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"Zur Zitter-Partei geworden": Einstige Parteifreundinnen Maag, Graf
Grüne Zellteilung mit schrillen Nebengeräuschen
Spaltpilz Wiedemann zum Trotz – die Baselbieter Grünen haben Grund, in sich zu gehen
Von Peter Knechtli
Die grüne Liestaler Politikerin Esther Maag befand sich am 18. März in den Bergen von Mallorca beim Fasten und Meditieren, als sie einigen führenden Grünen im fernen Baselbiet eine Rückzugs-Nachricht mailte: "Nach reiflicher Überlegung" habe sie sich dazu entschlossen, "nicht für den Nationalrat zu kandidieren, damit ich meine Kräfte und Ressourcen für fruchtbare unternehmerische Aufgaben einsetzen kann".
Genau drei Wochen später sass Esther Maag mit den führenden Köpfen der neuen grünen Konkurrenz-Partei um Jürg Wiedemann an einem Tisch, um ihre neuste Aufgabe zu verkünden: Ihre Nationalrats-Kandidatur auf der Liste der "Grünen-Unabhängigen". Die jüngste grüne Partei des Baselbiets war nur wenige Tage zuvor gegründet worden und hat die 51-Jährige, immer zu spontanen Aktionen aufgelegt, offenbar frisch beflügelt.
Für die bis zu den Landratswahlen vom Februar auf einer scheinbaren Erfolgswelle reitenden Grünen war diese Ankündigung ein weiterer Schlag: Durch Parteiausschluss verloren sie mit Wiedemann erst ihren begabtesten Egotrip-Artisten, dann wechselte mit Esther Maag eine Exponentin die Front, die ihre Karriere in der Partei der "Grünen Baselland" gemacht hat, nach ihrer zwölfjährigen Landratstätigkeit 2008 aber von der politischen Bildfläche verschwand.
"Journalisten erlebten die Öko-Kämpfer
als eine Art geschlossene Gesellschaft."
In den Wahlen vom Frühjahr, in denen die einstige Landratspräsidentin mit einer Kandidatur im Wahlkreis Waldenburg ihr Comeback versuchte, schnitt sie enttäuschend ab. Doch bis vor kurzem ist sie eine Identifikations-Figur der Öko-Partei geblieben, die nach geglücktem Sprung von Isaac Reber in die Regierung vor vier Jahren über Nacht zur parlamentarischen Schrumpf-Kraft geworden ist: Im Februar verlor sie vier von zwölf Sitzen, nach Wiedemanns Ausschluss und der Abwendung Regina Werthmüllers ist die Fraktion der Grünen gerade noch sechs Mitglieder stark, einen Sitz über dem Quorum.
Das Absacken auf den Status der beschränkten Bedeutung ist nicht nur dem autonomen Wüten zuzuschreiben, mit dem Wiedemann seinen Ausschluss regelrecht provoziert hat. Es ist auch die Folge einer fatalen Selbstgefälligkeit. Es genügt nicht, die grüne Effizienz im Parlament anhand einer Rekord-Zahl an Interpellationen, Postulaten und Motionen nachzuweisen, mögen sie auch überdurchschnittlich erfolgreich gewesen sein. Die hingebungsvoll gepflegte Vorstoss-Bewirtschaftung hat weder die nötige Wirkung über Mauern des Parlaments hinaus noch vermag sie die Erwartungen des grünen Elektorats zu erfüllen: Es fehlten das ökologische Leit-Thema, die lokale Verankerung und Aktivität – auch während der Legislatur, und nicht nur im Wahlkampf –, die Originalität und Frischheit.
In der Öffentlichkeit waren die Grünen in ihrer Rolle als Regierungspartei schlicht nicht mehr wahrnehmbar. Oder dann verrannten sie sich heillos als Speerspitze der erfolglosen Befürworter einer Kantonsfusion – nachdem einige Jahre zuvor ausgerechnet Aushängeschild Esther Maag eine nordwestschweizerische Gebietsreform verlangt hatte. Journalisten erlebten die Öko-Kämpfer als eine Art geschlossene Gesellschaft, die es vor lauter politischer Korrektheitspflege scheinbar nicht nötig hielt, in eigener Sache auch öffentlich Fragen zu stellen oder auch nur andeutungsweise innerparteiliche Spannungen zur Rolle der Parteiführung oder zur ökopolitischen Enthaltsamkeit ihres Regierungsrats Isaac Reber transparent zu machen.
