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"Geschichtsträchtiges wird denkbar": Aktuelle Baselbieter Regierung*
SVP, FDP, CVP, SP, GLP: Das Gerangel um die Ballmer-Nachfolge
Im Baselbiet bahnt sich durch den Rücktritt von FDP-Regierungsrat Adrian Ballmer Geschichtsträchtiges an
Von Peter Knechtli
Im Kampf um den frei werdenden Baselbieter Regierungs-Sitz von Adrian Ballmer (FDP) bahnt sich eine historische Wende an: Die Freisinnigen verlieren ein Mandat und vermutlich auch die traditionell von ihr verwaltete Finanzdirektion. Eine Auslegeordnung in acht Punkten.
1. Die FDP wird den Sitz preisgeben
Seit Jahrzehnten besetzen die Baselbieter Freisinnigen in der fünfköpfigen Kantonsregierung zwei Sitze. Derzeit sind es Regierungspräsidentin Sabine Pegoraro und Finanzdirektor Adrian Ballmer. Jetzt tritt Ballmer auf Ende des Amtsjahres zurück, so dass es für die FDP gälte, ihre bisherige Vorzugsstellung zu verteidigen. Schon am 3. Januar wird eine dringliche Delegiertenversammlung abgehalten, an der entschieden werden soll, "ob die Partei mit einer eigenen Kandidatur ins Rennen steigt oder zu Gunsten einer bürgerlichen Allianz eine SVP-Kandidatur unterstützt".
Diese Auswahl-Möglichkeit, die den Delegierten hier unterbreitet wird, ist rein rhetorisch. Die 15 Prozent-Partei FDP wird den Ballmer-Sitz nicht verteidigen wollen, sondern ihn jener Partei zugestehen, die ihn arithmetisch verdient: der SVP mit 24 Prozent Wähleranteil. Allerhöchstens könnte die Idee auftauchen, im ersten Wahlgang eine Aufwärm-Kandidatur zu nominieren, um sie im zweiten Wahlgang zu Gunsten der SVP zurückzuziehen. Diese Option ist aber unwahrscheinlich, da sie von der SVP als Misstrauensvotum verstanden würde und dem bürgerlichen Anspruch zuwider liefe, einen SVP-Kandidaten über alle Parteigrenzen hinweg geschlossen zu unterstützen. Denn: Ist die Allianz der traditionellen bürgerlichen Parteien von Anfang an brüchig, wird die SVP-Bewerbung chancenlos sein, so moderat der Kandidat auch sein möge.
2. Der Deal der FDP mit der SVP
Allerdings wird die FDP ihren zweiten Sitz nicht ohne Preis räumen. Sie dürfte den SVP-Kandidaten in dieser Ersatzwahl und auch bei den nächsten Gesamterneuerungswahlen nur unterstützen, wenn die SVP in zweieinhalb Jahren auch die FDP-Kandidatur unterstützt. Mehr noch: Wenn die SVP bei einem Rücktritt des sozialdemokratischen Ständerats Claude Janiak auch eine freisinnige Ständerats-Kandidatur unterstützen wird. Im Vordergrund der Diskussionen steht Sabine Pegoraro, die bei den letzten Regierungsratswahlen das Spitzenergebnis erzielte. Sie allerdings könnte es mit einer ernsthaften Konkurrentin aus dem grünen Lager zu tun bekommen: Mit Maya Graf, der aus einer SVP-Familie stammenden amtierenden Nationalratspräsidentin, die weit über Rot-Grün hinaus auf Sympathien zählen kann.
3. Ohne CVP geht gar nichts
Doch FDP und SVP können sich noch so sehr auf gemeinsames Kämpfen einschwören – wenn die CVP nicht ins Boot genommen wird, nützt kein Schulterschluss. Die bürgerliche Regierungs-Mehrheit im Baselbiet kann nur verteidigt werden, wenn alle drei Parteien wie in den letzten vier Jahren bis 2007geschlossen auftreten und sich mobilisieren lassen. Im Ziel der Machterhaltung sind die SVP, FDP und CVP im ureigensten Interesse einig: Fällt die Mehrheit, fliegt eine der Parteien aus der Regierung.
