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"Diese Ereignisse waren nicht konstruktiv": Basler SP-Vize Pfister
"Die Unzufriedenheit ist nicht einfach Wohlstands-Verwahrlosung"
Interview mit Pascal Pfister, dem Freiraum-Aktivisten und Vizepräsidenten der SP Basel-Stadt
Von Peter Knechtli
Unter der Jugend sei die Angst verbreitet, dass Stadtentwicklung nur noch für Gutbemittelte gemacht werde: Der Basler SP-Vizepräsident Pascal Pfister plädiert für eine Thematisierung des günstigen Wohnraums und für urbane Freiräume – aber zugleich auch für geregelte Verhältnisse und Strukturen.
OnlineReports: Herr Pfister, was lief schief am letzten Wochenende, als es neben der besetzten Voltamatte zu Feuer und Radale kam?
Pascal Pfister: Es gab eine Gruppe einer Minderheit an diesem Anlass, die es offenbar auf eine Konfrontation anlegte und ein Stück weit auch friedliche Besucher für ihre eigenen dubiosen Zwecke missbrauchte. Vielleicht spielte das schlechte Vorbild mit den Zürcher Event-Chaoten auch noch eine Rolle.
OnlineReports: Finden Sie, die Polizei hätte früher und härter eingreifen müssen?
Pfister: Ich kann das nicht abschliessend beurteilen. Aber es scheint, dass sie relativ spät eingegriffen hat. Ohne genaue Kenntnis möchte ich aber der Polizei kein schlechtes Zeugnis ausstellen.
OnlineReports: Halten Sie es für möglich, dass die rot-grüne Regierungsmehrheit die Polizei zu einer möglichst weitgehenden Duldung angehalten hat?
Pfister: Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Regierung Sachbeschädigungen tolerieren würde. Es gibt aktuell andere Zwischennutzungen, bei denen klare Rahmenbedingungen vereinbart wurden, zum Beispiel am Claragraben, wo um 22 Uhr Ruhe sein muss.
OnlineReports: Im Communiqué schreibt die SP, es sei nur "eine kleine Minderheit" gewesen, die sich "äusserst destruktiv" verhalten habe. Warum hat sich der Kern der "Revolta"-Besetzer nicht öffentlich von dieser Minderheit distanziert?
Pfister: Wer einen politischen Anspruch hat, muss sich schon erklären. Meine Erfahrung in den letzten Monaten war, dass wirklich der grosse Teil der Jungen sehr konstruktiv und viel realistischer agiert als jene, die zum Mittel der Gewalt griffen.
"Man muss jetzt erkennen, welche Probleme
hinter diesen Gewalt-Exzessen stehen."
OnlineReports: Sind Ihnen die politischen Ziele der "Revolta"-Okkupanten bekannt?
Pfister: Was ich an Plakaten oder aus sonstigen Mitteilungen las, umtreiben diese Leute Fragen der Verdrängung aus dem Quartier. Aber im Detail sind auch mir die Anliegen dieser Leute aufgrund fehlender Artikulation nicht ganz klar.
OnlineReports: Kennen Sie Namen von "Revolta"-Aktivistinnen und -Aktivisten persönlich?
Pfister: Nein. Ich habe im Rahmen der Juso die Vernetzung von Freiraum-Aktivisten vorangetrieben. Allerdings ist es schwierig, mit den "Revolta"-Leuten in Kontakt zu treten. Ich habe dies, offen gestanden, bisher auch gar nie versucht.
OnlineReports: Weshalb nicht?
Pfister: Es gibt derart viele Akteure und Projekte, mit denen wir konstruktiv zusammenarbeiten. Auf sie haben wir uns gestützt.
OnlineReports: Heisst das, die "Revolta"-Aktivisten seien nicht konstruktiv?
Pfister: Die Ereignisse vom letzten Wochenende waren es nicht. Sie haben dem Anliegen, das sicherlich legitim ist, eher geschadet als genützt. Auf der andern Seite muss man sagen, dass es in letzter Zeit europaweit verschiedene Ausschreitungen gegeben hat. Man muss jetzt diese Entwicklung gut analysieren und erkennen, welche Probleme hinter diesen Gewalt-Exzessen stehen.
OnlineReports: Ist es nicht auch ein Problem, dass die "Revolta"-Okkupanten anonym und gesichtslos auftreten und damit nur politische Wirkung erzielen, wenn es Zoff gibt?
