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"Wir reagierten sofort": Museums-Politiker Morin
"Wir haben gar nichts unter dem Deckel gehalten"
Der Basler Regierungspräsident Guy Morin nimmt Stellung zum Führungs- und Ausgaben-Debakel am Historischen Museum
Von Peter Knechtli
Die massiven letztjährigen Verluste im Historischen Museum Basel – durch ein Leck an die Medien gelangt – sind für den Basler Regierungspräsidenten Guy Morin "sicher keine Staatsaffäre". Vielmehr werde der Fall jetzt, ein halbes Jahr vor den kantonalen Wahlen, "aufgebauscht", wie er im OnlineReports-Interview erklärt.
OnlineReports: Herr Morin, weshalb haben Sie die gravierenden Gründe der Trennung von Frau Jungblut so entschlossen unter dem Deckel gehalten?
Guy Morin: Wir haben gar nichts unter dem Deckel gehalten. Die Trennung erfolgte im August 2015 auf Grund von schwerwiegenden Personalproblemen im Historischen Museum. Die Abweichung vom Budget wurde dieses Frühjahr an der Jahresmedienkonferenz zur letztjährigen Rechnung ausgewiesen ...
OnlineReports: ... aber niemand hat's bemerkt und das Defizit wurde auch nicht explizit erwähnt.
Morin: Bei der Trennung von Frau Jungblut hatten wir vom Defizit noch gar keine Ahnung, weil das Jahr ja gar nicht abgeschlossen war ...
OnlineReports: ... bis erst kürzlich Einzelheiten aus dem Bericht der Finanzkontrolle ohne Ihr Dazutun öffentlich bekannt wurden.
Morin: Ich habe letzten September der Finanzkontrolle den Auftrag erteilt, einen Zwischenabschluss auf den 31. August 2015 durchzuführen. Aufgrund der Zahlen der Rechnung 2015 wollte die Geschäftsprüfungs-Kommission vom Präsidialdepartement Auskunft. Wir haben ihr diesen Bericht der Finanzkontrolle gegeben und die Massnahmen, die wir gemeinsam mit dem Museum getroffen haben, erläutert. Dann gingen Inhalte aus dieser Kommissionssitzung an die Öffentlichkeit.
OnlineReports: Hatten Sie letzten August schon einen Verdacht, dass das Museum knapp bei Kasse sein könnte?
Morin: Nein, die Vorjahre waren ja nicht defizitär. Ich wollte vielmehr klare Verhältnisse schaffen für die interimistische Leitung durch Frau Gudrun Piller.
"Herr Gnehm ist Teil des Problems.
Er hat auf Ende Juni gekündigt."
OnlineReports: Trifft zu, dass die Mitarbeitenden des Museums nach der Trennung von Frau Jungblut von Ihnen einen Maulkorb verpasst erhielten?
Morin: In keiner Art und Weise. Ich habe, auf Grund der hohen Medienaufmerksamkeit lediglich bestimmt, dass ich über die letztjährige Rechnung Auskunft erteile. Insbesondere da die verantwortliche Museumsdirektorin nicht mehr im Amt ist..
OnlineReports: Laut OnlineReports-Informationen hat die Buchhalterin des Historischen Museums schon vor einem Jahr alle vorgesetzten Stellen über die kritische Finanzlage informiert mit dem Hinweis, dass sie die Verantwortung für die Buchhaltung nicht mehr übernehmen könne.
Morin: Ich weiss nicht, wen Sie damit meinen und wer die Buchhalterin ist ...
OnlineReports: ... es ist eine Frau, die Anfang Jahr gekündigt hat, weil auf ihre Feststellungen seitens ihrer Vorgesetzten keinerlei Reaktion erfolgt sei.
Morin: Von dieser Kündigung habe ich keine Kenntnis erhalten. Ich habe mit der Interimsleiterin, Gudrun Piller, und dem Verwaltungschef, Matthias Gnehm, die Finanzsituation des Museums angeschaut. Herr Gnehm wurde von Frau Jungblut angestellt . Sie verantworten gemeinsam die Rechnung 2015 des Historischen Museums. Zu Spekulationen nehme ich keine Stellung.
OnlineReports: Versteht Verwaltungsleiter Matthias Gnehm etwas von Buchhaltung?
Morin: Herr Gnehm ist Teil des Problems. Er hat auf Ende Juni dieses Jahres gekündigt.