Das weiss auch die CVP. Die Mitte-Partei wird sich zurückhalten und nichts unternehmen, was SVP und Freisinnige auch nur ansatzweise als schädlich betrachten könnten. Denn wenn der christdemokratische Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektor dereinst an den Rücktritt denkt, wird die 9,3 Prozent-Partei CVP für ihr Verbleiben in der Regierung auf die Unterstützung von SVP und FDP angewiesen sein können. Denn auf die Vier-Parteien-Allianz der "Starken Mitte" (mit GLP, EVP und BDP) ist nur beschränkt Verlass, wie die geplante GLP-Kandidatur vermutlich von Landrat Gerhard Schafroth zeigt. Der Pensionskassen-Experte sagt offen, dass für ihn im Falle einer Wahl nur die Finanzdirektion in Frage käme.
4. Die bürgerliche Allianz ist instabil
Bis 2007 führte die "Bürgerliche Zusammenarbeit" immer wieder zu Erfolgen, auch wenn die Brüche in der Allianz immer deutlicher wurden. 2011 bescherte der mit Abstand wählerstärksten bürgerlichen Partei SVP ein Waterloo, indem ihr Bau- und Umweltschutzdirektor Jörg Krähenbühl überraschend abgewählt wurde: CVP und FDP hatten ihn fallen lassen. Dafür schaffte es mit Isaac Reber der erste Grüne in die Baselbieter Regierung, und dies gleich im ersten Wahlgang.
In einer ganz heiklen Lage befindet sich derzeit die CVP: Sie wird entscheiden, wem ihre Loyalität gilt – dem SVP-Kandidaten oder dem Mitte-Kandidaten der Grünliberalen. Je nachdem, wie die CVP taktiert, könnte sich diese Partei schon im ersten Monat des neuen Jahres einer Zerreissprobe mit möglicherweise weitreichenden Folgen ausgesetzt sehen. Denn die SVP schöpft jetzt Hoffnung auf eine Rückkehr in die Regierung, was ohne CVP-Support sicher nicht gelingen wird. Anderseits kursieren unter den CVP-verbundenen Grünliberalen Hoffnung, dass bei den nächsten Gesamterneuerungwahlen zwei Sitze für die vereinte Mitte im Bereich des Möglichen liegen.
5. Der Kandidat der SVP
Sowohl FDP wie CVP haben unmittelbar nach Ballmers Rücktritts-Ankündigung zu verstehen gegeben, dass ein SVP-Hardliner nicht auf ihre Unterstützung zählen könne. Vermutlich wird sich die SVP an der Nominations-Versammlung von 17. Januar im eigenen Interesse auf einen gemässigten Kandidaten besinnen.
An Thomas de Courten fällt auf, dass er sich seit seiner Wahl als Nationalrat und als staatlicher Wirtschaftsförderer in der Tonlage etwas gemässigt hat. Bisher hat er sich bezüglich seinen Regierungs-Ambitionen erstaunlich zurückgehalten. Vermutlich wird er sich als Aufsteiger dann der Wahl stellen, wenn der Erfolg gewiss sein wird. Es könnte sein, dass er im aktuellen Fall daran zweifelt. Ebenso ist denkbar, dass er sich als frischgewählter Bundesparlamentarier und Wirtschaftsförderer erst einmal bewähren und profilieren will, bevor er zur Wahl in die Regierung bereit ist. De Courten hat ein Alter, das ein gewisses Zuwarten noch erlaubt. Am (betriebswirtschaftlichen) Rucksack fehlt es dem strammen Rünenberger SVP-ler nicht.
Wer sonst käme für die SVP in Frage? Landrat Thomas Weber, Fraktionspräsident Dominik Straumann und der frühere Landratspräsident Hanspeter Ryser sind im Gespräch.
