Werbung

© Foto by Anna Wegelin, OnlineReports.ch
"Ich habe keine Zukunft": Asylbewerber Mohammad Azzari

Asylbewerber Mohammad A.: "Meine Gefühle sind gestorben"

Was der gebürtige Afghane aus dem Baselbiet durchlebt, dessen Asylgesuch seit 32 Monaten hängig ist


Von Anna Wegelin


Gegen die viel zu lange Verfahrensdauer bei der Behandlung von Asylgesuchen setzt das Bundesamt für Migration mehr Personal ein. Doch der Afghane Mohammad Azzari* profitiert noch nicht von dieser hehren Massnahme. Der 28-jährige Asylsuchende aus dem Baselbiet wartet seit über zweieinhalb Jahren auf das behördliche Papier, das ihn aus einer unhaltbaren Situation befreien kann.


Mohammad Azzari spricht tadelloses Hochdeutsch. Dabei ist er erst seit gut zweieinhalb Jahren in der Schweiz und hatte zuvor nie eine andere Fremdsprache gelernt. OnlineReports trifft den 28-jährigen Asylsuchenden aus dem Baselbiet in der "Beratungsstelle für Asylsuchende der Region Basel" (BAS) zum Gespräch über das bange Warten und Verharren im Nichtstun, bis der endgültige Asylentscheid eintrifft. Die BAS befindet sich in der Nähe des Spalentors in Basel.

Eigentlich trägt der sanftmütig wirkende Mann mit Baseballmütze, Ohrschmuck und lässiger Umhängetasche einen anderen Nachnamen als denjenigen, den er heute trägt. Doch er hatte das Pech, einen Hasara zum Vater zu haben. Die persischsprachigen Hasara sind eine ethnische und eine konfessionelle Minderheit und werden in Afghanistan immer wieder Opfer von Diskriminierung, besonders durch die paschtunische Elite.

Mohammad floh als Dreijähriger mit seinen Eltern und fünf Geschwistern nach Iran. Dort erging es seiner Familie, die ihr Hab und Gut in Afghanistan zurücklassen musste, nicht besser. Zuhause fehlte es an allem, ständig musste der Wohnort gewechselt werden, "wegen meinem Vater", so Mohammad, der "für ich weiss nicht genau was" aktiv gewesen sei.

Die Ehre verloren

Als Mohammad sieben Jahre alt ist, stirbt seine Mutter bei einem Verkehrsunfall. Der Vater, den Bombensplitter im Rücken plagen, die er sich im Krieg in Afghanistan zugezogen hat, kommt über ihren Tod nicht hinweg und stirbt wenige Jahre später ebenfalls. Und dann das: Mohammads kleinere Schwester, die damals neun Jahre alt ist, kehrt nicht von der Schule nach Hause. Nach einer Woche wird sie völlig verstört auf der Strasse gefunden. Sie wurde von vier Männern in einem Auto entführt. "Sie machten mit ihr, was sie wollten", so Mohammad: "Bei uns spielt die Ehre eine zentrale Rolle."

Er meldete das Verbrechen der Polizei. Doch die habe nichts unternommen, erzählt er, und ihn dafür drei Tage ins Gefängnis gesteckt und gepeinigt. "Ich wurde wie ein Tier behandelt, weil ich Afghane bin." Dabei fühle er sich im Grunde genommen gar nicht als ein solcher: "Ich habe ja kaum in meinem Land gelebt."

Ständig auf der Flucht

"Wir hatten immer Angst", blickt er scheinbar emotionslos auf seine Kindheit zurück: "Ich bin ständig auf der Flucht gewesen und hatte es schwierig, bis jetzt." Jetzt, das ist das zermürbende Warten auf einen endgültigen Asylentscheid. Seit zwei Jahren und bald acht Monaten übt er sich in Geduld. "Ich will leben!", sagt er mit überraschender Heftigkeit. Er habe ausgerechnet, wie viele Tage, Stunden, Minuten er schon gewartet habe: "Manchmal denke ich, jetzt werde ich langsam verrückt."

Er harrt trotzdem nicht der Dinge und will die Aufnahmeprüfung bei "Link zum Beruf" machen, ein Lehrangebot für erwachsene Personen aus den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft, die berufsbegleitend einen staatlich anerkannten Schulabschluss auf der Sekundarstufe I erwerben. "Aber ich habe ja gar keine Zukunft", meint er schulterzuckend.

Bei seiner Ankunft in der Schweiz im November 2009 habe er noch viel Tatendrang und Lebenslust verspürt. Damals muss er sich seine Deutschkenntnisse zugelegt haben: vor allem im Selbststudium, aber auch mit Unterstützung von afghanischen Freunden in der Region und in Sprachkursen im Kleinbasler Internetcafé "Planet 13" und "in einer Kirche bei der Haltestelle Habermatten in Riehen", so der junge Mann, der im übrigen kein religiös praktizierender Muslim ist. Doch jetzt fehle ihm die Lust zu allem, erzählt er: "Wenn ich ehrlich bin, sind meine Gefühle gestorben."

