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© Foto by Aurel Schmidt, OnlineReports.ch
Heftiger Ideenwettstreit statt Forderung nach AusgewogenheitWarum eine breite Diskussion notwendig ist, damit die offene Gesellschaft die besten Lösungen finden kann Von Aurel Schmidt Ausgewogenheit ist ein Fetischbegriff. Fetische sind Beschwörungsobjekte, mit denen böse Geister gebannt, vertrieben und vernichtet werden sollen. Wer den Begriff verwendet, will eine andere Meinung, die von der eigenen abweicht, heruntermachen.
"Jede profilierte Meinung ist unausgewogen Dass alle Menschen gleicher Meinung wären, erwartet niemand. Also wird es immer verschiedene Auffassungen geben. Jede profilierte Meinung ist unausgewogen, und jede steht im Wettstreit mit allen anderen. Das wäre das beste, aber das ist keine Frage der Ausgewogenheit. Eine Einschränkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ist nicht erstrebenswert. Das Ziel besteht immer in einer Zunahme an Erkenntnis. Es kommt also darauf an, zukunftsweisende Ideen anzuregen, die im Prozess der Meinungsbildung laufend weiterentwickelt werden können – und nicht darauf, recht zu haben.
"Alle Themen unterliegen einer In Fragen der Immigration, des Föderalismus, der Beziehungen der Schweiz zur EU kann es divergierende Auffassungen geben. Auch über die Wölfe im Wallis, auch über Religionen, auch über einen neuen Kanton in der Nordwestschweiz. Themen dieser Art unterliegen einer permanenten diskursiven Evolution, ohne dass eine Seite das Monopol auf die richtige Meinung beanspruchen könnte. Die Schweiz geht nicht unter, wenn die anderen einmal recht bekommen.
"Zwischen links und rechts hat Zwischen linker und rechter Wagenburg steht der kritische, informierte Zeitgenosse – oder er geht, wie der Schriftsteller Herbert Meier einmal gesagt hat. Den Dingen auf den Grund zu gehen, ist unerlässlich, um einen klugen, tragfähigen Entscheid zu treffen. Der französische Soziologe Alain Touraine hat von "le retour de l'acteur" gesprochen, vom Auftreten des "Akteurs", des Handelnden, der sich gegen die "programmierte Gesellschaft" wendet. Ergänzend dazu könnte man sagen, dass zwischen links und rechts sich die Zivilgesellschaft positioniert hat.
"Konflikte und Dissens sind produktiver Dies alles kann unter den gegebenen Voraussetzungen nicht heissen, keine Meinung zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Konflikte (aber nicht Konfrontationen) sind notwendig für die Homöopathie der offenen Gesellschaft. Dissens ist produktiver als Konformismus. 9. März 2011
"Eine solche Schweiz hätte Ausstrahlungskraft" Heftiger Ideenwettstreit ist gut – wenn sich wirklich Ideen gegenüberstehen! Wenn aber die einen Ideen für eine bessere Zukunft haben, die anderen statt dessen aber Träume von einer besseren Vergangenheit? Und beiden wiederum der Sinn für die lebendige Gegenwart des freien, initiativen Menschen abgeht, für den wiederum eine dritte Partei sich stark machen möchte – allerdings ideenfrei? Dann wäre nicht Ideenwettstreit gefragt, sondern vielmehr ein Lernen vom anderen auf denjenigen Lebensfeldern, die einem selber bisher entgangen sind. Die Politlandschaft der Schweiz stellt sich dann auch eher als Dreieck dar denn als Polarität von rechts und links.
Es gibt ja wirklich diese Parteien, im Wesentlichen zwei, die sich über Missstände Gedanken machen und Lösungen suchen. Ideen also. Auch der heftige Ideenwettstreit wird hier gepflegt, und so sind diese Parteien nicht zuletzt für Intellektuelle attraktiv: Bei den anderen Parteien bekommen sie ja eh kein Gedankenfutter! Leider geht diesen Parteien weitgehend der Sinn für das Potential des menschlichen Individuums ab. So möchten sie ihre Ideen am liebsten durch Staatsgewalt, durch Beglückung von oben, den Menschen aufzwingen. Potentiell kleine Despoten also, die allerdings in der Schweiz bisher keine grossen werden können, weil sie nicht mehrheitsfähig sind und darum vor allem als das Salz in der Suppe wirken. Salz ist dringend nötig, aber man kann sich davon nicht ernähren.