Dem Sicherheitsdirektor, der verwaltungs- und auch regierungsintern als angenehme Person gelobt wird und an dessen Arbeit nichts auszusetzen ist, ist ein zentraler Vorwurf nicht zu ersparen. Es genügt nicht, im Wahlkampf den grünen Regierungsanspruch zu erheben und während vier Jahren – von Parteileitung und Basis offensichtlich geduldet – eine Politik zu betreiben, die nicht die Spur eines grünen Impulses erkennen liess. Regieren heisst nicht, Parteipolitik fortzusetzen, aber Regieren heisst auch nicht, sein politisches Kredo im Vorzimmer abzugeben. Kollegialitätsprinzip in Ehren: Bei Sabine Pegoraro (FDP), bei Anton Lauber (CVP), bei Thomas Weber (SVP) und selbst bei Urs Wüthrich (SP) blieb die parteipolitische Grundhaltung erkennbar.
Dem früheren Sissacher "Stächpalme"-Mitglied sei dringend geraten, in der zweiten Amtsperiode einige Stacheln wachsen zu lassen, die an seine politische Ursprungsbeziehung erinnern. Reber, bestrebt, als Teamplayer überparteilich zu wirken, hat mit seiner recht erfolgreichen Wiederwahl bei den Bürgerlichen gepunktet und die Akzeptanz im Volk verstärkt, aber gleichzeitig das Profil seiner Partei verwässert. Wenn der Stallgeruch eines Kandidaten im Amt aber nicht mehr spürbar ist, dann kann das Regierungs-Mandat auch per Landeskanzlei an einen am gemeinwohl-orientierten Fussballmanager vergeben werden.
So schnell kann es gehen: Kaum den Etablierten-Status erlangt, sind die Baselbieter Grünen zur Zitter-Partei geworden. Sie sind zwingend auf den Listenverbindungs-Partner SP angewiesen, können aber aus Stimmen-Kalkül auch die von den Genossen gehasste Wiedemann-Partei nicht völlig verschmähen, solange die Allianz-Verhandlungen im Gange sind. Aus der Dissidenten-Partei ist hinter vorgehaltener Hand die Meinung zu hören, die Geschäftsleitung der Grünen müsse zurücktreten.
Die Nervosität in der Führung der Grünen ist mit Händen zu greifen. Fraktionschef Klaus Kirchmayr, spätestens seit Rebers Wahl die dominierende Stimme der Grünen, ist auffällig still geworden. Der Konflikt ist Chefinnen-Sache geworden: Endlich vernehmen wir die Meinung der Parteivorsitzenden Florence Brenzikofer.
"Der Stern der Biobäuerin Maya Graf
ist etwas verblasst."
In diesem Wahljahr und in absehbarer Zukunft geht es um viel. Es geht zu allererst um die Wiederwahl von Maya Graf als Nationalrätin, die plötzlich keineswegs mehr als Selbstläuferin erscheint wie in vergangenen Jahren. Der Stern der 53-jährigen Biobäuerin ist seit ihrem Nationalratspräsidium 2012/13 etwas verblasst und die jetzige, von schrillen Tönen begleitete grüne Zellteilung trägt nicht gerade zur Leuchtkraft bei.
Das färbt direkt auf Ambitionen möglicher Thronfolger ab, die als Nachrückende hoffnungsvoll in den Startlöchern zum Sprung in den Nationalrat stehen. Innerhalb der kommenden Amtsperiode muss sich Maya Graf zur Aspiration auf den Baselbieter Ständeratssitz offiziell bekennen. Allerdings ist inzwischen nicht mehr sicher, dass bürgerliche Kandidaten gegen Graf chancenlos bleiben, wenn SP-Ständerat Claude Janiak (66) dereinst abtreten wird. Doch bevor das fröhliche Nachrücken stattfinden kann, muss die Hauptdarstellerin des Dokumentarfilms "Mais im Bundeshaus" im Herbst erst einmal die Nationalratswahl schaffen.