OnlineReports: Ende 2013 und 2014 kam es laut dem Bericht der Finanzkontrolle zu einer hohen Personalfluktuation. Mehrere Personen wurden in Funktion und Lohnklasse herabgestuft. Das deutet auf ein schlechtes Betriebsklima hin. Wurden Sie nicht früh genug hellhörig?
Morin: Das war der Grund der Trennung von Frau Jungblut. Mitarbeitende des Museums wandten sich an den Personalchef meines Präsidialdepartements. Wir setzten dann ein Coaching ein. Als die Massnahme nicht die gewünschte Wirkung hatte, kam es zur Trennung.
"Wir trafen mit Frau Jungblut eine
Zielvereinbarung mit Bewährungsfrist."
OnlineReports: Dennoch dauerte das schlechte Betriebsklima noch lange an.
Morin: Die schlechte Stimmung im Museum wurde 2014 offensichtlich. Wir reagierten sofort, indem wir mit Frau Jungblut eine Zielvereinbarung mit Bewährungsfrist trafen.
OnlineReports: Frau Jungblut erhielt eine Abgangs-Entschädigung. Welches ist dafür die rechtliche Grundlage?
Morin: Das Personalgesetz und das Lohngesetz. Das Personalgesetz schafft extrem hohe Hürden, um eine Kündigung auszusprechen. Wenn man in einen Rechtsstreit geht, dann kann die Kündigung während des ganzen Rechtsstreits nicht wirksam werden und die Person muss weiter beschäftigt und bezahlt werden ...
OnlineReports: ... wie im Streitfall von Rettungssanitäter Lorenz Nägelin mit Sicherheitsdirektor Baschi Dürr ...
Morin: ... und dann ist eine gewisse Abgangs-Entschädigung durchaus sinnvoll.
OnlineReports: Die Rede war von rund 160'000 Franken.
Morin: Wir haben darüber Stillschweigen vereinbart und daran halte ich mich.
OnlineReports: War die Abgangs-Entschädigung Teil des Verlusts von 742'000 Franken?
Morin: Ja.
"Nein, ein Personalabbau im Historischen
Museum ist nicht vorgesehen."
OnlineReports: Wird jetzt Personal abgebaut, um die Finanzen wieder ins Lot zu bringen?
Morin: Nein, das ist nicht vorgesehen. Es besteht im Historischen Museum kein strukturelles Problem. Wir müssen jetzt die Empfehlungen der Finanzkontrolle vor allem im Bereich des verschärften Controlling bei Sonderausstellungen umsetzen. Ausserdem wird eine Sonderausstellung über Pharmazie von diesem Jahr auf 2017 verschoben.
OnlineReports: Das Controlling hat offensichtlich versagt. Muss davon ausgegangen werden, dass die Misere schon vor Jungbluts Amtsantritt herrschte?
Morin: Das Controlling des Historischen Museums versagte im Jahr 2015. Aber die Rechnungen 2013 und 2014 waren ausgeglichen oder positiv.
OnlineReports: Wie erklären Sie sich, dass Frau Jungblut im „Regionaljournal“ sagt, die Konten seien letzten August nach ihrem Weggang "in Ordnung" gewesen?
Morin: Ich habe Mühe, dies nachzuvollziehen, insbesondere nachdem sich das Defizit durch hohe Ausgaben bei der Grafik und Szenografie ergab, die Frau Jungblut veranlasste. Zusätzlich wurden Drittmittel-Einnahmen von Frau Jungblut zu hoch budgetiert.
OnlineReports: Frau Jungblut berief sich auf ein "Publikumskonto" der Museums-Stiftung, auf das die Direktion bei Bedarf zurückgreifen kann.
Morin: Laut Stiftungszweck sind dafür aber nur ganz kleine Beiträge vorgesehen, sicher nicht eine Defizitdeckung.
"Jetzt sind alle Reserven
des Museums aufgebraucht."
OnlineReports: Wie soll der Fehlbetrag nun gedeckt werden?
Morin: Durch den hohen Fehlbetrag aus dem Jahr 2015 sind mit den Bonus-Mitteln, über die das Historische Museum frei verfügen kann, nun alle Reserven aufgebraucht. Jetzt hat das Museum praktisch keinen Handlungsspielraum mehr. Dem Kanton entsteht also kein Schaden.
OnlineReports: Haben Sie mit Frau Jungblut auf die falsche Person gesetzt?