Eine andere Partei gibt es, die nicht an die Vernunft, sondern in erster Linie an die Träume der Menschen appelliert. Träume von einer früher besseren Schweiz, von einer friedlicheren, schöneren, von vergangenem Heldentum und von einer Zeit, als ferne Länder noch weit weg waren. Träume von einer Fortsetzung dieser Vergangenheit in die Zukunft. Und ist es nicht gut wenn die Menschen auch noch träumen können?
Allerdings sind Träume keine Wirklichkeit. Um sie lebenstauglich und zukunftsfähig zu machen, wäre intensives Nachdenken angesagt: In welcher Form könnten diese Träume in der heute ganz anderen Welt einen Platz haben? Ideen also, aber für die fühlt sich diese Partei nicht zuständig – im Gegenteil: Sie versbschiedet ihr Programm nach nur einer Stunde "Debatte"! Auch hier finden sich kleine Despoten, die aber vor allem gerne grosse wären. Diesem Ziel der reinen Machtausdehnung dienen denn auch alle tatsächlichen Aktionen dieser Partei und ihrer Protagonisten - von traumhaft keine Spur.
Die menschliche Freiheit und Initiative hat sich nur eine Partei wirklich auf die Fahnen geschrieben. Sie hat damit die Schweiz vor 150 Jahren stark geprägt und ihr verdanken wir viele unserer Institutionen. Leider hat sie sich wiederum von Träumen und Ideen weitgehend verabschiedet. Ein Mensch mit Ideen und zugleich Initiative ist ja bekanntlich ein Idealist, und ein solcher hat bei dieser Partei vor allem den Nimbus des Weltfremden – von den Träumern ganz zu schweigen! Realist ist hier nur wer ein einziges Ziel verfolgt: Die Vermehrung des eigenen Wohlstands. So ist also die Partei der Freiheit zur Partei der Raffgier degeneriert.
Auch in der Träumerpartei spielt Raffgier natürlich eine wichtige Rolle. Allerdings nicht als Idealismus-Ersatz, sondern als Mittel zum Zweck der Machtausdehnung. Beiden ist auch gemeinsam, dass Ideenwettstreit bei ihnen keine Rolle spielt, doch trotz oder gerade wegen diesen Gemeinsamkeiten sind sie eher Konkurrenten als Verbündete. Drum also Dreieck, und nicht Polarität. Muss ich irgendeine dieser Parteien noch mit Namen bezeichnen? Ich glaube kaum.
Meine Utopie wäre also viel mehr als eine Schweiz des heftigen Ideenwettstreits. Sie wäre eine Schweiz, wo Träume gepflegt werden, wo sie aber auch zu Ideen und Idealen weiter entwickelt werden (Stichwort Ideenwettstreit!). Und wo bei der Realisierung nie der Sinn dafür verloren geht, dass die einzige wirkliche Verwandlung immer nur aus der Initiative des freien Individuums kommt. Eine solche Schweiz hätte auch Ausstrahlungskraft in Europa und in die ganze Welt. Dann wäre es auch wirklich egal, ob wir der EU beitreten oder nicht. Klar, eine Utopie, aber es gibt auch reale Ansätze in diese Richtung: nicht bei Parteien, aber bei einzelnen Menschen. Cornelis Bockemühl, Basel "Auf zu neuen Denkformen" Vielen Dank für Ihren interessanten Artikel. Ich kann Ihnen nur zustimmen. Zur weiteren Vertiefung dieser Gedanken kann ich allen das Buch "Anders denken lernen" von der Philosophin Natalie Knapp empfehlen. Der Paradigmenwechsel vom mechanischen Weltbild aus dem 17. Jahrhundert zum Weltbild der Quantenphysik aus dem 20. Jahrhundert löst bei den meisten Menschen eine tiefe Verunsicherung aus. Die SVP schafft es, aus dieser Verunsicherung mit verlogenen einfachen Pseudorezepten (Schüren des Fremdenhasses, um das Reptilienhirn der verängstigten Zeitgenossen anzusprechen) politisches Kapital zu schlagen.
Ich bin Anhänger des Glaubens, dass wir mit der Fähigkeit unseres Neokortexes zur Vernunft und zu neuen Denkformen, uns aus dem gegenwärtigen Schlamassel der Angst und der Schwarz-Weiss-Malerei weiterentwickeln können. Schon Erasmus von Notredame hatte die Vision von echter Verständigung und somit Frieden. Mit Fremdenhass, Steuererleichterungen für die Reichen, mit sogenannten Sachzwängen und alten Mythen lösen wir keine gegenwärtigen und zukünftige Probleme. Lars Handschin, Basel |
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