6. Die SP wittert Morgenluft
Während sich die bürgerlichen Parteien derzeit in intensiven "Gesprächen" die Köpfe zerbrechen, wie sie die Dominanz in der Regierung erhalten wollen, sehen Sozialdemokraten und Grüne im Ballmer-Rücktritt erst recht die Möglichkeit, von der bürgerlichen Erosion und einem moderaten Links-Trend im Baselbiet zu profitieren und eine geschichtsträchtige Wende hin zu einer erstmaligen Rot-Grün-Regierungsmehrheit zu vollziehen.
Genannt wird nur ein Name: jener von SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. Er ist ohne Zweifel das Kraftpaket der Linken. Für den 52-jährigen Frenkendörfer und ehemaligen Kantonalpräsidenten, der schon vor fünf Jahren kandidierte, das absolute Mehr erreichte, aber als überzählig ausschied, ist die Zeit reif: Gelingt die Wahl kommendes Frühjahr nicht, dürfte er seine Regierungs-Ambitionen aufgeben. Nicht wenige Beobachter räumen dem dreifachen Familienvater mit evangelisch-methodistischem Glaubenshintergrund intakte Wahlchancen ein, zumal er keineswegs als "Bürgerlichenschreck" ("Basler Zeitung") wahrgenommen wird. Der Elektroingenieur gilt manchmal als etwas ruppig, aber umgänglich und debattierfreudig.
7. Wer übernimmt die Finanzdirektion?
Wenn Ballmer geht, entsteht eine weitere geschichtsträchtige Vakanz: Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden die Freisinnigen die traditionelle, jahrzehntelange Herrschaft über Finanzdirektion verlieren. Denn es ist nicht anzunehmen, dass Sabine Pegoraro, kaum hat sich die frühere Sicherheitsdirektorin in der Bau- und Umweltschutzdirektion eingelebt, schon wieder abspringt und in die Finanzdirektion wechselt, in der auch in den kommenden Jahren mit wenig optimistischen Finanz-Perspektiven kaum grosse Meriten zu holen sind.
Wer wird nächster kantonaler Kassenwart sein? Neben dem promovierten Juristen und Finanzer Schafroth hätte Nussbaumer als Verwaltungsratspräsident der Alternativen Bank sicherlich ein Flair für Zahlen. Das Beispiel von Eva Herzog in Basel-Stadt zeigt, dass auch eine Linke und eine Historikerin mit Köpfchen eine solide Finanzpolitik machen kann. Will heissen: Auch andere Parteien als die FDP verfügen über Köpfe, die dem schwierigen Amt gewachsen wären.
8. Das Jahr 2015 im strategischen Blickfeld
Die gegenwärtigen hektischen Absprachen unter den Parteien beschränken sich nicht bloss auf die Ersatzwahl kommenden März. Vielmehr ziehen sie auch die nächsten Gesamterneuerungswahlen und die nationalen Wahlen im Jahr 2015 ins Kalkül mit ein.
Selbst wenn Rot-Grün in ein paar Monaten die Regierungsmehrheit erlangte, wäre damit nicht automatisch sichergestellt, dass die neuen Machtverhältnisse die Wahlen in zweieinhalb Jahren überstehen würden. Denn schon in absehbarer Zeit dürfte der seit anderthalb Jahren in der Exekutive wirkende Grüne Reber amtsältester Baselbieter Regierungsrat sein – nämlich dann, wenn Urs Wüthrich (SP), Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektor Peter Zwick (CVP) und allenfalls auch Bau- und Umweltschutzdirektorin Sabine Pegoraro (FDP) ihre Sessel verlassen werden. Ebenso ist zu bedenken, dass in den nächsten Wochen entschiedene Nominationen und Support-Deklarationen auch nur taktischen Hintergrund haben können.
* Von links: Isaac Reber, Urs Wüthrich, Adrian Ballmer, Sabine Pegoraro, Landschreiber Alex Achermann, 2. Landschreiberin Andrea Mäder, Peter Zwick
29. Dezember 2012
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