Morin: Die mit Experten besetzte Berufungskommission empfahl Frau Jungblut einstimmig zur Wahl, was die Kommission des Historischen Museums übernahm und mir den Wahlvorschlag unterbreitete. Ich folgte der Empfehlung. Rückblickend muss ich erkennen, dass sie in personeller wie betriebswirtschaftlicher Hinsicht Führungsprobleme hatte.
OnlineReports: Erhebt der Kanton gegenüber Frau Jungblut Anspruch auf Rückzahlungen – beispielsweise des Beitrags für die "Rotary"-Mitgliedschaft?
Morin: Das Personalamt prüft diese Frage derzeit rechtlich. Ich werde dann entscheiden müssen, ob wir der Regierung einen Antrag stellen werden oder nicht. Für Haftungsansprüche bestehen allerdings hohe Hürden. Wir müssten widerrechtliches und vorsätzliches Handeln nachweisen können. Einen Straftatbestand hat die Finanzkontrolle nicht festgestellt.
OnlineReports: Bis wann ist ein Entscheid zu erwarten?
Morin: Die Klärung dieser Frage überlasse ich sicher nicht meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger.
OnlineReports: Sind Sie sich als politisch verantwortlicher Regierungsrat einer Schuld bewusst?
Morin: Die einzige Verantwortung, die ich trage, ist mein Personalentscheid.
OnlineReports: Haben Sie oder der staatliche Kulturchef Philipp Bischof Unterlassungen begangen?
Morin: Als wir konkrete Hinweise hatten, dass es personell und dann wirtschaftlich aus dem Ruder lief, ergriffen wir die nötigen Massnahmen. Als sich das Defizit aufgrund von Hochrechnungen im vergangen November abzeichnete, gaben wir zusammen mit der Interimsleiterin sofort Gegensteuer.
"Es gibt keine Sippenhaft, nur weil wir
in der gleichen Partei sind."
OnlineReports: Auch beim Museum der Kulturen entdeckte die Finanzkontrolle einige Abweichungen – so bei der Rückstellung von Überstunden oder bei der Einhaltung der Rahmen-Arbeitszeiten. Hatten Sie Hinweise oder einen Verdacht?
Morin: Nein, dieser Bericht entstand im Rahmen der regulären jährlichen Routine-Kontrolltätigkeit und nicht auf meine Veranlassung hin. Die zeitliche Übereinstimmung ist Zufall.
OnlineReports: Herr Morin, hat die Veröffentlichung des Berichts der Finanzkontrolle auch mit den bevorstehenden Wahlen zu tun?
Morin: In keiner Art und Weise. Wir veröffentlichten den Kontrollbericht, nachdem einzelne Medien durch Indiskretionen aus einer parlamentarischen Kommission wortwörtlich aus dem Kontrollbericht zitierten.
OnlineReports: Schadet die Kontroverse der Kandidatur Ihrer grünen Parteikollegin Elisabeth Ackermann, die Ihre Nachfolgerin werden möchte?
Morin: Ein solcher Gedanke ist jetzt weit hergeholt. Man kann Frau Ackermann in keiner Art und Weise mit dieser Geschichte in einen Zusammenhang bringen.
OnlineReports: Doch, man kann das, wenn man den Fall nicht auf das Inhaltliche, sondern auf das Politische reduziert.
Morin: Es gibt keine Sippenhaft, nur weil wir in der gleichen Partei sind. Verantwortlich bin ich.
OnlineReports: Elisabeth Ackermanns SVP-Konkurrent in den Regierungsratwahlen, Lorenz Nägelin, spricht von einem "Skandal" um einen "Millionenbetrag". Übertreibt er?
Morin: Es ist sicher keine Staatsaffäre, aber der Fall wird jetzt in einer Wahlperiode aufgebauscht.
OnlineReports: Wie stark belastet Sie dieses Thema für den Rest Ihrer Amtszeit, die noch bis 7. Februar 2017 dauert?
Morin: Was mich belastet, ist, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Frau Jungblut, die im Herbst gewählt wird, eine gute Ausgangslage vorfinden wird und nicht mit einem Minus starten muss.
18. Mai 2016
Chronologie der Ereignisse
August 2015
Formulierung der Trennungsvereinbarung zwischen Präsidialdepartement und Marie-Paul Jungblut, Trennung per Ende September 2015, Gudrun Piller übernimmt interimistische Leitung bis zur neuen Direktion. Marie-Paul Jungblut ist seit Juli 2015 krankgeschrieben.
