Weihnachts-Geschichte aus Israels ärmster Stadt
Vor Beginn der Adventszeit habe ich – wo auch sonst? – in Israel eine reale kleine Weihnachtsgeschichte erlebt. Zur politischen Lage im heiligen Land gibt es kaum Neues zu berichten, sie ist angespannt, kompliziert, meistens ambivalent. Gut und Böse sind längst nicht mehr klar zu unterscheiden (falls sie es je waren), auch wenn die Einflussreichen und besonders Gläubigen das mit unverändertem Nachdruck behaupten. Ein "Frieden von oben" ist kurzfristig nicht zu erwarten, im Gegenteil: Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sind Ansätze wie die Zweistaatenlösung wieder in die Ferne gerückt.
Frieden wird auf berührende Weise anderswo geschlossen, weit unter dem andauernden Brummen der übenden Kampfjets – zum Beispiel in Jisr az-Zarqa. Die ärmste Stadt Israels liegt eingezwängt zwischen dem Nobelort Caesarea, der ehemaligen Prunkstadt von König Herodes, und dem reichen Kibbuz Ma'agan Michael.
Jisr ist die letzte arabische Stadt an der israelischen Mittelmeerküste, und sie ist offensichtlich isoliert: Von der Schnellstrasse gibt es für die rund 15'000 Einwohner keine Abzweigung und die einzige Zufahrt zur Stadt ist eine einspurige Unterführung. Mir kam es ungefähr so vor, als müssten in Liestal morgens und abends alle Pendler durchs Törli – öffentliche Verkehrsmittel gibt es keine.
"Neta und Ahmed haben
das Leben einer ganzen Stadt verändert."
Nicht nur die Infrastruktur grenzt die Bewohner von Jisr von der Aussenwelt ab, selbst Palästinenser stigmatisieren die Bevölkerung, unter anderem weil ihre Vorfahren Beduinen waren, immun gegen Malaria. Sie halfen deshalb im frühen 20. Jahrhundert den ersten Siederfamilien die Sümpfe in der Region trocken zu legen; noch immer gelten sie als Kollaborateure der Juden. Die daraus resultierende Ausgrenzung aus nahezu allen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen hat nicht nur zu grosser Armut, viel Kriminalität und einem niedrigen Bildungsstand in der Stadt geführt, sondern auch zu einem konsverativeren Islam als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Warum also von einer solchen Stadt erzählen? Es hat uns rein zufällig da hin verschlagen. Wie die meisten anderen Touristen wollten wir eigentlich die spektakulären archäologischen Überreste von Caesarea sehen. In Jisr gebe es noch freie Hotelzimmer und einen traumhaften Strand, das versprachen auf jeden Fall ein paar Fotos im Netz. Erst vor Ort wurde uns klar: Es gibt kein anderes Hotel in dieser Stadt. Es gibt auf den ersten Blick eigentlich überhaupt keine Infrastruktur für Touristen wie beispielsweise Restaurants.
Das Guesthouse, in dem wir gelandet sind, ist vielmehr das Lebensprojekt von Neta Hanien, einer ehemaligen jüdisch-israelischen Anwältin. Sie hat in Jisr nicht die Armut gesehen, die Beduinen, die Muslime, die dicht gedrängten Häuser und die Kleinkriminiellen, sondern einfach Menschen in einer Stadt an einem schönen Strand. Sie hat daran geglaubt, dass Touristen sich für den Ort interessieren könnten – die Bewohner der Stadt haben ihr am Anfang nicht geglaubt. Und sie hat in Ahmed Juha einen arabischen lokalen Partner gefunden, der in Jisr aufgewachsen ist und ein Haus mitten in der Stadt besitzt. Seit 2014 betreibt dieses für israelische Verhältnisse sehr ungewöhnliche Paar "Juhas Guesthouse".
Die Eröffnung des Gasthauses hat die lokale Wirtschaft wiederbelebt: Es gab einen Zuwachs von 2'000 Prozent an Übernachtungsgästen, 650 Prozent mehr Tagesgäste und die Investitionen in die lokale Wirtschaft haben sich um 1'000 Prozent gesteigert. Hanien und ihr Team bieten aber auch Englischkurse an, Frauengesprächsrunden, bilden Jugendliche zu stolzen Touristenführern aus und haben die Fischer ermutigt, ein Restaurant zu eröffnen. Einfache Schuldzuweisungen an die israelische Regierung oder die arabischische Bevölkerung haben wir in Jisr keine gehört, man hat sich Zeit genommen, uns die komplexe Situation ausführlich zu erklären.
Es wird in meiner Generation viel gejammert, unser Leben sei so langweilig, die Jobs zwar mühsam, aber gut bezahlt, der Wohlstand habe uns in eine Sinnkrise geführt, wirkliche Herausforderungen gäbe es keine mehr. Neta Hanien und Ahmed Juha haben gezeigt, dass man aus Karrieren auch aussteigen kann und mit viel Goodwill – Geld hatten sie anfangs überhaupt keines – das Leben einer ganzen Stadt verändern kann. Nicht schlecht, oder?
4. Dezember 2017
"Geht unter die Haut"
Sarah Bühlers Weinachtsgeschichte geht unter die Haut, denn solche "Zustände" gibt es mehr als wir glauben in Israel. Gott sei Dank gibt es Menschen, welche den Mitmenschen so akzeptieren wie er ist. Schwierigkeiten gibt es lediglich, wenn ein Paar sich nicht bewusst ist, dass man vor der Heirat absprechen muss, wie man das Leben meistern kann, wenn man Kinder möchte. Dies eine riesige Herausforderung für die Familie, doch es funktioniert denn, "wo ein Wille, da ein Weg", oftmals mit vielen Stolpersteinen.
Schön dass sich zwei Menschen der Herausforderung stellten und gemeinsam Gäste empfangen im versteckten Ort in Israel eine Oase "Juhas Guest House" eröffnet haben. So sehen wir: Es gibt doch noch Wunder auf unserem Erdball.
Yvonne Rueff-Bloch, Basel