie "1001 Orte auf der Welt, die Du unbedingt sehen musst, bevor Du stirbst" reissenden Absatz. Wir werden in enormer Geschwindigkeit und immer zunehmender Häufigkeit last minute über den Erdball verschickt und kaufen den Reisebüros nicht nur ihre Deals, sondern auch die Binsenwahrheit ab, dass eine Woche am Strand unbedingt erholsam und schlicht unverzichtbar sei.
Niemand spricht hingegen von der Fahrt an den Flughafen Basel-Mulhouse mit dem 50er Bus, in dem immer ein schon etwas schwitzender Familienvater seine Koffer auf die Füsse der anderen Fahrgäste wuchtet. Oder von der Faust im Magen während Start und Landung, von der höchstens panische Erinnerungen an den selbstmörderischen "Germanwings"-Piloten ablenken. Oder vom Herzrasen am Ziel, wenn ausgerechnet der Koffer mit Badehosen, Necessaire und der neuen Polaroid Kamera in die andere Hemisphäre verschickt wurde und jetzt, so verspricht der Herr am Schalter, von New York zurück ins Baselbiet reist.
"Liebe Ü16- und U60er: Gebt der Schweiz
doch noch eine Chance."
Flugzeuge fliegen bekanntermassen schneller als unsere Seelen, deshalb braucht man dann – einmal in Übersee angekommen – mindestens drei Tage, um sich an alles Neue zu gewöhnen. Es folgt der vierte Abend, an dem es sich in der Fremde anfühlt wie zu Hause (da werden die Fotos für Facebook geschossen), bevor die Ü16- und U60er dann während wiederum drei Tagen schon sorgfältig packen, eine genau abgezählte Anzahl Souvenir-Kokosbecher kaufen und sich schliesslich ein bisschen zu früh auf den Weg zurück in die Flugzeug-Hölle machen. "Weisch, nid dass mir no dr Flug verpasse und uf dere Insle für immer steckebliibe."
Liebe Ü16- und U60er: Gebt der Schweiz doch noch eine Chance. Werbung, Facebook-Freunde und Reisebüros haben uns nämlich belogen, die AHV-Rentner das Geheimnis sorgfältig bewahrt: Hier zu bleiben ist ein Traum. Wir können spontan in einen nahezu leeren Zug steigen und in eine schöne Kleinstadt fahren – sagen wir nach Thun. Grosse Shampoo-Flaschen sind erlaubt, sie müssen auch nicht vorher in extra Plastiksäckli verstaut werden und die Lippenstifte werden von kritisch-genüsslichen Zöllnerblicken verschont.
In Thun dann sitzt an einem warmen Sommerabend die ganze Stadt an den Aare-Kanälchen und isst wunderbare Fische, die nur Stunden zuvor aus ebendiesem Fluss geholt wurden. Das Schiff, das weiter nach Interlaken fährt, hat sämtlichen Veränderungen der letzten Jahrhunderte getrotzt: Alles ist sauber geputzt und hellblau-frisch gestrichen, echte Blumen klemmen unter der Reling, der Dampfkessel klopft und die 1. Klasse befindet sich im Oberdeck, als wollte das ganze Schiff schreien: Hier hat noch alles seine Richtigkeit!
Im "Weissen Kreuz" in Brienz haben neben Uhland, Goethe und Lord Byron auch General Montgomery und Richard Nixon gespeist. Ihre Geister sind – daran zweifelt dort niemand – noch spürbar. Ob damals das vegane Cordon Bleu schon auf der Karte stand? Ganz in der Nähe führt eine Standseilbahn aus dem 19. Jahrhundert zu den Giessbachfällen, damals ein Wunder der Technik, heute ein Mahnmal der Langsamkeit – ebenfalls sauber geschrubbt und frisch gestrichen. In Spiez schliesslich gibt es leichten lokalen Rotwein, eine richtige kleine Riviera und im Hafen inmitten von Segelschiffen einen Pedalo-Schwan.
Den kann man mieten und eine kurze Runde drehen. Und obwohl er quietscht sind spätestens dann – ich verspreche es Ihnen – alle Strapazen von Flugzeug, Palmen und Strand vergessen.
29. August 2016
"Aus Kostengründen ins Ausland"
Sicher, Frau Bühler, "megahärzig" und putzig die Schweiz. Wunderhübsch, ein Paradies. Und so preiswert, gell? – Im Ernst, ist Ihnen nicht bewusst, dass die meisten Leute (Beispiel Familien) schlicht aus Kostengründen während der Ferien nicht in der Schweiz bleiben wollen? Für ihre Portion "wunderbare Fische" am Aarekanal in Thun speist anderswo leider die ganze Familie!
Simone Abt, Binningen