September 2015
Auftrag Präsidialdepartement an Finanzkontrolle: Prüfung des Tertialabschlusses per Ende August 2015 zwecks korrekter Geschäftsübergabe.
September/Oktober 2015
Interim. Direktion Historisches Museum Basel überprüft alle pendenten Geschäfte im Auftrag des Präsidialdepartements (Personal, Projekt- und Finanzplanung)
Oktober 2015
Konstitution der Findungskommission für neue Direktion; Auswertung der Ära Jungblut
Oktober 2015
Auftrag Präsidialdepartement an Gudrun Piller/Matthias Gnehm: Prüfung von möglichen Kosteneinsparungen innerhalb der laufenden Rechnungsperiode 2015 sowie für das Budget 2016.
Dezember 2015
Auftrag Präsidialdepartement an Gudrun Piller/Matthias Gnehm: Erstellung eines realistischen Budgets 2016.
Januar 2016
Jahresabschluss: Das Museum weist ein Defizit von 742'400 Franken aus.
Februar 2016
Erneuter Auftrag Präsidialdepartement an Gudrun Piller/Matthias Gnehm: Erstellung eines realistischen Budgets 2016
März 2016
Kündigung durch Matthias Gnehm per Ende Juni 2016
April 2016
Formulierung diverser Aufträge an Gudrun Piller betreffend Rechnungsperiode 2016 sowie Budgetprozess 2017 per 23. Mai 2016
Quelle: Präsidialdepartement Basel-Stadt
"Stellung der Museen muss überdacht werden"
Ein Aspekt wurde beim Fiasko des Historischen Museums (HMB) bisher noch völlig ungenügend beleuchtet: Die Museen waren Dienststellen, die 1999/2000 im Rahmen der vorgesehenen Einführung von "New Public Management" (NPM) als Pilotdienststellen bezeichnet wurden. Damals war vorgesehen, den Grossteil der kantonalen Verwaltung "selbstverantwortlich" zu organisieren und von Parlament und Regierung nur mehr über Globalbudget und Leistungsauftrag steuern zu lassen. Dieses Vorhaben scheiterte schliesslich im Grossen Rat. Über die Gründe dieses Scheiterns zu diskutieren ist müssig, es sei nur erwähnt, dass ein massiver Verlust von Steuerungs- und Kontrollkompetenz von Seiten von Parlament und Regierung befürchtet wurde.
Nach Abbruch der Übung verblieben aber die Museen in diesem verwaltungsrechtlichen Limbo. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Fall "Historisches Museum" ereignen würde. Der Kanton Basel-Stadt kann froh sein, dass die allermeisten Führungskräfte der Museen sich als verantwortungsbewusst und ehrlich erwiesen haben, denn das aktuelle Beispiel zeigt, wie die verbliebenen Kontrollgremien ausgespielt werden können, sei es durch Inkompetenz, Sorglosigkeit oder bösen Willen.
In der aktuellen Organisationsform sind die übergeordneten Instanzen darauf angewiesen, dass ihnen korrekt, vollständig und ehrlich rapportiert wird. Regierung und Verwaltung haben sonst keine klaren Kenntnisse von den Vorgängen innerhalb der Museen. Die entsprechende Grossratskommission, bestehend aus Milizparlamentariern, kann keinen genügenden Überblick über die komplexen Finanzströme und deren Verwendung gewinnen.
Die aktuellen Vorgänge legen es nahe, die Organisation und die verwaltungsrechtliche Stellung der kantonalen Museen zu überdenken und neu aufzustellen.
Philippe Macherel, Basel
"Niemand ist es gewesen"
Viele Dutzend Personen in den verschiedensten Funktionen und mit unterschiedlichen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sind in die Geschichte involviert: Museumsdirektorin, Museumskommission HMB, Geschäfts- und Finanzkommission des Grossen Rates, Kulturchef im Präsidialdepartement, Regierungsrat Guy Morin. Alle waren dabei, aber niemand ist es gewesen. Dagegen erscheinen die Führungsstrukturen in der "Alten Stadtgärtnerei" geradezu vorbildlich und übersichtlich.
Roland Stark, Basel
"Wie gewohnt"
Eine journalistische Meisterleistung von OnlineReports. Wie gewohnt! Besten Dank!
Bruno Rossi, Gelterkinden