Die Aussichten dazu sind nicht mehr ungetrübt, seit Mais im grünen Lager herrscht. Auslöser war Jürg Wiedemann mit seinen bildungspolitischen und wahlstrategischen Sololäufen, wie der mit einer eigenen Kampagne betriebenen Unterstützung der FDP-Regierungsrats-Kandidatin Monica Gschwind – erst noch am selben Tag, an dem die Grünen ihre Wahlkampf-Medienkampagne zündeten.
Wiedemann erscheint mir ambivalent, einige nannten ihn schon eine "unguided missile": unerbittlich durch seine eigenen bildungspolitischen Interessen und Ambitionen getrieben, schwierig in die Fraktion zu integrieren, Hang zur Koketterie. So versucht er immer wieder, seine faktische Rolle als Spiritus Rector seiner 22-jährigen persönlichen Mitarbeiterin und früheren Schülerin Saskia Olsson zuzuschieben – beispielsweise, indem er sie an der letzten Medienkonferenz unter diskretem Gelächter der Journalisten scheu fragte: "Darf ich auch mal was sagen?" Da ist aber der andere Jürg Wiedemann: ein unerhört fleissiger, begabter und hartnäckiger Taktierer, der in seinem Privatleben jede Form von Sinnlichkeit aus Interpellationen, Initiativen und Interventionen zu schöpfen scheint und Beamte mit vierseitigen Vorstössen und zwei Dutzend Fussnoten in die Verzweiflung treibt.
Mathematiker Wiedemann geht, wie beim klandestinen Aufbau seiner Parallel-Partei, planmässig vor, obschon oder gerade weil ihm nach eigener Aussage das hierarchieflache und unformalistische Politisieren liegt. Wie er seinen Partei-Rauswurf förmlich erzwang und auf schwerwiegende Vorwürfe der grünen Nomenklatura sogar Verständnis zeigte, ohne auch nur mit einem Vorwurf zu kontern, wie er die Pläne seiner Parteigründung und des Fraktionswechsels Schlag auf Schlag scheibchenweise bekanntgab, kann nur das Ergebnis eines ausgeklügelten Masterplans sein.
"Drei grüne Parteien
erträgt das Baselbiet auf Dauer nicht."
Die Frage bleibt, wie stark der Anhang des derzeit meistgenannten Baselbieter Politikers ist. Die reine Personaldecke der bekennenden "Grünen-Unabhängigen" dürfte relativ dünn sein. Aber die mit der Partei lose verbundene Anhängerschaft der "Starken Schule Baselland" und die selbst deklarierte Zahl von 2'000 Adressen dürften einen nicht zu unterschätzenden logistischen und finanziellen Rückhalt darstellen, der die Grünen nicht gänzlich kühl lassen kann, mögen linke Analytiker noch so scheinbar unbeeindruckt von einem Wähleranteil von gerade mal "ein, zwei Prozent" ausgehen.
Wer am Wahltag zu den Gewinnern und zu den Verlierern zählen wird, ist heute noch nicht abschätzbar. Zu viel an politischen Allianzen oder Naturkatastrophen kann die politische Grosswetterlage bis im Oktober noch verändern, zu stark ist die grüne Parteienlandschaft in Abgrenzungsriten verstrickt, zu unabsehbar ist die Dynamik, die Wiedemann mit seinen Winkelzügen noch befeuern wird.?
Drei grüne Parteien erträgt das Baselbiet auf Dauer nicht. Doch wohin geht die Reise? Fusionieren die Grünen-Unabhängigen mit den Grünliberalen – oder umgekehrt? Wird Wiedemann dereinst gar Nachfolger von Martin Bäumle? Oder kommt es eines Tages zur grossen Versöhnung der Dissidenten mit den Grünen, zur Fusions-Initiative in eigener Sache?
Derzeit ist noch nichts absehbar, aber auch nichts auszuschliessen. Sicher ist nur, dass keine der am grünen Zerwürfnis nicht beteiligten Parteien Grund zur Häme hat: Früher oder später droht auch ihnen, von Eruptionen erfasst zu werden.
Bericht vom Dezember 1993 über den damaligen Baselbieter Grünen-Krach
13. April 2015
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