Pfister: Das ist ein grosses Problem. Ich wünschte mir auch, dass man Vereine bildet mit Sprechern, die sich auch als Personen zu erkennen geben. Ich hoffte bis letztes Wochenende eigentlich, dass die tragischen Ereignisse um das Kinderspital bei den Aktivisten zu einem Umdenken führten.
"Es gibt die Angst davor, dass Stadtentwicklung
nur für Gutbemittelte gemacht wird."
OnlineReports: Sind sie jetzt enttäuscht oder waren Sie blauäugig?
Pfister: Ich bin nicht blauäugig. Man darf auch nicht vergessen, dass es diese Vorfälle in Zürich gab. Sie haben Leute, die Krawall als Programm haben, motiviert. Ein Abbruch des Dialogs ist aber nicht zielführend. Bei aller Abscheu gegenüber Gewalt muss man erkennen, dass in der Jugend eine gewisse Unzufriedenheit besteht, die allzu leichtfertig als Wohlstands-Verwahrlosung abgetan wird.
OnlineReports: Welches sind nach Ihrer Wahrnehmung die Forderungen der "Revolta"-Okkupanten?
Pfister: Es gibt ein Bedürfnis nach billigem Wohnraum und die Angst davor, dass die Stadtentwicklung nur noch für Gutbemittelte gemacht wird. Aber auch Freiräume sind spätestens seit der Schliessung des NT-Areals ein grosses und zentrales Anliegen der Basler Jugend und Junggebliebenen.
OnlineReports: Sagen Sie uns, was Sie genau unter "Freiraum" verstehen.
Pfister: Das ist ein Ort, an dem man relativ selbstbestimmt eigene Ideen und Projekte entwickeln kann, ohne einem Profit- und Konsumzwang unterworfen zu sein.
OnlineReports: Aus gewissen Äusserungen lässt sich schliessen, dass auch die Verdrängung von Mietern aus günstigem Wohnraum, in der Fachsprache "Gentrifizierung" genannt, kritisiert wird. Gibt es diese Verdrängung?
Pfister: Es gibt mindestens die Gefahr einer Gentrifizierung, wenn man nicht wieder vermehrt den günstigen Wohnraum für Familien, Geringverdiendende, Alte und Auszubildende zum Thema macht.
OnlineReports: Thomas Kessler, der Leiter der Basler Stadt- und Kantonsentwicklung, bestreitet das. Er sagte uns vor gut einem Jahr, Basel habe "kein Verdrängungsproblem". Redet die Behörde ein Problem schön?
Pfister: Meiner Meinung nach wäre in dieser Frage mindestens mehr Sensibilität angebracht. Die SP äusserte sich ganz klar dahingehend, dass im Rahmen der Stadtentwicklung mehr Einsatz für günstigen Wohnraum gefragt ist.
"Im Vergleich zu Städten wie Zürich und Genf
steht Basel vergleichsweise gut da."
OnlineReports: Wenn das so ist – weshalb sagt die SP nicht klar und deutlich: Basel-Stadt hat eben doch ein Verdrängungs-Problem?
Pfister: Unsere Analyse sagt, dass wir vergleichsweise gut dastehen im Verlgeich zu Städten wie Zürich und Genf, dass uns aber eine ähnliche Not an günstigem Wohnraum droht, wenn wir die Weichen jetzt nicht richtig stellen.
OnlineReports: Die Basler Juso reichten letzte Woche ihre Initiative "Lebendige Kulturstadt für alle" mit über 3'000 Unterschriften ein. In welche Richtung soll dadurch die Stadt verändert werden?
Pfister: Die Behörden sollen ganz klar verpflichtet werden, proaktiv und konstruktiv die Anliegen der Jungen aufzunehmen konkret im Bereich der Zwischen- und Umnutzungen, wo sich im Bereich des Hafenareals eine einmalige Chance zur Zwischennutzung bietet wie damals auf dem NT-Areal. Die andern Anliegen betreffen die Nutzung des öffentlichen Raums sowie einen niederschwelligen, finanziell günstigen Zugang zu Kultur.
OnlineReports: Ist es das, was die "Revolta"-Okkupanten auch wollen oder geht es Ihnen um städtischen Freiraum?
Pfister: Wenn es ihnen um einen selbstbestimmten Freiraum geht, in dem gewisse Regeln gelten, dann wollen sie das Gleiche. Unser Weg ist einfach der Weg der Demokratie.