Angst vor der Infotafel

Mohammad hat eine N-Bewilligung und wohnt in einem Durchgangsheim für Asylsuchende. Jedesmal, wenn er im Heim an der Infotafel mit behördlicher Post für die Insassen vorbei gehe, erzählt er, überkomme ihn ein beklemmendes Gefühl: Vielleicht treffe ja endlich der Asylentscheid ein.

Als Mohammad in die Schweiz kam, hatte er eine mehrjährige Odyssee hinter sich, die ihn über die Berge in die Türkei, über Land nach Griechenland und mit dem Schiff nach Italien geführt und ihn zeitweilig zu einem Obdachlosen gemacht hatte. Denn er war auf der Suche nach seiner kleinen Schwester: Ein Freund von Mohammad hatte das geschändete Mädchen nach Istanbul mitgenommen. Der Freund wurde vor der Weiterreise nach Griechenland von der Polizei aufgegriffen. Von Mohammads kleiner Schwester fehlt bis heute jede Spur. Aber Mohammad ist überzeugt, dass sie in Europa ist, "vielleicht in Baku", lebend oder tot.

"Das Schlimmste ist, du weisst nicht, was kommt", beschreibt er seine momentane Lage. Er versuche, das Beste aus seiner Situation zu machen, sagt Azzari, der dem vorgeschriebenen Nichtstun auch entgegenwirkt, indem er in den Containern der Oekumenischen Seelsorge für Asylsuchende beim Zoll Otterbach als Freiwilliger aushilft: "Für Menschen da zu sein, denen es viel schlechter geht als mir, hilft, meine eigene Situation zu vergessen", erzählt er.

Was wird Mohammad tun, wenn der endgültige Asylentscheid eintrifft? "Meine Schwester suchen", antwortet er.

 

* Richtiger Name der Redaktion bekannt

7. Juni 2012


 Ihre Meinung zu diesem Artikel
(Mails ohne kompletten Absender werden nicht bearbeitet)

Was Sie auch noch interessieren könnte

Kitas in Baselland: Personal und Eltern wandern in die Stadt ab

26. März 2024

Eine Kita-Allianz will verhindern, dass die Situation noch prekärer wird.


Reaktionen

Mustafa Atici und Luca Urgese
im grossen Streitgespräch

24. März 2024

Wie wollen die Regierungskandidaten
die Uni-Finanzierung sicherstellen?


Reaktionen

Regierung kontert den
Herr-im-Haus-Standpunkt

22. März 2024

Peter Knechtli zur Unterschutz-Stellung
der verwüsteten Sissacher Tschudy-Villa.


SP wirft Lauber missbräuchliche Budgetierung vor

20. März 2024

Minus von 94 Millionen: Baselbieter Regierung plant "Entlastungsmassnahmen".


Reaktionen

Was bedeutet der SVP-Streit
für die Büza?

12. März 2024

FDP und Mitte schätzen die Zusammenarbeit mit SVP-Chef Dominik Straumann.
 


Tschudy-Villa steht jetzt
unter Denkmalschutz

12. März 2024

Der Eigentümer muss das teils abgerissene Gebäude in Sissach wieder aufbauen.


Roger Blum wirft bz
Besprechungs-Boykott vor

8. März 2024

Relevante Ereignisse bleiben in Basler
Leitmedien immer häufiger unbeachtet.


Reaktionen

Zerwürfnis in
der Baselbieter SVP

7. März 2024

Präsident Dominik Straumann soll im April abgesetzt werden.


Bruderholz-Quartier blockiert Neubau der Tramstrecke

6. März 2024

Trotz Plangenehmigung kann das Projekt
nicht realisiert werden.


Reaktionen

Gemeindewahlen Baselland:
Niederlagen für den Freisinn

3. März 2024

In Waldenburg verpasst Gemeindepräsidentin Andrea Kaufmann die Wiederwahl. 


www.onlinereports.ch - Das unabhängige News-Portal der Nordwestschweiz

© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.

Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigene Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.

Auf dieser Website gibt es Links zu Websites Dritter. Sobald Sie diese anklicken, verlassen Sie unseren Einflussbereich. Für fremde Websites, zu welchen von dieser Website aus ein Link besteht, übernimmt OnlineReports keine inhaltliche oder rechtliche Verantwortung. Dasselbe gilt für Websites Dritter, die auf OnlineReports verlinken.

Veranstaltungs-Hinweis

 

Ein zärtlicher Irrsinn

Nach achtjähriger Abwesenheit kehrt Avery Sutton mit seiner Verlobten Gillian zu seiner Familie zurück. Was von da an passiert, muss man gesehen haben.

Mit "37 Ansichtskarten" von Michael McKeever winkt den Zuschauerinnen und Zuschauern eine zauberhaft schwarze Komödie mit berührenden Momenten und angenehmer Unterhaltung. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Vorverkauf hier:
www.theater-rampenlicht.ch

https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif
"Der neue Eingang zum Birsigparkplatz wird der Ersatzneubau des Heuwaage-Hochhauses bilden."

bz
vom 26. März 2024
https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif

Wer bildet was oder wen?