OnlineReports: Die lebendige Kulturstadt ist das eine – das andere sind die Lärmimmissionen, gegen die sich Bewohner und Steuerzahler wehren. Wieviel Lärm darf ihnen zugemutet werden?
Pfister: Der Schutz vor Lärmimmissionen ist ein legitimes Anliegen. Es müssen – wie das Beispiel Claragraben zeigt – im Dialog für beide Seiten annehmbare Lösungen gefunden werden.
"Die Auflehnung am Voltaplatz ist der Ausdruck einer unbefriedigenden Situation."
OnlineReports: Ein Anrainer der Voltamatte, keineswegs ein Gegner einer kulturell-kreativen Besetzung, mass in seiner Wohnung am Sonntagmorgen um 2.40 Uhr hinter geschlossenen Fenstern an der Kraftstrasse eine Lautstärke von 65 Dezibel. Würden Sie persönlich eine solche Belästigung vor Ihrem Schlafzimmerfenster hinnehmen?
Pfister: Ausnahmsweise könnte ich damit leben. Aber es gibt für diese Lautstärken sicher bessere Standorte als Wohngebiete.
OnlineReports: Können Sie verstehen, dass unter Mietern, denen immer wieder der Schlaf geraubt wird, Wut hochkommt?
Pfister: Das kann ich nachvollziehen, vor allem, wenn sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit müssen. Ich kann nur sagen, dass gegenseitige Rücksichtsnahme wichtig ist. Die Auflehnung am Voltaplatz ist der Ausdruck einer unbefriedigenden Situation. Jetzt müssen gute Lösungen gefunden werden.
OnlineReports: Weshalb verschweigt die SP in ihrem Communiqué das Problem der Lärmbelästigung in einem Wohnquartier?
Pfister: Das war uns so nicht bewusst. Wir haben es übersehen.
26. September 2011
Weiterführende Links:
Der Interview-Partner
Pascal Pfister (34) ist seit knapp zwei Jahren Vizepräsident der SP Basel-Stadt. Er war am Aufbau der Juso Basel-Stadt zentral beteiligt. Der ausgebildete Ethnologe arbeitet als Sekretär der Gewerkschaft "Unia" im Kanton Aargau. Er wohnt im Gundeldinger-Quartier.
"Ein politisches Fundament anbieten"
Es besteht ein starkes Bedürfnis nach Freiraum und bezahlbarem Wohnraum. Chaotenaktionen wie letztes Wochenende wirken au solche legitime Forderungen destruktiv.
Die Juso Basel-Stadt hat die Kulturinitiative lanciert, damit es möglich sein kann in konstruktiver Zusammenarbeit mit den Behörden und der Regierungen Lösungen für Zwischen-und Umnutzungen zu finden. Wir möchten den Jungen und Kulturschaffenden u.a. ein politisches Fundament anbieten, damit Basel auch wirklich zur Kulturstadt wird.
Wie Pascal Pfister es richtig gesagt hat unterstützen wir konstruktive Kulturschaffende - diese Chaoten zähle ich weder zu Kulturschaffenden, noch zu politisch motivierten, sondern einfach zu Chaoten, die der Sache nur schaden!
Sarah Wyss, Basel
"Diese Chaoten haben keine politische Message"
Man kann jedem Mist einen ernsthaften Hintergrund verpassen und dann damit versuchen, gesellschaftspolitisch alles zu erklären. Hier ist doch aber klar: Gelangweilte Jugendliche hauen auf den Putz. Früher nannte man sie "Halbstarke"; aber das war noch zu einer Zeit, als sie von den Erwachsenen nachdrücklich und meist auch handfest zur Ordnung gerufen wurden; noch früher wurden sie zwangrekrutiert und durften dann dreinschlagen, soviel sie konnten.
Diese Chaoten haben keine politische Message; weder "Kultur" noch "Wohnungsnot" noch sonstwas. Hätten sie einen ehrlichen Grund zur Demonstration (und da gäbe es durchaus einige in unserer Schlafstadt), ständen sie zu ihrer Meinung; würden sich nicht feige, hinterhältig vermummen und so schon von Vorneherein gezielt gegen das Gesetz verstossen.
Manchmal frage ich mich: Wenn der Staat – wie hier – so offensichtlich auf sein Gewaltmonopol verzichtet – hat er es dann aufgegeben? Ist sich unsere Regierung eigentlich bewusst, dass das Gewaltmonopol ihr Pflichten auferlegt, und nicht einfach ein "Recht" des Rechtsstaates ist?
Peter Waldner, Basel