RückSpiegel


Die Volksstimme greift die OnlineReports-Recherche über das Aus des Textildruck-Unternehmens Permatrend auf.

Im Bericht über "Unruhe am Regioport" bezieht sich Bajour auf die OnlineReports-Ursprungsrecherche aus dem Jahr 2018.

Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Artikel über die Kantonsfinanzen im Baselbiet auf OnlineReports.

Die bz verweist in einem Bericht über die Neuausrichtung der Vorfasnachts-Veranstaltung Drummeli auf einen Artikel aus dem OnlineReports-Archiv.

Die Basler Zeitung zitiert in einem Leitartikel über die SVP aus OnlineReports.

Baseljetzt bezieht sich in einer Meldung über den Rücktritt von Ralph Lewin als SGI-Präsident auf OnlineReports.

Die Basler Zeitung nimmt die OnlineReports-Recherche über den blockierten Neubau der BVB-Tramstrecke über das Bruderholz auf.

Die Basler Zeitung und Infosperber übernehmen die OnlineReports-Meldung über den Tod von Linda Stibler.

Die bz zitiert den OnlineReports-Artikel über die Wiedereröffnung des Gefängnisses in Sissach.

Baseljetzt erzählt den OnlineReports-Artikel über die Räppli-Krise nach.

Das Regionaljournal Basel, Baseljetzt, BaZ und 20 Minuten vermelden mit Verweis auf OnlineReports den Baufehler bei der Tramhaltestelle Feldbergstrasse.

Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Interview zu den Gemeindefusionen auf OnlineReports.

persoenlich.com und Klein Report vermelden mit Verweis auf OnlineReports die Personalrochade bei Prime News.

Die Volksstimme schreibt über die Wahl von Claudio Miozzari zum Grossratspräsidenten von Basel-Stadt und zitiert dabei OnlineReports.

In einem Artikel über die Leerstandsquote bei Büroflächen in Basel nimmt die bz den Bericht von OnlineReports über einen möglichen Umzug der Basler Polizei ins ehemalige Roche-Gebäude an der Viaduktstrasse auf.

Das Regionaljournal Basel und die bz berichten über die Bohrpläne der Schweizer Salinen im Röserental und beziehen sich dabei auf OnlineReports.

Weitere RückSpiegel

Werbung






In einem Satz


Der Baselbieter Regierungsrat hat Raphael Giossi zum Nachfolger des langjährigen kantonalen Bieneninspektors Marcel Strub gewählt.

Cyril Bleisch übernimmt bei den Jungfreisinnigen Baselland das Präsidium von Lucio Sansano.

Die Basler Sozialdemokraten haben die SP queer Basel-Stadt gegründet und als neues Organ in den Statuten der Partei verankert.

Eiskunstläuferin Kimmy Repond und Wasserfahrer Adrian Rudin sind Basler Sportlerin beziehungsweise Basler Sportler des Jahres.

Jean-Luc Nordmann übergibt das Präsidium der Stiftung Tierpark Weihermätteli per 1. Januar 2024 an Martin Thommen.

Iris Graf steigt von der Projektleiterin und akademischen Mitarbeiterin der Baselbieter Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern zur Leiterin auf.  

Sonja Kuhn,
ehemalige Co-Leiterin der Abteilung Kultur Basel-Stadt, ist neu Präsidentin der SRG Region Basel.

Florian Nagar-Hak und Saskia Bolz übernehmen die Leitung des Gesundheitszentrums Laufen, das zum Kantonsspital Baselland gehört.

Mohamed Almusibli übernimmt ab März 2024 die Direktion der Kunsthalle Basel von Elena Filipovic.

Marilena Baiatu ist neue Kommunikationsbeauftragte der Staatsanwaltschaft im Kanton Baselland und ersetzt Thomas Lyssy, der Ende November pensioniert wird.

 

Mitte-Landrat Simon Oberbeck folgt am 1. August 2024 als Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Schifffahrtund Hafenwirtschaft auf André Auderset.

Die Junge SVP Basel-Stadt hat Demi Hablützel (25) einstimmig für zwei weitere Jahre als Präsidentin wiedergewählt.

Dominic Stöcklin wird neuer Leiter Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung von Basel Tourismus.

 

Samir Stroh, aktuell Gemeindeverwalter in Brislach, übernimmt Anfang Mai 2024 die Leitung von Human Resources Basel-Stadt.

Das Sperber-Kollegium hat Sterneköchin Tanja Grandits zur "Ehrespalebärglemere 2023" ernannt.

Der mit 50'000 Franken dotierte Walder-Preis geht dieses Jahr an Konrad Knüsel, den Präsidenten des Vernetzungsprojekts Rodersdorf und des Naturschutzvereins Therwil.

Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).